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LIGAstheniker - Der Fall Julian Draxler beim VfL Wolfsburg ist die Schnöselei des Jahres

Thilo Komma-Pöllath

Update 13/12/2016 um 12:14 GMT+1 Uhr

Für den Kolumnisten Thilo Komma-Pöllath waren die Pfiffe gegen Julian Draxler vom VfL Wolfsburg nur der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die zeigt, dass die Bundesliga ihre Kinder frisst. Naive Spieler werden zu Spielzeugfiguren, Vereine sind zur Untätigkeit gezwungen. Wenn die Identifikation mit dem eigenen Klub und Arbeitgeber im Geldregen baden geht.

Julian Draxler (VfL Wolfsburg)

Fotocredit: Imago

Vielleicht erinnern Sie sich noch an den bildungspolitischen Aufreger des Jahres 2011. Julian Draxler, spröde 17 Jahre jung, unterschrieb auf Schalke seinen ersten Profivertrag und Trainer Felix Magath mokierte sich darüber, warum denn ein Welttalent wie Draxler ein Abi brauche, wenn er stattdessen eine große Fußballerkarriere haben könne.
Damals, so entstand kurz der Eindruck, handele es sich bei Draxler um die seltene Einheit aus Intelligenz und Begabung in Bezug auf das Spiel und das Menschsein. Heute wissen wir es besser: Humbug und branchenüblich inszenierter Heldenquatsch.
Wenn Draxler so weitermacht, dann wird er sein Fachabi irgendwann noch mal brauchen, weil Schnösel seines Kalibers selten die ganz große Fußballkarriere hinlegen. Sie begreifen zu spät, dass sie nicht die "Master of the Universe" sind, wie ihnen gerne eingeredet wird. Sondern nur kleine Spielzeugfiguren, die solange hin und hergeschoben werden, bis der letzte Geldschein aus ihnen herausgepresst ist.

Die Liga frisst ihre Kinder

Der letzte Samstag, das Spiel der Wolfsburger beim großen FC Bayern. Vor nicht allzu langer Zeit war das einmal ein Spitzenspiel. Wer das Spiel im Stadion gesehen hat, muss sich zwangsläufig fragen, was die Wolfsburger eigentlich die ganze Trainingswoche über so treiben, um derart hilf- und ahnungslos über den Platz zu irrlichtern. Am Tag davor war bekanntgeworden, dass VfL-Trainer Ismaël seinem besten Mann, eben Draxler, die Reise nach München untersagt hatte.
Einen Spieler wie ihn lässt man eigentlich nie zuhause. Aber Draxler ist soweit gegangen, dass er Fans und Mitspielern schlicht nicht mehr zuzumuten ist. Nennen wir es eine pädagogische Notbremse, nachdem Draxler in der Woche zuvor bei seiner Einwechslung gegen Hertha von den eigenen Fans niedergepfiffen wurde. Warum, fragt sich in Wolfsburg schon lange keiner mehr.
Die Pfiffe waren nur der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die zeigt, dass die Liga ihre Kinder frisst, wenn diese nach Jahren der Hyperverwöhnung an Geld, Status und Aufmerksamkeit jeden Bezug zur Realität verlieren. Gerade, wenn sie erst 23 sind.

Der übliche verlogene Singsang...

Bereits zu Saisonbeginn im August hatte Draxler seinen Abgang aus Wolfsburg provoziert. Er warf seinem Arbeitgeber Wortbruch vor, weil der VfL nach einem Jahr nicht bereit war, ihn wieder zu verkaufen. Wolfsburg, so der Subtext, sollte nur die großzügig ausgestattete Förderschule für einen angehenden Weltstar sein, der - wie kann man nur so naiv sein - natürlich von Real, Barca oder Arsenal träumt, aber doch nicht vom schnöden VfL.
Der übliche Singsang aus "Stolz" und "Leidenschaft" und "Herzensangelegenheit" fehlte trotzdem nicht. Wie anders hätte Draxler erklären können, dass er beim VfL gleich bis 2020 unterschrieben hatte? Anfang Dezember untermauerte er noch einmal seinen Wechselwunsch, der bei Draxler längst zur fixen Idee mutierte. Realexistierende Verträge hin oder her.

Sanktionen? Fehlanzeige!

Es hat wohl selten einen Angestellten in Deutschland gegeben, der seinen Arbeitgeber in aller Öffentlichkeit derart vorgeführt hat, ohne dass er irgendeine spürbare Sanktion befürchten musste. Auch das geht so nur im Fußball.
Natürlich wird einem, der 36 Millionen Euro gekostet hat, nicht fristlos gekündigt und er wird nicht länger als nötig auf die Bank verbannt, wenn seine Rendite noch nicht eingespielt ist. Eine zwingende Handhabe gegen sein anmaßendes Verhalten, das weiß Draxler natürlich, hat der Verein gar nicht.
Schließlich soll das geniale Söhnchen Samstags halb vier immer noch disponiert sein. Damit ist es spätestens seit diesem Wochenende dahin. In der Winterpause wird er gehen, soviel scheint klar: Arsenal, Premier League, hört man. Vorher musste Sportdirektor Allofs gehen, wegen Erfolgs- und Machtlosigkeit.

Zu dumm auch, Julian Draxler!

Besonders ärgerlich im Fall Draxler ist es, wenn zur üblichen Arroganz der Regelbegünstigten auch noch die Gedankenlosigkeit dazu kommt. "Ich glaube, dass der Verein und die Umgebung hier zurzeit größere Probleme haben als meine Person", lässt sich Draxler mit Hinweis auf die Turbulenzen in der VW-Abgasaffäre in der "Welt" zitieren.
Auf VW, Hauptsponsor der Wolfsburger, kommen milliardenschwere Schadenersatzzahlungen zu, die, allein in Deutschland, demnächst bis zu 20.000 VW-Mitarbeitern (und, ganz nebenbei bemerkt, 0 Fußballern) den Job kosten werden, obwohl sie an dem Skandal gar keine Schuld trifft. Herr Draxler aber, und das ist der blanke Hohn, der mutmaßlich sechs Millionen Euro im Jahr verdient, darf öffentlich seinen Arbeitgeber schlechtreden und seinen Job behalten, den er wiederum gar nicht will.
Sein Berater wird Draxler immer an den Mann bringen, was soll passieren? Auf die 20.000 VW-Arbeiter wartet ein mäßig motivierter Berater der Bundesagentur für Arbeit, der diesen kaum Optionen auf dem Arbeitsmarkt anbieten kann. Man kann für Draxler nur hoffen, dass er sich dort nie mit seinem Abizeugnis in die Schlange stellen muss.
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#kickerTalk - Die komplette Sendung: Anstand, Fairness und Moral im Fußball



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