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Handball-EM 2024 - Drei Dinge, die beim Unentschieden gegen Österreich auffielen: Genervter Gislason und Wurfschwäche

Christian Missy

Update 21/01/2024 um 10:57 GMT+1 Uhr

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat nach dem 22:22 (11:12)-Unentschieden gegen Österreich das Erreichen des Halbfinals nicht mehr in der eigenen Hand. Bei der schwächsten Turnierleistung verhinderte vor allem die schlechte Chancenverwertung einen Sieg. Bei Alfred Gislason sorgte das für großen Frust, doch auch der Bundestrainer muss sich unangenehme Fragen stellen lassen. Was auffiel.

EM-Halbfinale für Deutschland in Gefahr: "Druck wird nicht weniger"

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat den zweiten Sieg im zweiten Hauptrundenspiel verpasst. Gegen das Überraschungsteam Österreich gab es ein 22:22 (11:12)-Unentschieden. Dabei zeigte das DHB-Team seine schlechteste Turnierleistung und hatte vor allem bei der Chancenverwertung große Schwächen.
Nach einer ausgeglichenen Anfangsviertelstunde waren die Österreicher bis in die Schlussminute durchgehend in Führung. Phasenweise führte der ÖHB sogar mit fünf Toren. In der Schlussphase kam Deutschland aber noch einmal heran, hatte zehn Sekunden vor Schluss sogar die Chance auf den Siegtreffer, verpasste es aber, eine Abschlussmöglichkeit zu kreieren.
Damit hat die deutsche Nationalmannschaft das Erreichen des Halbfinales nicht mehr in der eigenen Hand. Das DHB-Team muss beide Spiele gegen Ungarn und Kroatien gewinnen und auf einen Ausrutscher von Österreich hoffen.
Nach dem Spiel zeigten sich die deutschen Spieler frustriert, Alfred Gislason reagierte im "ARD"-Interview besonders genervt. "Das war unglaublich schlecht von uns und bringt uns womöglich um unsere Ziele", sagte Kapitän Johannes Golla.
Drei Dinge, die beim Unentschieden des deutschen Teams gegen Österreich auffielen.

1. Gislason schaltet in den Selbstverteidigungsmodus

Auf dieses Interview hatte Alfred Gislason keine Lust. Und dann ging es noch richtig lang. Nach dem Abpfiff musste der 64-Jährige in der "ARD" Rede und Antwort stehen. Und schon die Körperhaltung mit dauerhaft verschränkten Armen signalisierte Abwehrhaltung. Zunächst kritisierte er seine eigene Mannschaft, die im Angriff "von gewissen Positionen gar keine Gefahr ausstrahlte", um dann zur Sicherheit zu präzisieren, dass er die rechte Seite meinte.
Dann kam er schnell zum entscheidenden Punkt: Die Konzentration bei der Chancenverwertung. Die war sei nämlich "grausam" gewesen. "Wir müssen von der Einstellung her besser spielen", sagte der Isländer. "Die Abwehr war sehr gut, es lag am Angriff." Mit dieser Analyse hatte der Nationaltrainer sicherlich recht, auf berechtigte Nachfragen, warum er denn nicht mehr gewechselt habe, reagierte Gislason dann aber durchaus angefressen.
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Fotocredit: SID

Warum nicht mal Philipp Weber (länger) für Juri Knorr ins Spiel bringen? Schwierig, weil Weber für die Abwehr ausgewechselt werden muss oder soll. Aber man habe (dem angeschlagenen) Knorr doch die Müdigkeit angemerkt? "Ich spiele mit dem, was wir haben", sagte Gislason. Und überhaupt: Mykola Bilyk und Lukas Hutecek würden bei Österreich jede Partie über 60 Minuten durchspielen - und das schon das ganze Turnier.
Das klang zum einen schon sehr nach Selbstverteidigungsmodus und zum anderen nach ziemlich wenig Vertrauen in die zweite Reihe. "Wir machen eine Sitzung, wir können das ansprechen, aber wir können nicht richtig trainieren", sagte Gislason noch. Vor dieser Herausforderung stehen die anderen Teams wegen des Zwei-Tages-Rhythmus aber auch. Der Anspruch für eine deutsche Handball-Nationalmannschaft muss es sein, Österreich zu besiegen. Wenn das nicht gelingt, klingt jede Erklärung wie eine Ausrede.

