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Handball-WM - Pascal Hens im Interview: "Sollten gelernt haben, dass wir nicht die Topnation sind"

Dennis Melzer

Update 11/01/2023 um 08:06 GMT+1 Uhr

Eurosport-Experte Pascal Hens plädiert im Gespräch mit Eurosport.de dafür, der deutschen Handball-Nationalmannschaft bei der anstehenden WM in Polen und Schweden (11. bis 29. Januar) ein wenig den Druck zu nehmen. Mit Blick auf die Heim-EM im kommenden Jahr sieht Hens das Turnier als wichtigen Pfeiler in der Entwicklung. Das DHB-Team gehöre jedoch aktuell nicht zu den Topnationen, so Hens.

Eurosport Handball-Experte Pascal Hens

Fotocredit: Eurosport

Vor der Handball-WM in Schweden und Polen (11. Januar bis 29. Januar 2023) testete die deutsche Nationalmannschaft noch einmal doppelt gegen die vielversprechende Auswahl Islands. Nachdem die Nordeuropäer am Samstag noch die Oberhand behalten hatten (31:30), gewann Deutschland tags darauf in Hannover 33:31. Juri Knorr von den Rhein-Neckar Löwen avancierte mit 13 Toren zum überragenden Mann.
Eurosport-Experte Pascal Hens gibt im exklusiven Interview seine Einschätzungen fürs Turnier ab.
Der Welt- und Europameister spricht über die Ansprüche und Chancen des DHB-Teams und ordnet die Kritik von Bundestrainer Alfred Gislason an den etlichen Spielerabsagen ein.
Der 42-Jährige analysiert zudem Gislasons bisherige Amtszeit und verrät, welche Teams aus seiner Sicht ganz besonders gute Chancen auf den Titel haben.
Das Interview führte Dennis Melzer.
Herr Hens, Juri Knorr präsentierte sich im Testspiel gegen Island in bestechender Form. Was ist von ihm bei der WM zu erwarten?
Pascal Hens: Im Verlauf der Bundesliga-Hinrunde hat sich Juri bei den Rhein-Neckar Löwen in eine richtig gute Form gespielt. Ich glaube, dass er in den kommenden Jahren eine tragende Rolle im deutschen Handball übernehmen kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er die gute Form mit zur WM nehmen kann. Aber es ist immer etwas anderes, ob du im Verein spielst, dich dort tagtäglich aufeinander einstellen kannst oder in der Nationalmannschaft andere Jungs neben dir hast. Es ist nämlich als Nebenmann auch gar nicht so einfach, auf Juris Spielstil einzugehen."
Die Jungs haben eine Menge Potenzial
Inwiefern?
Hens: Er hat einen sehr schnellen Antritt und spielt sehr viel mit Tempowechseln. Da musst du immer bereit sein. Aber ich bin sehr positiv gestimmt, dass die Achse mit ihm und seinem Vereinskollegen Jannik Kohlbacher am Kreis gut funktionieren wird. Die Jungs werden mit großem Selbstvertrauen ins Turnier gehen - und dann ist es wichtig, dass man in einen Lauf kommt und auch mal ein enges Match gegen eine Topmannschaft gewinnt. Das hat in letzter Zeit leider meist gefehlt. Als deutsche Mannschaft ist man immer ambitioniert, aber wir sind keiner der Favoriten und das ist auch gut so. Intern sollte es auch mit Blick auf die Heim-EM im kommenden Jahr eine Zielstellung geben, aber der Druck, die Erwartungen von außen sollten nicht zu hoch sein. Ich freue mich einfach drauf, denn die Jungs haben eine Menge Potenzial.
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Juri Knorr bricht durch die Abwehr - Deutschland vs. Färöer

