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Fußball

Kommentar von Sigi Heinrich zum Rücktritt von André Schürrle und Benedikt Höwedes

Sigi Heinrich

Publiziert 04/08/2020 um 18:55 GMT+2 Uhr

André Schürrle und Benedikt Höwedes, zwei der WM-Helden von 2014, beenden etwas überraschend und vergleichsweise früh ihre Karriere - jedoch nicht, ohne deutliche Kritik an dem Geschäft des Profifußballs zu äußern. Eurosport-Experte Sigi Heinrich erklärt, warum solche Aussagen von professionellen Athleten gerade in der aktuellen Zeit problematisch sind.

Sigi-Heinrich-Blog | Höwedes und Schürrle

Fotocredit: Getty Images

Ein Abschied jagt den anderen. Die deutschen Fußballweltmeister von 2014, die dereinst Brasilien legendär mit 7:1 im Halbfinale besiegt hatten, verabschieden sich allmählich von der großen Bühne.
Benedikt Höwedes spielte, gänzlich ungewohnt für ihn, damals auf der linken Verteidigerposition. André Schürrle gab später im Finale den entscheidenden Pass zu Mario Götze, den dieser zum Siegtreffer gegen Argentinien verwertete. Jetzt gaben beide ihren Rücktritt bekannt. Höwedes mit 32 Jahren, Schürrle gar mir nur 29 Jahren.
Aber einfach so: Fußballschuhe an den berühmten Nagel und die Erinnerungen an die Garderobe hängen: Das wäre dann doch zu einfach gewesen. Beide haben noch einmal ordentlich ausgeteilt. Böser Sport, dieser Fußball. Raubt einem doch glatt die Seele, zwingt einen tatsächlich, einmal in der Woche auf den Platz zu einem Match und da soll und muss man auch noch das Beste geben, da sonst Ungemach droht. Ersatzbank und so. Gehaltseinbußen inbegriffen wegen entgangener Prämien. Imageverlust auch noch.

Normale Entwicklungen

Ich muss kurz innehalten und mir eine neue Packung Taschentücher holen, um die Traurigkeit über ein so schweres Schicksal aus der Nase zu schnäuzen. Unmenschlichem Druck sahen sich beide ausgesetzt und gegen Ende ihrer Karriere wurden sie sogar degradiert, was sie als persönliche Katastrophe werteten.
Höwedes war plötzlich nicht mehr Kapitän bei Schalke 04 und Schürrle kam als damals teuerster Transfer vom VfL Wolfsburg zu Dortmund (30 Millionen) und konnte sich nie durchsetzen, obwohl er doch ein Lieblingsspieler des damaligen Trainers Thomas Tuchel war.
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Thomas Tuchel und André Schürrle

Fotocredit: Eurosport

Höwedes setzte zu einer Wanderung an über Italien nach Russland und Schürrle stieg als Leihspieler des FC Fulham in England aus der Premier-League ab. Das hat beide dazu bewogen, noch einmal ausführlich darauf hinzuweisen, wie hart der Spitzensport doch sei und dass man Dankbarkeit in den wenigsten Fällen erwarten könne.

Gefangen in einer anderen Welt

In welcher Welt, so frage ich mich, leben diese Kicker eigentlich? Und nicht nur diese beiden. Die Antwort ist relativ einfach: Es ist eine andere Welt als unsere. Es ist eine Blase, ein Kokon, eine Welt in sich, bestehend aus tausend Vergünstigungen und unglaublichen Gehaltszahlungen. Alles so weit weg, dass wir, die Normalbürger, das sowieso nicht nachvollziehen können.
Wir sind froh, wenn wir in diesen Zeiten über die Runden kommen. Und dabei droht auch uns vielfach die Ersatzbank oder gar keine Sitzgelegenheit mehr, wenn Entlassungen ausgesprochen werden. Und apropos Druck, den haben viele jeden Tag. Die Alleinerziehenden, die Inhaber mittlerer Wirtschaftsbetriebe, die um Aufträge ringen. Die Ärzte, die um unser Leben kämpfen und ihres dabei riskieren. Die Verkäuferinnen, die bei 36 Grad acht Stunden mit der Maske die Regale befüllen.
Sie alle mag manchmal auch der Wunsch nach einem Rücktritt überfallen in stillen Stunden oder vor dem Einschlafen mit der Angst vor dem nächsten Tag. Nur können sich alle einen solchen schlicht nicht leisten. Die Maloche geht weiter, muss weiter gehen. Das ist das Leben.

Zurückhaltung wäre angebracht

Schürrle hat seinen Vertrag vorzeitig gekündigt und soll dafür angeblich 2,5 Millionen Euro erhalten haben. Ein Drittel seines ansonsten fälligen Jahresgehalts. Und auch Höwedes hat durchaus anklingen lassen, dass er fortan nicht am Hungertuch nagen muss. Jetzt hat sie die Blase in die normale, in die wirklich gnadenlose Welt entlassen.
Um möglichen Reaktionen vorzubeugen: Ich bin gänzlich frei von Neidgefühlen jedweder Art. Jeder darf seines Glückes Schmied sein und ich freue mich für diejenigen, die erfolgreich sind (wiewohl ich es schon auch toll erwischt habe, indem ich mein Hobby bei Eurosport zum Beruf machen konnte). Allerdings würde den Fußballspielern weltweit jetzt in diesen wirtschaftlich und gesellschaftlich problematischen Zeiten ein wenig mehr Zurückhaltung, verknüpft mit etwas Demut, durchaus gut zu Gesicht stehen, zumal die Quellen, die Milch und Honig im Überfluss gespendet haben, allmählich versiegen.
Der Fußball muss sich neu erfinden und mit ihm seine Protagonisten. Nachtreten ist dabei wie im richtigen Spiel nicht hilfreich und ein böses Foul, das mit einer Roten Karte bestraft wird.

Zur Person Sigi Heinrich:

Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichnete Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich widmet sind in seinen Blogs der gesamten Vielfalt des Sports inklusive der komplizierten Mechanismen der Sportpolitik. Mal sehr ernsthaft, mal mit einem verschmitzten Augenzwinkern und manchmal auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle was dabei sein.
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