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FC Bayern-Star Thomas Müller: Ohne Fußball-Kunst zur Weltklasse

Luca Baier

Update 13/05/2020 um 17:06 GMT+2 Uhr

Außergewöhnlich. Kein Wort kann den Fußballer Thomas Müller wohl besser beschreiben. Doch was steckt eigentlich hinter der unkonventionellen Spielweise, die den Star des FC Bayern München so einzigartig macht? Ohne große Tricks und technische Zaubereien gehört der Ur-Bayer seit über zehn Jahren zu den besten Offensivspielern Europas. Eurosport.de wirft einen Blick auf das Phämonen Thomas Müller.

Thomas Müller - FC Bayern München

Fotocredit: Getty Images

Thomas Müller ist beileibe nicht das, was man einen Edeltechniker nennen kann. Mal verspringt ihm ein Ball bei der Annahme, mal trifft er da den Ball beim Flanken mit dem Schienbein.
Doch trotz dieser immer wieder vorkommenden Ungenauigkeiten verfügt Müller über eine gute, ja sogar sehr gute Technik. Technik bedeutet nicht nur, fintenreich tricksen zu können. Auch reihenweise Traumtore zu erzielen, ist kein alleinstehendes Kriterium für eine gute Technik. Ein guter Techniker nutzt seinen Körper, um mit dem Ball das Gewünschte zu erreichen. Das klingt nicht nur sehr banal, sondern ist es auch.
Müller ist der lebende Beweis dafür. Was hat er nicht schon alles für seltsame Aktionen gezeigt, bei denen er den Ball auf unmöglichste Art und Weise mitnimmt? Mit welchem Körperteil hat er noch kein Tor erzielt? Müller setzt seinen Körper - und zwar den gesamten - so ein, dass er zum gewünschten Ziel kommt, egal wie schön das aussieht.
Dies macht ihn in der öffentlichen Wahrnehmung zwar nicht zu einem Künstler, was ihn aber nicht weiter stören wird. Er definiere sich über "Effizienz und Geradlinigkeit", sagte er schon etliche Male, auch die Schönheit seiner Tore sei für ihn nicht wichtig, da eh jeder Treffer gleich viel zähle.
"Ich kann keine Tricks. Die wollen dann immer irgendwelche Zaubereien sehen, Ball hochhalten, viermal um die eigene Achse und sowas. Aber das war noch nie mein Fachgebiet", meinte Müller etwa in der "FAZ" über Auftritte mit Kindern.

Thomas Müller: "Schattenstürmer" unter Ziehvater van Gaal

Müllers Stern beim FCB ging mit dem Amtsantritt von Louis van Gaal los. Im 4-2-3-1 bildete der damalige Nobody Müller gemeinsam mit Arjen Robben und Franck Ribéry das wohl beste offensive Mittelfeldtrio Europas. Neben seinen vielen Wegen in die Tiefe, bei denen er selbst torgefährlich werden konnte, waren es vor allem die Wege für die Mitspieler, die Müllers wahren Wert zeigten.
Zog einer der Tempodribbler nach innen, startete Müller diagonal auf die Außenbahn. Dabei fungierte Müller sozusagen als beweglicher Block, denn sein Laufweg hinderte die gegnerischen Verteidiger am Herausrücken. Besonders Arjen Robben profitierte von Müllers intelligenten Läufen – fast jedem Tor von rechts in die lange Ecke ging ein Laufweg Müllers voraus, der Robben so Zeit und Raum verschaffte.
Bayern-Co-Trainer Hermann Gerland sagt in einem Interview mit "t-online": "Wenn ich sage, ich habe die Entwicklung bei Thomas Müller so vorausgesehen, dann würde ich lügen. Ich habe nur zu Uli Hoeneß gesagt: Du Ulrich, da ist einer, der kann Fußballspielen und schießt immer Tore."
Müller hatte sich mit seinem Näschen im letzten Drittel, seiner Laufbereitschaft und Spielintelligenz schnell zur festen Größe entwickelt, kam in jedem einzelnen Bundesligaspiel zum Einsatz und erreichte mit den Bayern in der Saison 2009/10 beinahe das Triple - im Finale der Champions League gegen Inter hatte er zwischenzeitlich den Ausgleich auf dem Fuß.
Am Ende seiner ersten Saison als Stammspieler hatte Müller wettbewerbsübergreifend in 52 Spielen 19 Tore erzielt und 16 weitere direkt vorbereitet. Als folgerichtige Belohnung fuhr Müller im Sommer 2010 mit zur Weltmeisterschaft in Südafrika. Dort sollte er eine prägende Rolle spielen - wenn auch auf einer anderen Position.

