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PSG: Beerdigt und neu geboren

Eurosport
VonEurosport

Update 08/01/2013 um 10:17 GMT+1 Uhr

Es wirkt wie blanker Zynismus. Eine weiße Seite ohne jeglichen Inhalt. Was mal war, wurde ausradiert, einfach gelöscht. Symbolträchtiger könnte die Situation bei Paris Saint-Germain kaum skizziert werden als mit diesem Mausklick auf die englischsprachige Homepage des Klubs. Ein Klick auf die Rubrik "History". Es trifft den Nagel auf den Kopf. Die Geschichte von PSG ist Geschichte.

Paris Saint-Germain im Wandel

Fotocredit: Getty Images

Zurück auf null, der Klub wird einfach beerdigt, um sofort wiederaufzustehen. Geschichte passiert nun nicht mehr einfach nur, sie wird am Reißbrett geplant.
Wie massiv die Eingriffe sind, wird an der Aussage eines Karl-Heinz Rummenigge deutlich.
Obgleich man den Bayern-Boss nicht gerade als Franz von Assisi des modernen Fußballs bezeichnen mag, läuten sogar bei ihm die Alarmglocken: "Es ist ein Punkt erreicht, an dem der Fußball seine Authentizität behalten muss und nicht komplett in die Hände von Investoren fallen darf. Er darf nicht nur Spielzeug von Leuten sein, die sich einen Namen machen wollen."
Die, das sind die Scheichs des "Qatar Sports Investment“. Und eines muss man QSI lassen, sie haben die Sache ziemlich geschickt eingefädelt.
Neuer Name, neues Wappen, neuer Klub
Mit Paris Saint-Germain wird ein Klub neu erfunden, den viele ohnehin schon aufgegeben hatten. PSG, das stand in den letzten Jahren für katastrophales Management, Abstiegskampf und Gewaltexzesse innerhalb der eigenen Fanszene zwischen der "Tribune Boulogne" und der "Tribune Auteuil“. Für Erfolg stand PSG schon länger nicht mehr.
Insofern könnte man meinen, dass der Einstieg von QSI noch das Beste ist, was dem Klub überhaupt passieren konnte. Aus der Gosse zurück ins Establishment, die Katharsis aus Katar. Und deshalb ist der Name bald Schall und Rauch, aus Paris Saint-Germain wird der Paris Football Club, aus PSG wird PFC.
Kritiker der millionenschweren Heuschreckenattacke aus dem Emirat würden dabei das F gerne für ein V eintauschen, zu künstlich kommt der Hauptstadtklub seit der Übernahme schließlich daher.
Das Wappen mit Lilie und Wiege unter dem Eiffelturm wird einfach abgeschafft, QSI will ein neues vorstellen. Alles nicht so schlimm, meinen jene, die dem erst 1970 gegründeten Verein ohnehin die Tradition absprechen.
Ein Mangel an Geschichte?
Tatsächlich sind mit Racing Club und Red Star die wahren Pariser Traditionsklubs längst in der Versenkung verschwunden. Und dennoch kann man dem zweifachen Meister PSG den Anspruch auf Tradition nicht absprechen, nur weil das Gründungsjahr nicht aus der Zeit der französischen Industrialisierung datiert.
PSG war mitunter immerhin stilprägend für die französische Fanlandschaft. Das wird sich nun ändern, wenn ein recht junger Klub zerschlagen wird, um ihn "tout de suite" aus der Retorte zu ziehen.
"Wo sich früher rechtsgesinnte Bürgersöhne und Migranten aus der Banlieue grölend gegenüber standen, stehen jetzt Frauen in hohen Schuhen und edlen Jeans, die in der Halbzeit den Eingangsbereich der Damentoiletten blockieren, weil sie sich die Haare richten müssen“, schreibt Charlotte Schneider in der FAZ.
Die beiden Tribünen "Boulogne“ und "Auteuil“ wurden ausgekehrt - und so landete im Prinzenpark auch die Stimmung im Müll. Ein trister Status quo, dem selbstverständlich auch die aufreizend bekleideten Cheerleader wenig entgegenhalten können.
Sieg, Stars und Titel
Cedric Rouquette bestätigt, dass man die Eventisierung in Paris nicht allzu kritisch sehen würde. "Für einige Fans ist das zwar eine Katastrophe, nicht aber für die Mehrheit der Stadionbesucher“, meint der Chef-Redakteur von Eurosport Frankreich. "Die Fans wollen Siege, sie wollen Stars, sie wollen Titel. Und sie wollen Zlatans Trikot kaufen, ob mit altem oder neuen Wappen ist da ziemlich egal."
Gegenwind gibt es vor allem von der nationalen Konkurrenz, die nun zu Recht einen fairen Wettbewerb nicht mehr gewährleistet sieht. Deshalb macht QSI auch das Financial Fairplay zu schaffen, mit dem die UEFA um Michel Platini eigentlich derartige Allmachtsfantasien von Großinvestoren im Keim ersticken will.
Schlupfloch gefunden
Doch die Scheichs scheinen einen Weg gefunden zu haben, die Regel zu umgehen und ihre monetäre Druckbetankung bei PSG fortzusetzen: das Geld sprudelt nun nicht mehr nur für Stadionname oder Trikot-Werbung, sondern für diplomatische Dienste. Paris, meint QSI, diene Katar eben als Botschafter in der Welt. Bei dieser windigen Juristerei in der Grauzone dürfte der neue Mann in der Rechtsabteilung des Unternehmens durchaus hilfreich gewesen sein: Laurent Platini, Sohn des UEFA-Bosses.
In Deutschland stürmte hingegen gestern Großinvestor Hasan Ismaik wutentbrannt aus der Präsidiumssitzung des TSV 1860 München. Der Scheich hatte wohl endgültig realisiert, dass er die "Löwen" nicht zu seinem Spielzeug würde machen können, die goldene 50+1-Regel stellt sich schützend vor den Münchner Traditionsklub.
In Frankreich gibt es diese Regel nicht. Und so klettert der Retortenklub PFC nun also langsam über den Rand des Reagenzglases hinaus in eine neue Gegenwart, in deren Zukunft ausschließlich QSI Herr über Leben und Tod sein wird.
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