Giro d'Italia 2024: Tadej Pogacar gewinnt das Rosa Trikot mit zehn Minuten Vorsprung - warum war er so viel besser?
VonFelix Mattis
Publiziert 25/05/2024 um 22:36 GMT+2 Uhr
9:56 Minuten. Mit einem so großen Vorsprung, wie Tadej Pogacar es am Sonntag in Rom tun wird, hat seit dem Italiener Vittorio Adorni im Jahr 1965 niemand mehr den Giro d'Italia gewonnen. Die Dominanz des Slowenen in den vergangenen drei Wochen war atemberaubend. Auch am letzten Berg des Giros, dem Monte Grappa, ließ Pogacar all seine Kontrahenten spielend stehen. Warum war er so viel besser?
Voigt zur Pogacar-Dominanz: "Er hat trotzdem Kräfte gespart"
Quelle: Eurosport
Schaut man in die Geschichtsbücher, so fällt auf: Seit Adorni 1965 brachte vor Pogacar nur ein einziger Giro-Sieger mehr als neun Minuten Vorsprung mit ins Ziel. Das war im Jahr 2006 Ivan Basso, rund fünf Wochen später wegen seiner Verstrickungen in den Fuentes-Skandal von der Tour de France ausgeschlossen wurde.
Und auch ohne diesen Vergleich fällt vielen Beobachtern bei einer dermaßen großen Überlegenheit eines Athleten natürlich schnell das Wort Doping ein. Dieser Verdacht fährt immer mit.
Pogacar, der sechs Etappen gewann, musste Fragen zu diesem Thema in den vergangenen drei Wochen aber seltener beantworten, als andere Grand-Tour-Sieger der letzten Jahre.
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Das lag sicherlich einerseits daran, dass es sich um den Giro d'Italia handelte und nicht die Tour de France, wo das Medienaufkommen bedeutend höher ist. Andererseits aber auch daran, dass Pogacar eben vom ersten Tag der 107. Italien-Rundfahrt an als großer, übermächtiger Top-Favorit galt. Seine Dominanz schockte die Experten keineswegs.
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Highlights: Pogacar nicht aufzuhalten - nächste Machtdemonstration
Quelle: Eurosport
Von den "Big 4", wie die aktuell größten Rundfahrer genannt werden, war er der Einzige, der nach Turin zum Grande Partenza gekommen war, während Jonas Vingegaard, Remco Evenepoel und Giro-Titelverteidiger Primoz Roglic ihren Fokus voll und ganz auf die Tour de France gelegt hatten – und dann auch noch bei der Baskenland-Rundfahrt Anfang April alle drei schwer gestürzt waren.
Beinahe ein Start-Ziel-Sieg - und das wenig überraschend
Schon vor dem Start konnte sich kaum ein Experte daher vorstellen, dass Pogacar das Maglia Rosa bei seinem Debüt nicht erobern würde. Und als er es auf der 2. Etappe am Santuario di Oropa mit seinem ersten Etappensieg überstreifte – schon da mit Überlegenheit – war das erwartungsgemäß.
Was folgte, war eine dreiwöchige Prozession, während der Pogacar seinen Vorsprung immer weiter ausbaute und auch immer dominanter wirkte. Während die Konkurrenz müder wurde, schien dem Slowenen die Belastung kaum etwas auszumachen.
"So komisch es klingt: Ich glaube in seiner eigenen Wahrnehmung ist er kräfteschonend gefahren. Für uns sah das nicht so aus. Aber ich glaube er ist in einer so blendenden Verfassung, dass er wirklich glaubt, er hat Kraft gespart", sagte Eurosport-Experte Jens Voigt am Samstag im Velo Club.
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"Der soll daheim bleiben!" Fans übertreiben es am Monte Grappa
Quelle: Eurosport
Und das war der springende Punkt: Pogacar konnte im Verlauf der drei Wochen wohl wirklich mehr Kraft sparen als die Konkurrenz. Denn es gilt die alte Weisheit: Während einer Grand Tour wird man nicht stärker, man kann nur weniger müde und damit weniger schwächer werden als andere.