2. Erschreckend schwache Chancenverwertung

Mit der Hauptkritik an seiner Mannschaft hatte Bundestrainer Gislason aber natürlich recht. Die Chancenverwertung der deutschen Mannschaft war unterirdisch. "Wir haben im Angriff den Punkt verloren, wir hatten 23 Fehlwürfe", sagte er. Von Beginn an scheiterten die deutschen Handballer immer wieder am österreichischen Torwart Constantin Möstl, der eine überragende Partie zeigte und zum Spieler des Spiels ernannt wurde.
Deutschland verwarf aus allen Positionen. Sebastian Heymann aus dem Rückraum, Rune Dahmke von Linksaußen, Golla frei vom Kreis, Julian Köster nach Durchbruch, Timo Kastening vom Siebenmeter-Strich. Möstl sammelte 17 Paraden und entschärfte 47,2 Prozent der Würfe auf sein Tor. Je öfter die Deutschen am Keeper scheiterten, desto nervöser wurden sie - und bauten zunehmend technische Fehler in ihr Spiel ein.
22 Tore aus 45 Würfen ist viel zu wenig, es war mal wieder dem eigenen Torhüter Andreas Wolff (14 Paraden, 38,9 Prozent gehaltene Würfe) zu verdanken, dass es noch zum Unentschieden reichte. "Möstl hat uns zur Verzweiflung getrieben", sagte Wolff nach dem Spiel anerkennend. "Wir spielen unsere Chancen gut raus, verwerten sie aber nicht", analysierte Köster. "Wir haben den österreichischen Torhüter warmgeworfen", erklärte Heymann.
Das Frustrierende aus deutscher Sicht war, dass sich das Team aus dieser Negativ-Dynamik nie befreien konnte. Die schonungslose Selbstkritik von Kapitän Golla ("Wir machen das schlechteste Spiel, was die Angriffseffektivität angeht"), sollte Deutschland die Konzentration in den kommenden Spielen erhöhen.
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3. Deutschland spielt keinen modernen Handball

Die souveränen Siege gegen Nordmazedonien und die Schweiz sowie der Nervenkrimi gegen Island haben es ein bisschen überdeckt, aber spätestens mit dem Unentschieden gegen Österreich wird es offensichtlich: Das deutsche Offensivspiel ist nicht wirklich State of the Art. Andere Nationen spielen einen moderneren Handball.
Das fängt bei der Variante Sieben-gegen-Sechs an. Die Österreicher spielten so das gesamte Spiel, auch andere Nationen bringen im Angriff einen zusätzlichen Feldspieler - und wenn es nur temporär ist, um die gegnerische Abwehr vor neue Aufgaben zu stellen. Die Variante ist bei Handballfans nicht unumstritten, gelten doch die Gegentore per Wurf über das ganze Feld ins leere Tor bei Ballverlust als unästhetisch. Aber es ist nun mal eine Option, die einer Abwehr Schwierigkeiten bereiten kann. Deutschland spielt das gar nicht.
"Wir haben das schon einige Mal versucht", sagte Gislason. "Das ist nicht so richtig unser Ding." Der Bundestrainer analysierte auch, dass dem deutschen Angriff Wurfkraft aus dem Rückraumwürfe fehle. Aber an Gegner Österreich konnte man gut sehen, dass das Sieben-gegen-Sechs genau hierbei Abhilfe schafft. Denn wenn die Abwehr in Unterzahl ist, kann sie nicht so offensiv heraustreten. Bilyk nutzte das für einige platzierte Distanzwürfe.
Ein weiterer Punkt, in dem die anderen Nationen Deutschland voraus sind, ist das Spiel über die Zweite Welle, also über das erweiterte Tempospiel. Wenn der direkte, lange Pass auf einen durchgestarteten Spieler nicht klappt, dann hat das DHB-Team Probleme im Entscheidungsverhalten.
"Wir haben ab und zu Schwierigkeiten, den Ball nach vorne zu bringen", sagte Gislason, "weil nur einer anspielbar war." Es stimmte das Timing beim Auswechseln der Abwehrspezialisten nicht. "Wir müssen schneller aus der Zweiten Welle raus und da mehr Tore werfen", sagte auch Torwart Wolff. Nationen wie Dänemark, Schweden oder Frankreich haben nach Ballgewinnen nicht nur ein enormes Tempo, sondern auch extrem viel Sicherheit.
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