Müller als falscher Rechtsaußen zum WM-Shootingstar

Bei der WM in Südafrika spielte Müller in Jogi Löws 4-2-3-1 als Rechtsaußen. Zusammen mit Mesut Özil auf der Zehn und Lukas Podolski links bildete er die offensive Dreierreihe hinter Miroslav Klose. Dieses Offensivquartett passte im damals noch stark auf den Umschaltmoment ausgelegten deutschen Spiel perfekt zueinander.
Besonders das Dreieck Özil-Klose-Müller sollte in deutschen Spielzügen eine wichtige Rolle spielen. Deutschland griff vornehmlich über die starke rechte Seite - unterstützt durch Philipp Lahm - an. Klose wich häufig auf den Flügel aus, um die Abwehr auseinander zu ziehen, auch Özil driftete stark nach rechts, um die überfüllte Spielfeldmitte zu umgehen.
So kam es zu vielen Schnellangriffen auf engem Raum. Klose und Özil lockten die Gegner mit ihrem sicheren Kombinationsspiel an, Müller bot die Anspielstation in der Tiefe. Unterm Strich kamen in seinen sechs Spielen fünf Tore und drei Vorlagen zusammen, wodurch er zum besten Torjäger des Turniers avancierte.
Ggenüber "spox" erklärte Müller einmal: "Ich bin taktisch gut ausgebildet worden und sehe, was auf dem Platz abläuft. Ich bin nicht so viel am Spiel beteiligt, habe nicht so viele Ballkontakte. Aber ich kann geduldig auf den richtigen Moment warten und suche mir die Situationen aus, wenn es Richtung Tor geht. Ich will im richtigen Augenblick zur Stelle sein."
Spätestens seit diesem Turnier performt Müller Jahr für Jahr mindestens am oberen Rand der internationalen Klasse. Die Triple-Saison 2013 sowie der WM-Triumph in Brasilien 2014 krönten seine Karriere schon früh. Müller ist deswegen jedoch nicht satt und zieht seinen kraftintensiven, bescheidenen Spielstil weiter durch.
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Thomas Müller - FC Bayern München

Fotocredit: Getty Images

Müller: Ein Profiteur seiner Zeit

Doch was wäre wohl in den Neunzigern oder in den frühen Zweitausendern aus Thomas Müller geworden? In Zeiten, in denen viel über individuelle Klasse bei starker Mannorientierung gelöst wurde und es eher wenige komplexe gruppentaktische Elemente im deutschen Fußball gab, hätte es Thomas Müller wohl schwer gehabt.
Als Mittelstürmer wäre er wegen seines Körperbaus wohl nicht in Betracht gezogen worden, als Zehner wäre er ebenfalls durchgefallen, weil er kein klassischer Spielmacher ist. Am ehesten hätte er wohl Einsatzchancen auf dem Flügel gehabt, wo das Flanken allerdings das täglich Brot der Spieler war - ebenfalls keine müllersche Stärke.
Ein typischer Spruch von des 30-Jährigen daher: "Wo keine Muskeln sind, kannst Du Dir auch nicht weh tun! Meine Waden sind so dünn, da kann kein Gegner die Knochen treffen, weil man sie so schlecht sieht."
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Thomas Müller | FC Bayern München

Fotocredit: Getty Images

Doch das Spiel hat sich mit der Zeit geändert. Müller hat das Glück gehabt, stets in Mannschaften zu spielen, in denen er als passender Rollenspieler seine Stärken ideal einbringen konnte. In der Nationalelf konnte er anfangs seine Dynamik und sein Raumgefühl im spektakulären Konterspiel zeigen, unter van Gaal blühte er als unterstützender (hängender) Stürmer auf.
Zudem trug Müller nie die Hauptverantwortung der Angriffe - anders als Lionel Messi nimmt er sich eben nicht an der Mittelinie den Ball, dribbelt zwei Spieler aus, verlagert das Spiel und taucht dann wieder im Strafraum auf. Müller braucht möglichst feste, gut strukturierte Angriffsmuster, in denen er selbst das freie Radikal sein kann. Je mehr er für seine (individuell sicher begabteren) Mitspieler tun kann, desto wertvoller wird er für seine Mannschaft.
Dass er kein Team allein tragen kann und zudem noch so unkonventionell spielt, wird Müller daran hindern, individuelle Preise wie den Ballon d'Or zu gewinnen. Gäbe es einen Preis für den besten Mitspieler, wäre Müller jedoch längst Seriensieger.
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