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LIGAstheniker: Die Bayern und die Wochen der Wahrheit - Carlos Kunst, das Momentum zu beherrschen

Thilo Komma-Pöllath

Update 13/02/2017 um 20:23 GMT+1 Uhr

Thilo Komma-Pöllath beleuchtet in seiner Eurosport-Kolumne das Geheimnis der "Wochen der Wahrheit" und erklärt, warum der FC Bayern trotz der an Felix Magath erinnernden Spielkultur auf Trainer Carlo Ancelotti vertrauen kann. Dessen Art den Fußball zu denken, widerspricht der von Vorgänger Pep Guardiola - und hat genau deshalb große Chancen auf Erfolg.

Carlo Ancelotti vom FC Bayern München

Fotocredit: AFP

Die Bayern sind ein schizophrener Klub. Das gehört gewissermaßen zur DNA. Nehmen wir nur mal die letzte Zeit mit Jupp Heynckes. Da gewinnt man das Triple, und ist dennoch so unzufrieden, dass man Pep Guardiola holt.
Nehmen wir nur mal die Zeit mit Pep. Da holt man sieben Titel in drei Jahren, aber Basis und Medien begehren auf gegen einen, der sie alle für Ahnungslose hält. Nehmen wir nur mal die Gegenwart mit Carlo Ancelotti. Die Bayern sind mit Abstand Erster, nur scheinen alle schon jetzt zu wissen, dass es nicht so bleiben wird. Und wehe, am Mittwoch gegen Arsenal geht was schief...

Kann das gutgehen?

Es gibt im Fußball diese Plattitüde von den "Wochen der Wahrheit". Diese Wochen beginnen immer ein paar Wochen nach Rückrundenbeginn, zeitgleich mit den K.O.-Spielen in der Champions League. Vorher wurde also offenbar richtig viel geflunkert, soll das wohl heißen.
So, als könnte man bis Anfang Februar den einen Fußball spielen, und danach einen ganz anderen. Besseren. Erfolgreicheren. Aber das ist natürlich Quatsch. Bei Pep war das so, dass seine Bayern vor den "Wochen der Wahrheit" die Liga zweistellig in Trümmern legten, und es dann mit der Wahrheit nicht mehr so genau nahmen.
Denn als es galt, war die spielerisch beste Bayern-Mannschaft aller Zeiten nicht mehr gut genug. Gegen Real, Barcelona, Atletico. Pep, der Voodoopriester des modernen Fußballs, hat bis heute nicht erklärt, wie es zu dieser Flunkerei kommen konnte. Ancelotti hat diesbezüglich keine große Erwartung geweckt, man glaubt zu wissen, dass es nicht gut gehen kann. Aber warum?

Ancelotti denkt den Fußball vom Ende her

Vielleicht liegt es daran, dass Ancelotti nicht bei jeder Gelegenheit ein kontextloses "Super, Super, Super" in den medialen Verwertungsbetrieb hineinölt, so wie sein Vorgänger. Carlos Fallhöhe ist deutlich niedriger. Die Spielkultur erinnert an Magath, der Dusel an die 90er Jahre, nur der Tabellenplatz untermauert das eigene Selbstverständnis.
In den sozialen Netzwerken schrieb ein Kritiker, der FC Bayern boykottiere sich gerade selbst. Wer so schreibt, ist in der Pep-Denke hängen geblieben und hat von Carlo nichts kapiert. Der bleibt cool und weiß gar nicht, was die Aufregung soll. Als er nach dem Ingolstadt-Spiel in der Pressekonferenz gefragt wurde, was gegen Arsenal besser werden muss, sagte Ancelotti: "Nichts". Und meinte das auch so.
Das sollte nicht überheblich klingen, das kann der Italiener gar nicht. Der Unterschied zu Pep ist nur: Ancelotti denkt den Fußball vom Ende her. Das perfekte System, der ideale Spieler, das schöne Spiel sind keine Kategorien für ihn. Das richtige Ergebnis ist sein Ziel.
Er will nichts revolutionieren, nicht "das Spiel neu erfinden", nicht der Heilsbringer einer neuen Generation sein. Ancelotti will sich auf das Wesentliche konzentrieren, weil er es kann. Wie kein anderer ist er in der Lage, das Spielentscheidende zu beeinflussen. Das Momentum. Die Last-Minute-Siege der Bayern in dieser Saison zeugen davon. Was also sollte er ändern wollen?

Carlo, der Wichtige-Spiele-Trainer

Es war wenige Wochen nach Ligastart, das Oktoberfest waberte zeitgleich in der Stadt, als Ancelotti einem kleinen Kreis aus Fans und Medienvertretern seine auf Deutsch erschienene Autobiografie vorstellte. Ancelotti sprach so sympathisch über seine Idole, seine Menschenführung, Wein und gutes Essen, dass man den entscheidenden Satz fast überhören konnte. Er sei ein "Trainer für die wichtigen Spiele", sagte er damals Ende September.
Ein für seine Verhältnisse fast spröder Satz, der damals kaum Beachtung fand, weil die wichtigen Spiele noch so weit entfernt waren. Ein Satz aber, der jetzt seine Fallhöhe manifestiert. Und sein Schicksal bei den Bayern besiegeln wird. Wenn er beweist, dass er - anders als Pep - die wirklich wichtigen Spiele gewinnt, weil er das Momentum dirigieren, zu seinen Gunsten manipulieren kann, dann wird er in München die Titel holen, die Pep gerne gewonnen hätte.
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