Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Olympia 2016 in Rio - Heinrich-Blog: Das Schwimm-Debakel zeigt: Deutschland steckt im Dilemma

Sigi Heinrich

Update 14/08/2016 um 14:36 GMT+2 Uhr

Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich beschäftigt sich in seinem Olympia-Blog mit dem Debakel der Schwimmer und den Gründen für das schwache Abschneiden. Er kann den Ruf nach Strukturveränderungen nachvollziehen, hält das aber nicht für den richtigen Weg. Das deutsche System ist Stärke und Schwäche zugleich. Am Ende müsse man auch lernen, bescheidener zu werden.

Franziska Hentke ist über ihre Leistung enttäuscht

Fotocredit: SID

Irgendwer muss schuld sein, wenn man leer ausgeht. Wenn es sogar noch schlechter gelaufen ist als vor vier Jahren wie bei den Schwimmern. Erneut keine Medaillen, weniger Endlaufteilnahmen. Ein sechster Platz als höchstes der Gefühle nach Abschluss aller Wettkämpfe in Rio.
Seit 16 Jahren geht es kontinuierlich bergab. Rio de Janeiro ist der ultimative Tiefpunkt. Wer also ist schuld? Der Bundestrainer? Oder all die anderen verantwortlichen Funktionäre anderer Sportarten, die ebenfalls wie die Fechter leer ausgegangen sind?
Nein, keine Personen müssen die Schuldzuweisungen aushalten. Es ist das System, so sagt etwa Hennig Lambertz, der Bundestrainer der Schwimmer. Die Strukturen, meint denn auch Paul Biedermann, der auch keinen Frieden mit olympischen Spielen geschlossen hat, müssten geändert werden. Und auch er stimmt munter in den Chor ein, der da schlicht mehr Geld fordert.
picture

Paul Biedermann beendet Karriere ohne Olympia-Medaille in Rio

Fotocredit: Imago

150 Millionen Euro gibt die Bundesregierung für den Spitzensport aus. Das hört sich viel an ist aber dennoch lächerlich wenig. Manchester United hat neulich 105 Millionen für einen Spieler ausgegeben. Die Forderung nach mehr finanziellen Zuspruch halte ich also durchaus für legitim, zumal einer neuen Untersuchung folgend die Akzeptanz für den Spitzensport in Deutschland wieder gestiegen ist.

Geld alleine nicht ausreichend

Aber Geld alleine wird die Probleme in einem Land nicht lösen, das zu Recht stolz ist auf seine föderale Struktur. Wir können in Deutschland nicht im Handstreich die Strukturen anderer, vermeintlich erfolgreicherer Länder übernehmen. Die USA haben ihr Collegesystem und einen privat finanzierten Sport. Wer was werden will, muss investieren.
Tausende wollen Eiskunstläuferinnen werden, Tausende üben in den Gymnastikhallen und müssen dafür so viel bezahlen, dass manche Eltern dafür an ihre finanzielle Schmerzgrenze gehen. Ein paar schaffen es in die Spitze. Tausende aber scheitern auch und dieses Scheitern wird billigend in Kauf genommen. Es ist ein gnadenloses System.
Wollen wir so etwas? Wohl kaum. Wir nehmen die Verantwortung ernst für alle Athletinnen und Athleten, die von meist ehrenamtlichen Übungsleitern betreut werden. Wir helfen mit unseren Vereinen, wir bieten gegen eine geringe Jahresgebühr eine engagierte, fachlich fundierte Ausbildung an. Dieses Ehrenamt in Deutschland ist eine Stärke aber auch eine Schwäche. Zu wenig durchlässig ist oft der Weg von oben nach unten. Zu groß noch immer die kleinen Eitelkeiten.

Struktur sollte nicht verändert werden

Andererseits schauen viele andere Länder voller Neid nach Deutschland, denn neben dem Geld aus dem Innenministerium stehen bei der Bundeswehr, beim Grenzschutz oder bei der Polizei Arbeitsplätze zur Verfügung, die sorgenfreies Training garantieren. Unabhängig übrigens vom sportlichen Erfolg. Kaum ein Wintersportler etwa, der nicht diese Annehmlichkeiten genießt.
An dieser Struktur ist kaum etwas auszusetzen, schon gar nicht sollte man sie verändern. Sommersportler kommen auch in öffentlichen Institutionen unter, sind aber vielfach Studenten. Das gerne zitierte duale System soll sie auffangen. Doch die Sporthilfe mit ihren verhältnismäßig geringen Beträgen taugt längst nicht mehr dazu, die finanziellen Grundlagen zu sichern. Da besteht sicher Nachholbedarf.
Wir stecken in Deutschland in einem Dilemma. Wir wollen den absoluten Leistungssport aber mit totaler Absicherung. Dafür tun wir eigentlich alles. Wir haben die beste wissenschaftliche Begleitung, die besten Trainingsanlagen und auch Sponsoren, die zusätzlich finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.

Lernen, bescheidener zu werden

Und warum schwimmen wir dann nicht schneller, fechten nicht besser und laufen nicht schneller? Weil auch die anderen längst ihre Ressourcen optimal ausnutzen, weil manche Talente über allen stehen, weil es immer wieder Ausnahmekönner gibt.
Wir können lediglich weiter optimieren, weiter trainieren und vielleicht müssen wir auch lernen, bescheidener zu werden. Wir können, wir müssen nicht, überall die Besten sein. So lange unsere Athleten dennoch Vorbilder sein können, weil sie ihre Leistungen ohne fremde Hilfe erzielt haben, ist schon viel erreicht worden. Keine Medaille bei den Schwimmern? Das ist schade.
Viel dramatischer ist die Tatsache, dass viele Kindern gar nicht mehr schwimmen können. Viele sind schon bei einer Rolle rückwärts an die Grenzen ihrer koordinativen Fähigkeiten angelangt. Noch viel mehr als für den Spitzensport muss mehr Geld zur Verfügung stehen für den Breitensport und letztlich für die Volksgesundheit. Ja, wir müssen unsere Strukturen ändern. Aber auch und vor allem an der Basis.
Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung