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WM 2022: Manuel Neuer nach Vorrunden-Aus öffentlich angezählt - warum die Diskussion um den Keeper völlig überzogen ist

Marc Hlusiak

Update 05/12/2022 um 14:36 GMT+1 Uhr

Das WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft in Katar zieht einen Sturm der Kritik nach sich, vor dem auch Manuel Neuer nicht gefeit ist. Experten wie Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg üben öffentlich Kritik, einige Medien fordern gar einen Rücktritt der deutschen Nummer eins. So nachvollziehbar der Frust über das Vorrunden-Aus des DFB-Teams auch ist, die Debatte um Neuer ist völlig überzogen.

Neuer: "Haben keine drei Sätze miteinander gesprochen"

Gerade einmal vier volle Tage hatte Fußball-Deutschland Zeit, das Vorrunden-Aus bei der WM in Katar zu verarbeiten.
In der hiesigen Medienlandschaft wurde in dieser Zeit ausführlich nach Gründen für den zweiten WM-K.o. in Folge gesucht, beim DFB begann unmittelbar nach der Landung in Deutschland die sportliche Analyse des Turniers. Bereits am Mittwoch wollen sich DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Bundestrainer Hans-Dieter Flick, Geschäftsführer Oliver Bierhoff und dessen Vize Hans-Joachim Watzke zu ersten Gesprächen treffen. Wichtig und richtig, denn die Zeit bis zum nächsten Großevent ist knapp.
Nur 18 Monate bleiben, um aus einer verunsicherten Ex-Turniermannschaft wieder ein titelfähiges Ensemble zu formen. 2024 steht die Heim-Europameisterschaft an und im Hinblick darauf müsse schon jetzt das große Casting für "die Richtigen" beginnen, so der alarmierte Turnierdirektor Philipp Lahm.
Es ist davon auszugehen, dass die Mannschaft ihr Gesicht in den kommenden Monaten ändert. Beispielsweise ist fraglich, wie lange verdiente Spieler wie Thomas Müller (33) oder Ilkay Gündogan (32) noch mit dem Adler auf der Brust auflaufen. Auch die Situation von Deutschlands Aushängeschild Manuel Neuer wirkt derzeit fragil - aber ist sie das auch?
Sollte Manuel Neuer aus der Nationalmannschaft zurücktreten?

Effenberg spricht Neuer die "Weltklasse" ab

Nachdem sich öffentliche Debatte zunächst an Flicks Verzicht auf Stoßstürmer Niclas Füllkrug, sowie der Besetzung von defensivem Mittelfeld und Rechtsverteidigerposition entzündete, ist der Fokus der Kritik mittlerweile zwischen die Pfosten gewandert. "Er hat Fehler gemacht, die man von ihm nicht kennt", sagte Lothar Matthäus über die WM-Leistung von Neuer und forderte via "BildTV" einen offenen Konkurrenzkampf um den Platz im deutschen Tor für die EM 2024.
Stefan Effenberg ging gleich einen Schritt weiter und regte gar eine Veränderung auf der Torhüterposition an. Neuer, kritisierte der frühere Nationalspieler in seiner Kolumne bei "t-online", habe "bei dem einen oder anderen Gegentreffer nicht glücklich" agiert, "das hat jeder gesehen". Lässt man sich rein von der Statistik leiten, so kann man durchaus zu diesem Schluss kommen.
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Manuel Neuer lenkt einen Ball an die Latte - Spanien vs. Deutschland

Fotocredit: Getty Images

Zwölf Schüsse bekam Neuer in drei WM-Gruppenspielen aufs Tor - fünf waren drin, bei drei sah er nicht gut aus. Doch nicht gut aussehen heißt nicht immer auch Schuld haben. Kramen wir das 1:2 gegen Japan noch einmal hervor. Bochums Takuma Asano gewinnt ein Laufduell gegen Dortmunds Nico Schlotterbeck und zieht schließlich aus vier Metern und spitzem Winkel wuchtig ab. Da der Ball im kurzen Eck einschlägt, wird Neuer automatisch Mitschuld am Gegentreffer gegeben.
Natürlich hätte der 36-Jährige den Ball auch abwehren können. Dafür hätte es aber vor allem einen weniger platzierten Abschluss Asanos gebraucht, als einen unmenschlichen Reflex von Neuer zu erwarten. Die Kugel kommt eben mit enormer Geschwindigkeit aus kurzer Distanz exakt durch das Fenster, in dem der Ball für kaum einen Torhüter zu halten gewesen wäre. Aber ja: Torwarteck, das Totschlagargument.

