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Visionär und Strippenzieher: Mit Joachim Löw in die Zukunft

Dirk Adam

Update 09/10/2016 um 19:58 GMT+2 Uhr

Joachim Löw hat keine Eile, seinen Vertrag mit dem Deutschen Fußball-Bund über 2018 hinaus zu verlängern. Aber DFB-Präsident Reinhard Grindel macht Druck. Am liebsten würde er Löws Unterschrift schon heute unter dem neuen Kontrakt sehen, der ihn wie Oliver Bierhoff mindestens bis 2020 an den Verband bindet. Der Grund ist einfach, denn momentan gibt es keinen besseren Trainer.

Strippenzieher und Visionär: Mit Löw in die Zukunft

Fotocredit: Imago

Löw fixierte den Ball genau mit seinen Augen. Der Bundestrainer nahm seinen Kopf kurz nach unten und kickte die Kugel mit der Hacke exakt zurück in Richtung Seitenlinie.
Wer den 56-Jährigen in diesen Tagen beobachtet, sieht, dass ihm fast alles gelingt. Wie der lockere 3:0 (1:0)-Sieg gegen Tschechien, den er von seinem Team gefordert hatte.
Mindestens sechs Punkte sollen es werden - mit dem Nordirland-Spiel am Dienstag in Hannover:
Es war auf jeden Fall eine überzeugende Leistung unserer Mannschaft, wir hatten das Spiel jederzeit unter absoluter Kontrolle, sehr viele gute Angriffe und viele Möglichkeiten. Der Sieg geht auch in dieser Höhe absolut in Ordnung.
Strippenzieher Löw ist es einmal mehr gelungen, sein Team in Sachen Raumaufteilung, Spielfreude und Chancenverwertung auf den Punkt in Form zu bringen, obwohl er die Mannschaft erst am Mittwoch in Hamburg begrüßen konnte. Eine der Stärken von Löw, dem seine Spieler komplett vertrauen.
Auch weil sich Löw wieder neu erfand. Mats Hummels hatte nicht immer einen leichten Stand bei ihm. Zu seinen Dortmunder Zeiten präferierte er die langen Pässe nach vorne, aber Löw bestand auf sein Kurzpassspiel. Diese Zeiten sind vorbei, denn Löw ist ein moderner Trainer, der sich anpassen kann.

EM 2016 war nur Zwischenstation

Beim Spiel gegen Tschechien glänzte nicht nur Hummels mit langen und spektakulären Diagonalbällen, sondern auch Jérôme Boateng und Toni Kroos. Ein probates Mittel, um tiefstehende Mannschaften zu überspielen. Die Suche nach neuen Offensiv-Ideen treibt Löw an, denn Deutschland ist fast immer Favorit.
Der Gegner stellt sich meistens hinten rein. Nachdem sich viele Teams auf den Stil des Weltmeisters eingestellt hatten - und die deutsche Chancenverwertung zu wünschen übrig ließ, sucht Löw nach neuen Lösungen - immer noch hochmotiviert und vom Eifer beseelt, seine Mannschaft besser zu machen
Ja, wir haben diese Woche im Training simuliert, wie Tschechien verteidigt und in der Abwehr steht. Wir haben erkannt, dass die Abwehr mit Diagonalbällen und Spielverlagerung aufzureißen ist, weil sich die Mannschaft der Tschechen im Zentrum zusammenzieht. Mit den Diagonalbällen kamen wir hinter die Abwehr und haben dort Probleme geschaffen. Die beiden Innenverteidiger haben es überragend gemacht, auch in der Spielauslösung, und waren in der Defensive ohne Fehl und Tadel.
Ohne Fehl und Tadel präsentierte sich auch Löw - der Visionär - an der Seitenlinie, der nach dem WM-Titel 2014 wieder unangreifbar geworden ist. Zwar spielte Deutschland eine holprige EM-Qualifikation und schied 2016 im EM-Halbfinale gegen Frankreich aus - an einen Rücktritt von Löw dachte aber ernsthaft keiner.
Zwar bekundete der Nationaltrainer in letzter Zeit immer wieder, dass er nach seiner Karriere als DFB-Coach gerne im Ausland als Vereinstrainer arbeiten möchte, aber sein Hauptziel ist die WM 2018 in Russland. In zwei Jahren will er seinen WM-Titel verteidigen. Die EM war nur Zwischenstation - ein Etappenziel.

