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Neymar: Vom Künstler zum Teamplayer

Philipp Pelka

Publiziert 05/06/2015 um 09:44 GMT+2 Uhr

Eurosport Taktik-Blogger Philipp Pelka analysiert vor dem Champions-League-Finale zwei Stars, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Neymar und Pirlo.

Torjäger, Vorbereiter, Superstar: Neymar

Fotocredit: Imago

Im Champions-League-Finale zwischen Juventus Turin und dem FC Barcelona (Samstag ab 20:45 Uhr im Liveticker) wird es neben dem alles überragenden Lionel Messi auf zwei Akteure ankommen, die unterschiedlicher kaum sein könnten - aber dennoch eine wesentliche Gemeinsamkeit haben: Sowohl Andrea Pirlo als auch Neymar haben eine wichtige Wandlung vollzogen.
Der eine begeistert vor allem die jüngere Generation der Fußballfans mit spektakulären Tricks und atemberaubenden Sprints. Der andere joggt gemächlich durchs Mittelfeld - verzaubert das Publikum dann jedoch mit plötzlichen tödlichen Pässen oder unnachahmlichen Freistößen. Auf den ersten Blick könnten Neymar da Silva Santos Junior, kurz Neymar, und Andrea Pirlo nicht verschiedener sein. Betrachtet man den Werdegang der beiden, lässt sich jedoch eine große Gemeinsamkeit feststellen: Sie haben sich auf unterschiedliche Art und Weise an den modernen Fußball angepasst – und sind deshalb absolute Leistungsträger in ihren Teams.
Vom Zirkuspferd...
Schon lange bevor er die europäische Fußballbühne betrat, war Neymar nahezu allen Fußballfans ein Begriff. Schnell kristallisierten sich zwei große Meinungslager heraus: Die einen sahen in Neymar den neuen Pelé, die anderen einen ineffektiven Dribbler für die Galerie. Grundlage für die diese beiden Ansichten waren zahlreiche Videos, die auf YouTube und anderen Portalen die Runde machten. Ob sieben Übersteiger in Folge, Balljonglieren mit dem Kopf oder der berühmte Okocha-Trick: Neymars Spiel schien nur aus spektakulären Dribblings zu bestehen.
Nach kleinen Anlaufschwierigkeiten in seiner ersten Saison beim FC Barcelona hat Neymar sich weiterentwickelt – weil er seinen Spielstil angepasst hat. Der 23-Jährige ist nicht mehr so stark auf Einzelaktionen fokussiert, sondern ist zu einem spielintelligenten, effizienten Teamplayer geworden. Der Brasilianer besitzt ein gutes Gespür dafür, wann er seine Position am linken Flügel verlassen muss, um Überzahl im Zentrum zu schaffen.
… zum Zuarbeiter
Gerne bietet sich Neymar zwischen Abwehr und Mittelfeld des Gegners an - und sorgt damit für Zuordnungsprobleme. Seine nahezu perfekte Ballan- und mitnahme erlauben es ihm, sich schnell zu drehen und die finale Aktion vorzubereiten. Diese kann ein trockener Schuss aus 20 Metern sein, aber auch ein "unnötiger Laufweg", mit dem er Gegner auf sich zieht und Messi Raum öffnet. Der wohl wichtigste Faktor für Neymars gute Leistungen bei Barca ist jedoch Demut. Den Gegner vorführen? Theatralisches Fallen bei jeder kleinen Berührung? Verweigerung der Defensivarbeit? Fehlanzeige.
Der Angreifer der Katalanen hat gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und dazu gehören neben simplen Pässen und trockenen Torabschlüssen auch lange Laufwege in beide Richtungen. Bei gegnerischem Ballbesitz verteidigt Neymar mit und verfolgt offensive gegnerische Rechtsverteidiger auch bis an den eigenen Strafraum - um danach bei Kontern umgehend in die andere Richtung zu sprinten. Die Mischung aus Neymars individueller offensiver Klasse und defensiver Arbeitsbereitschaft könnte im Finale gegen Juve für Barca zum Schlüsselfaktor werden.
Andrea Pirlo, Dirigent in Schrittgeschwindigkeit
Eine Sprintleistung wie die des Brasilianers wird man von Andrea Pirlo hingegen nicht sehen. Der Regisseur der Alten Dame schleppt seinen mittlerweile 36-jährigen Körper Spiel für Spiel mit gefühlter Schrittgeschwindigkeit über den Platz. Trotzdem - oder gerade deshalb - ist Pirlo für Juventus unverzichtbar. Der Italiener hat sich an die Anforderungen des modernen Fußballs angepasst und hat sein Spiel dementsprechend verändert.
Mittlerweile beherrschen auch unterklassige Teams eine kompakte und disziplinierte Arbeit gegen den Ball, auf Topniveau sieht man Pressing und Gegenpressing in Perfektion. Dies bedeutet für die Profis weniger Zeit und Raum in Ballbesitz. Um heutzutage im pulsierenden Zentrum des Spielgeschehens, dem zentralen Mittelfeld, bestehen zu können, muss man schnell sein. Diese Schnelligkeit setzen viele mit athletischen Fähigkeiten gleich – man denke an die unzähligen medialen Abgesänge auf Bastian Schweinsteiger, auch Toni Kroos fehlte es lange an Akzeptanz.
Der Beschleuniger
Schnell zu sein bedeutet im zentralen Mittelfeld jedoch vor allem, schnell im Kopf zu sein. Und darin macht Pirlo niemand etwas vor. Wie kaum ein anderer erkennt der Mittelfeldspieler, der in Berlin 2006 die Weltmeisterschaft gewann, Spielsituationen. Dies liegt nicht nur an seinem großartigen Spielverständnis, sondern auch an einer simplen, aber unterschätzten Maßnahme auf dem Platz: dem Schulterblick. Sobald Pirlo in Ballnähe ist, blickt er sich ständig um und schaut, in welche Richtung er sich bei der Ballannahme drehen kann und wohin der nächste Pass gehen könnte. So kann sich auch in Bedrängnis nahezu immer befreien und konstruktiv weiterspielen.
Dabei zeigt er, wie man das Spiel schnell machen kann. Auch hier geht es nicht um Tempodribblings oder lange Läufe in die Spitze. Häufig baut Juventus das Spiel gemächlich auf und lässt den Ball zwischen den Abwehrspielern, Außenverteidigern und Sechsern hin und herlaufen. Wenn der Gegner mehrfach verschoben hat und merkt, dass die Turiner gar nicht nach vorne Spielen wollen, schlägt Pirlo zu.
Mit seinem unverwechselbaren Ausdruck von Desinteresse trabt er einem Pass entgegen und schlägt einen langen Ball mit viel Effet in die Spitze, wo die Stürmer in der Regel an der Abseitslinie lauern. Im Idealfall ergibt sich eine hundertprozentige Torchance. Anderenfalls ist dieser typische Pass schlichtweg ein großer Raumgewinn und die Einladung zum Gegenpressing.
So ist es nicht verwunderlich, dass Pirlo mittlerweile nicht mehr auf so viele Ballkontakte wie vor einigen Jahren kommt. Auch die Passquote reicht nicht an die eines Kurzpass-Gurus wie Xavi heran. Dennoch ist Weinliebhaber und Stilikone Pirlo zuzutrauen, die Schlüsselfigur in Berlin zu werden. Gute Erfahrungen hat er dort ja schon gesammelt.
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