Manuel Neuer: Auch in Katar mit starken Paraden

Nicht außer Acht lassen, sollte man in der Debatte um Neuer jedoch seine starken Paraden in allen drei Begegnungen - jeweils zu nicht ganz unwichtigen Zeitpunkten. Gegen Japan hielt Neuer gegen Junya Ito zunächst das 1:0 fest, gegen Spaniens Dani Olmo reagierte er in der Anfangsphase herausragend, im Gruppenfinale gegen Costa Rica schnellte sein Arm beim Schuss von Keysher Fuller schnell wie eh und je in die Höhe (Stand 1:0).
Auch deshalb verkörpert Neuer für Matthäus trotz aller Diskussionen noch immer "Weltklasse". Ein "Risiko" stelle der 36-Jährige nicht dar. Jens Lehmann, WM-Torhüter 2006, sieht ihn "nach wie vor top, top, top". Für Bundestrainer Hansi Flick ist Neuer sowieso "der beste Torhüter der Welt". Punkt.
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Takuma Asano (r.) trifft zum 2:1 für Japan gegen Deutschland - Nico Schlotterbeck und Manuel Neuer greifen nicht ein

Fotocredit: Getty Images

Dass von allen Seiten Konsequenzen für das durchweg verkorkste Turnier des DFB-Teams gefordert werden, ist nachvollziehbar. Es sind die Mechanismen, die im Sport bei Misserfolg oft greifen. Doch es ist eben nicht ratsam, aus lauter Frust in puren Aktionismus zu verfallen und die völlig falschen Veränderungen herbeizuführen. Denn eines sollte klar sein: Deutschland hat alles, aber kein Torwartproblem.
Noch nicht, denn der Zahn der Zeit nagt stetig und gnadenlos.

Kahn: "Warum nicht immer wieder verlängern?"

Neuer blieb bei einem Turnier zuletzt im EM-Achtelfinale 2016 ohne Gegentor. Sein Körper zeigt Abnutzungserscheinungen. Vor der WM 2018 war es der Mittelfuß, diesmal die Schulter. Er wirkte beide Male trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht hundertprozentig fit. Muss er deshalb Platz machen für seinen "ewigen" Stellvertreter Marc-Andre ter Stegen?
Doch auch er werde "lange brauchen" für das Verarbeiten der neuerlichen Pleite, beteuerte er. Am Samstag lenkte sich Neuer in Nürnberg beim Handball ab, wo er den HC Erlangen und Christopher Bissel anfeuerte, den Bruder seiner Freundin Anika.
In München planen sie ebenfalls noch länger mit ihm. "Bei Manuel müssten wir sicherlich nicht lange überlegen", sagte Bayern-Boss Oliver Kahn bei "Sky" über eine Vertragsverlängerung über 2024 hinaus.
Das Ende ist aus Sicht des einstigen Torwart-Titans nicht absehbar. "Manuel bringt weiterhin Weltklasse-Leistung, und solange das so ist - das kann er ja auch noch bis 40 machen oder mit über 40."
Bei der EM 2024 wäre Neuer mit schlanken 38 Jahren noch "deutlich" unter 40. Gesundheit vorausgesezt, dürfte ein Ausnahmekeeper wie er auch dann noch zum Besten gehören, was der Weltfußball auf dieser Position zu bieten hat. Oder?
Felix Martin von Eurosport Spanien in Madrid fühlt sich bei der Posse um Neuer an die um einen spanischen Weltklassekeeper im Jahr 2014 erinnert. "Es ist sehr einfach, nach einem solchen Misserfolg einen Schuldigen zu suchen - und häufig konzentriert sich die Kritik dann auf die Gesichter der Mannschaft. In Spanien gab es einen ganz ähnlichen Fall mit Iker Casillas nach der WM 2014 in Brasilien."
Damals schieden die Iberer als amtierender Weltmeister in der Vorrunde aus. Für Casillas war es das letzte große Turnier für die Nationalmannschaft.
(mit SID)
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Neuer: "Haben keine drei Sätze miteinander gesprochen"

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