Fotocredit: Getty Images

Die deutsche Auswahl verfügt darüber hinaus über arrivierte Spieler. Wer sind die wichtigsten Leader?
Hens: Schauen wir mal. Wir haben über die letzten Jahre immer gesagt, dass wir breit aufgestellt sind und alle Positionen annähernd gleichstark doppelt besetzt haben. Was mir dabei gefehlt hat, ist jemand wie ein Mikkel Hansen bei den Dänen, der einfach in den entscheidenden Situationen sagt: 'Okay, ich bin jetzt für unser Spiel verantwortlich.' Es ist gerade in engen Spielen wichtig, dass man nicht immer nur zum Nebenmann guckt, sondern einen Leader hat, der dann auch Verantwortung übernimmt. Auch wenn er noch jung ist, ist Juri ein Typ für sowas. Er war bei den Rhein-Neckar Löwen jetzt ein halbes Jahr Dreh- und Angelpunkt und hat das Spiel gesteuert. Das ist schon mal gut.
Julian Köster macht das jetzt schon super
Julian Köster ist natürlich auch immer interessant. Für ihn ging das alles ein bisschen schnell, als Zweitligaspieler, der dann gleich wieder so in den Himmel gelobt wurde. Man muss den Jungs auch ein bisschen Zeit geben und sie nicht direkt so unter Druck setzen. Er macht das jetzt schon super, konnte in Gummersbach in der Bundesliga den nächsten Schritt machen und wird uns in den nächsten Jahren noch sehr viel Spaß machen. Im Angriff haben wir auch ein paar gute Optionen - Kai Häfner zum Beispiel. Da müssen wir uns gar nicht so große Gedanken machen. In der Abwehr ist es deutlich schwerer, so Leute wie Hendrik Pekeler oder Patrick Wiencek zu ersetzen. Das ist die große Aufgabe für die Mannschaft.
Bundestrainer Alfred Gislason hat mehr als deutlich durchblicken lassen, was er von den Absagen bzw. dem Fehlen einiger Bundesliga-Stars hält und verweist darauf, dass skandinavischen Bundesligaprofis so etwas nie und nimmer einfalle. Teilen Sie den Frust von Gislason?
Hens: Ja! (lacht) Ich kann ihn da voll und ganz verstehen. Ich habe ja auch eine ganze Weile gespielt, aber bei uns gab es diese Absagen nicht. Wir waren immer heiß darauf, für die Nationalmannschaft zu spielen. Das hat aber natürlich auch damit zu tun, ob du um den Titel mitspielst oder nicht. Wenn du wie Dänemark oder Schweden gute Chancen hast, den Titel zu holen, dann ist der Anreiz schon nochmal größer. Auf der anderen Seite - und das sage ich schon seit ein paar Jahren - freuen sich die ausländischen Spieler in der Bundesliga auch mehr darauf, mal wieder länger mit eigenen Landsleuten zu spielen, ihre Sprache zu sprechen, in dieser Gruppe zu sein und vielleicht sogar die Vorbereitung in ihrem Heimatland zu absolvieren. Das hast du bei deutschen Spielern in der Bundesliga nicht - die sind immer zuhause, sprechen immer ihre Sprache.
Ich glaube schon, dass wir in Deutschland dazu neigen, uns zu viel Druck zu machen
Ihr ehemaliger Kollege Stefan Kretzschmar hat jüngst eine andere Einstellung gefordert. Man dürfe nicht mit der Prämisse zur WM fahren: ‘Hoffentlich verlieren wir nicht.‘ Wie groß ist dieses Problem aus Ihrer Sicht?
Hens: Ich glaube schon, dass wir in Deutschland dazu neigen, uns zu viel Druck zu machen, vielleicht auch durch eine zu hohe interne Zielsetzung. Klar hat die Mannschaft Potenzial, aber das haben die anderen auch. Wir sollten aus den letzten Jahren lernen, dass wir nicht die Topnation sind. Es gibt viele Teams, die auf unserem Level spielen und gegen die man auch mal verlieren kann. Die Topnationen stehen da noch drüber. Das heißt ja nicht, dass man selbstbewusst rangehen und sagen kann, dass man an einem guten Tag auch die Topnationen schlagen kann. Das nimmt einem dann dennoch ein wenig den Druck. Wenn man jetzt mit dem Ziel ins Turnier geht, den besten Handball zu spielen und so weit zu kommen wie möglich - und dann mit einem guten Turnier Selbstvertrauen für die Heim-EM sammelt und wieder einen Schritt weiter ist, wäre das geil. Da muss man sich nicht so sehr unter Druck setzen. Ich hoffe, dass intern, aber auch von den Medien nicht zu viel erwartet wird. Wir haben in den letzten Turnieren gesehen, dass man auch mal schnell raus ist, weil die Leistungsdichte im Welthandball einfach größer geworden ist. Das soll sich jetzt nicht blöd anhören, aber da kamen in den letzten Jahren Nationen wie Portugal oder auch die Niederlande dazu, die wir früher schneller mal geschlagen haben. Die haben aufgeschlossen.
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Bundestrainer Alfred Gislason