Grindel will mit Löw verlängern

Wie es danach weiter geht, lässt Löw offen. Der Weltmeistertrainer kann sich durchaus vorstellen, auch ohne Vertragsverlängerung wie bei der WM 2010 in ein Turnier zu starten. Doch der Deutsche Fußball-Bund macht Druck. Zwar sanft, aber bestimmt. DFB-Präsident Reinhard Grindel will mit Löw vorzeitig verlängern.
Grindel erklärte vor dem Spiel in Hamburg:
Ich habe ja schon während der Europameisterschaft gesagt, dass ich finde, dass Jogi Löw das Beste ist, was unserer Mannschaft passieren kann. Das gilt auch über 2018 hinaus. Und wir werden jetzt miteinander darüber sprechen, wie und in welcher Form wir das vielleicht auch schriftlich fixieren.
Löw sitzt fest im Sattel. Alternativen gibt es nicht. Jürgen Klopp steht beim FC Liverpool unter Vertrag. Thomas Tuchel trainiert Borussia Dortmund. Ottmar Hitzfeld und Jupp Heynckes genießen ihren wohlverdienten Ruhestand. Also spricht alles für Löw, der bereits seine Bereitschaft signalisiert hat.
Mit 140 Länderspielen zog Löw in der ewigen DFB-Bestenliste an Helmut Schön (139 Länderspiele als Bundestrainer) vorbei. Vor ihm liegt nur noch Sepp Herberger, der die Nationalmannschaft 1954 zum ersten WM-Triumph geführt hatte. Der legendäre "Chef" betreute die deutschen Kicker insgesamt 168 Mal.

Löw greift nach neuen Rekorden

Löws Vertrag läuft noch bis zur WM 2018 in Russland. Wie der Bundestrainer zuletzt erklärte, will er sich "irgendwann mal jetzt" mit dem Verband um Präsident Grindel über seine weitere Zukunft unterhalten. Er kennt Grindels Wunsch, die Zusammenarbeit weiter auszudehnen. Aber Gelassenheit ist auch eine seiner Stärken:
Wir werden uns zu gegebener Zeit zusammensetzen und bisschen nach vorne denken. Wann, weiß ich nicht.
Der Bundestrainer hatte das DFB-Team 2006 als Nachfolger von Jürgen Klinsmann übernommen, dessen Co-Trainer er zuvor zwei Jahre lang gewesen war. Mittlerweile trainiert er Deutschland seit mehr als zehn Jahren. Zwar sind Größen wie Bastian Schweinsteiger nicht mehr im Team, seine Motivation ist aber weiter groß.
Zu seinen großen Zielen neben dem WM-Titel 2018 ist der Umbruch im DFB-Team nach der Generation Schweinsteiger, mit der Löw seine Nationalmannschaftskarriere startete. Damals waren auch Lukas Podolski, Philipp Lahm und Per Mertesacker dabei. Spieler, denen Löw blind vertraute.
Zwar standen zuletzt neun Weltmeister in Löws DFB-Startelf, aber neue Spieler drängen mehr und mehr nach. Wie Leroy Sané, Jonathan Tah, Serge Gnabry, Julian Brandt, Max Meyer oder Davie Selke, die Löw für 2018 bereits auf dem Zettel hat. Joshua Kimmich ist mittlerweile schon Stammspieler.
Die nötige Balance zwischen jung und alt zu finden, wird seine wichtigste Aufgabe sein. Läuft alles nach Plan, kann Löw nicht nur den Herberger-Rekord knacken. Mit zwei WM-Titeln würde Löw an Helmut Schön (Weltmeister 1974, Vize-Weltmeister 1966, WM-Dritter 1970) als erfolgreichstem Bundestrainer aller Zeiten vorbeiziehen.
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