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Fazit der Leichtathletik-WM 2019 in Doha: Stillstand ist der Tod

Sigi Heinrich

Update 08/10/2019 um 07:10 GMT+2 Uhr

Zwei Gold- und vier Bronzemedaillen können nicht über große Probleme hinwegtäuschen: Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) muss sich ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Tokio eingestehen, dass er auf Weltklasse-Niveau nur noch in der zweiten Liga spielt. Die Spiele von Doha gehen zudem als Farce in die Geschichte ein - Sportler sollten aufbegehren, schreibt Sigi Heinrich in seinem Blog.

Heinrich-Blog | Leichtathletik-WM in Doha 2019

Fotocredit: Eurosport

Ende gut, alles gut. Könnte passen. Schließlich sprang Malaika Mihambo am Schlusstag der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Doha mit der zweitbesten Weite (7,30 Meter), die je eine deutsche Athletin erreichte, zum Titel und hat damit ebenso wie Niklas Kaul (Zehnkampf-Weltmeister) schon den Platz dank der Wildcard-Reglung für Eugene in zwei Jahren sicher.
Die Bilanz liest sich zunächst also fein aus Sicht des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV): Zweimal Gold, viermal Bronze. Hoch die Tassen.
Doch Vorsicht. Es ist ein zerbrechliches Gut, denn in unvorstellbar vielen Disziplinen ist die deutsche Leichtathletik abgehängt worden in Doha.
Männer, die laufen. Ja, es waren welche dabei. Aber von 100 m bis 10.000 m gab es keine Finalteilnahme. Über Halbfinals wurde weit übertrieben gejubelt. Wir können nicht mehr laufen. Jedenfalls nicht mehr schnell genug.

Die Welt ist enteilt

Die Welt ist enteilt. Und es war nicht so, dass viele gefehlt hätten. Die beiden Bronzemedaillen über 3000-m-Hindernis (Gesa-Felicitas Krause) und 5000 m (Konstanze Klosterhalfen) überdecken, dass auch im Laufbereich bei den Frauen große Lücken klaffen. Trotz Lückenkemper, Pinto und Rohleder.
Auch hier ist festzuhalten, dass in vielen Ländern der Welt Fortschritte erzielt wurden. Beim DLV ist Stillstand eingetreten. Doha hat vermutlich vielen die Augen geöffnet.
Es ist zehn Monate vor den Olympischen Spielen in Tokio ein Weckruf gewesen für die deutsche Leichtathletik, denn viele Disziplinen sind komplett ausgetrocknet oder man ist auf nur eine Person angewiesen, wie im Kugelstoßen, Drei- oder Weitspringen.
Und selbst wenn Storl, Hess, Heinle oder Gierisch dabei gewesen wären: Angesichts der gebotenen Leistungen in Doha wären Medaillen eine Fata Morgana gewesen. Die Finalteilnahme hätte bereits als Erfolg gewertet werden müssen.
Es ist eingetreten, was man befürchten konnte: Die Europameisterschaften im letzten Jahr waren Blendwerk. Auf der Weltbühne herrschen andere Gesetze.

Falkenjagd statt 100-Meter-Finale

Allerdings steht diese Bühne mittlerweile auch auf einem wackeligen Fundament. Die Leichtathletik hat an Bedeutung verloren in den Tagen von Doha, auch wenn die gegenteiligen Äußerungen einer wie meist in ihren Ansichten einseitig orientierten Funktionärsgilde uns etwas anderes suggerieren wollen.
Die Idee, die Leichtathletik weiter zu verbreiten, war in einem Land, das Kamelrennen und Falkenjagd bevorzugt, ein Querschläger. 5000 Zuschauer waren anwesend beim 100-m-Finale der Frauen. Und einer der größten Schandflecke war die Siegerehrung für den Hochsprungsieger aus Katar.
Sie musste verschoben werden, weil das Stadion leer war. Es fehlte gänzlich der Respekt für die Sportler, die in Doha unter widrigsten Umständen ihren Saisonhöhepunkt absolvierten.

Kühlen Kopf bewahren

Allerdings darf man die Sportler nicht gänzlich freisprechen. Sie laufen unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen einen Marathon. Sie starten bei mehr als Minus 20 Grad bei Biathlon-Rennen. Sie machen immer alles mit. Sie wehren sich nicht gegen die Willkürherrschaft ihrer Verbände und Sponsoren.
Das darf, das muss man ihnen anlasten. Werden sie gezwungen, einen Marathon zu laufen unter Bedingungen, bei denen es nicht um die Zeit geht, sondern nur darum zu überleben? Werden sie gezwungen, bei minus 20 Grad in die Langlaufski zu steigen? Ja. Eindeutig.
Die Verbände müssen ihren Sponsoren gegenüber Leistungen erbringen. Zu den Sponsoren zählt in Deutschland auch der deutsche Steuerzahler. Ohne Moos nichts los. So werden die Sportler benutzt, wehren sich nicht dagegen, weil jeder Widerspruch ihre Position in Frage stellen wird.
Es ist ein grausamer Kreislauf zu Lasten der Sportler. Ich würde mir wünschen, dass sie mehr Flagge zeigen. Dass sie ihre Positionen stärker vertreten. Aber angesichts der nächsten Olympischen Spiele in Tokio, mitten im August, im heißesten Monat des Jahres kann das Motto weit übergreifend nur lauten: kühlen Kopf bewahren.
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