Fotocredit: Getty Images

Bundestrainer stehen in Mannschaftssportarten immer besonders unter Druck. Wie bewerten Sie die Arbeit von Alfred Gislason seit dessen Amtsübernahme 2020? Bislang stehen Platz 12 (WM 2021), 7 (EM 2022) und das Viertelfinale bei Olympia in Tokio zu Buche.
Hens: Er hatte eine schwierige Aufgabe - wenn man nur das Turnier im letzten Jahr nimmt, in dem die Mannschaft durch endlos viele Coronafälle geschwächt wurde. Da lief viel gegen die Mannschaft. Die Mannschaft ist im Umbruch, es ist viel Unruhe im Team, es gibt diese Absagen, über die wir schon gesprochen haben und die Zeit zum Trainieren ist im Vergleich zu früher auch nicht länger geworden. Das macht die Sache nicht einfach. Ich würde es ihm und der Mannschaft mal gönnen, dass sie ein enges Match gegen ein Topteam gewinnen und sie dieser Sieg dann weiter treibt und ihnen Selbstvertrauen gibt. Das würde der Mannschaft mal guttun.
Blicken wir auf die Vorrundengegner Katar, Serbien und Algerien. Was ist von diesen drei Mannschaften zu erwarten?
Hens: Die Euphorie, die da in Katar 2015 aufgekommen war, ist mittlerweile auch wieder abgeflaut. Das Spiel sollten die Jungs auf jeden Fall gewinnen. Algerien mag eine unangenehme Mannschaft sein, aber in dieser Vorrundengruppe muss das Ziel sein, gut durchzukommen. Serbien wird das Schlüsselspiel sein, aber auch für diese Aufgabe sehe ich das Team gewappnet. Die Möglichkeit ist da, die Gruppe zu gewinnen, um dann eventuell auch im Turnier weiter zu kommen.
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Mikkel Hansen

Fotocredit: Getty Images

Lionel Messi und Kylian Mbappé waren DIE Gesichter der Fußball-WM – welche Spieler werden diese Rolle bei der Handball-WM einnehmen?
Hens: Bei Schweden wird das Jim Gottfridsson - der wird vor den eigenen Fans brennen. Er wirkt manchmal so ein wenig unscheinbar, ist aber der Dreh- und Angelpunkt im schwedischen Spiel und ein genialer Handballer. Bei den Dänen ist Mikkel Hansen immer der Go-To-Guy, aber auch der wird langsam älter. Da kommt aber mit Mathias Gidsel einer nach, der absolut das Zeug dazu hat, so ein Team zu führen. Die haben quasi zwei Leader. Wobei man ohnehin sagen muss, dass die gesamte Mannschaft bombastisch ist.
Dänemark und Schweden sind die absoluten Favoriten
Frankreich, Schweden und Dänemark gelten gemeinhin als heißeste Titelkandidaten – wer hat Stand jetzt die besten Karten auf die WM-Krone?
Hens: Dänemark und Schweden sind die absoluten Favoriten. Island mit Gísli Kristjánsson, Ingi Magnússon und Aron Pálmarsson wird sehr interessant werden - das ist schon eine Rückraumachse, bei der du sagst 'OKAY!'. Ich werfe da besonders ein Auge drauf. Da steckt schon viel Potenzial in der Mannschaft. Dazu kommt, dass man es ja diesen kleinen Nationen auch immer irgendwie gönnt. Da bin ich sehr gespannt drauf.
Die geplanten Live-Spiele der Gruppenphase bei Eurosport 1 im Free-TV auf einen Blick:
  • Mittwoch, 11. Januar 2023 | 20:45 Uhr | Frankreich gegen Polen (Eröffnungsspiel)
  • Donnerstag, 12. Januar 2023 | 20:15 Uhr | Island gegen Portugal
  • Samstag, 14. Januar 2023 | 20:15 Uhr | Polen gegen Slowenien
  • Montag, 16. Januar 2023 | 17:45 Uhr | Slowenien gegen Frankreich
  • Montag, 16. Januar 2023 | 20:15 Uhr | Portugal gegen Ungarn
  • Dienstag, 17. Januar 2023 | 20:15 Uhr | Katar gegen Serbien (dt. Gruppe)
Die Übertragungen der Partien im weiteren Turnierverlauf werden kurzfristig bekanntgegeben. Änderungen aus redaktionellen Gründen vorbehalten.
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Gislason über Karriereende: "Komm, hau ab"

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