Pogacar-Team kann fahren, wie es will
Pogacar hatte das stärkste Team und seine Mannschaft fuhr auf den Bergetappen immer genau das Tempo, das sie und ihr Kapitän brauchten und wollten. Wirklich ärgern und stören, gar herausfordern konnte sie niemand.
Und mit dem eigens ausgewählten Tempo bewegte man sich beim UAE Team Emirates immer genau in dem Bereich, den Pogacar noch gut mitgehen konnte, der seinen direkten Gegnern aber schon etwas mehr weh tat.
Das summiert sich in drei Giro-Wochen dann auf: Jeden Tag mussten die im Vergleich mit Pogacar etwas schwächeren Gegner entsprechend etwas näher an ihr Limit gehen, was wiederum ihre Erholung verschlechterte und den Unterschied im Leistungsvermögen immer weiter vergrößerte.
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Aldag: "Ohne Pogacar wäre der Giro chaotisch geworden"
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Ein Paradebeispiel dafür war am Samstag der Monte Grappa. "Wir haben heute einen perfekten Job gemacht", waren die ersten Worte, die Pogacar in seinem Sieger-Interview sagte.
Er zählte auf: "Molano und Rui (Oliveira, Anm. d. Red.) haben von Beginn an gearbeitet bis zum ersten Berg. Dann setzten Vegard (Stake Laengen) und Mikkel (Bjerg) ein super Tempo, womit ich sehr happy war. Bergab sind wir kein Risiko eingegangen und beim zweiten Aufstieg dann ziemlich exakt genau so gefahren, wie wir es im Meeting vorher besprochen hatten. Es war perfekt."
Auch vor seiner Attacke brachten Pogacars Helfer die Konkurrenz Schritt für Schritt ans Limit, Rafal Majka fuhr sie dann nah an oder sogar in den roten Bereich. Dann schlug Pogacar einmal mehr erbarmungslos zu.
Es folgen eine Woche Pause und drei Wochen Höhe
Als der Slowene auf dem Weg hinunter zum Ziel in Bassano del Grappa eine Trinkflasche vom Betreuer am Straßenrand direkt an ein mitlaufendes Kind weiterreichte oder einige Minuten später noch einmal frech in die Kamera grinste, wirkte er völlig entspannt. Und in gewisser Weise war er das auch.
"Ich bin mit einem großen Vorsprung über den Gipfel gekommen, so dass ich in der Abfahrt nicht mehr Vollgas fahren musste", war Pogacar froh, dass sein Plan so gut funktioniert hatte.
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Bora-Sportchef Aldag zieht Giro-Fazit: "Es ist kein Wunschkonzert"
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Der Sieg zum Abschluss war für ihn und sein Gefühl vor der kommenden Pause in Richtung Tour de France wichtig. Nach dem Giro wird der 25-Jährige das Rad eine Woche in der Ecke stehen lassen, erklärte sein Sportdirektor Matxin Fernández.
Danach folgen drei Wochen Höhentrainingslager in Isola 2000 in den französischen See-Alpen, bevor es dann zum Tour-Start nach Florenz geht.
Etappensieg Nr. 6 ein Test für die Tour
"Das heute war einfach nochmal ein Test, um vor dem Sommer zu sehen, wie es geht. Ich wollte den Giro mit einem guten Eindruck beenden, in guter Form. Ich glaube, das habe ich geschafft", meinte Pogacar.
Und Bora-hansgrohe-Sportchef Rolf Aldag hielt mit Blick auf die Tour fest: "Es sitzen ja auch Leute zuhause und überlegen sich, wie sie ihn attackieren können. Ein Punkt wäre da natürlich gewesen, darauf zu hoffen, dass er zum Ende des Giros schlechter wird. Aber diese Hoffnung hat er vielen genommen."
Trotzdem: Dass Pogacar auch die Frankreich-Rundfahrt im Juli gegen Bora-Kapitän Primoz Roglic und Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) sowie vielleicht sogar ja auch noch Jonas Vingegaard (Visma-Lease a Bike) nur ansatzweise so dominiert, wie diesen Giro d'Italia, ist mit Sicherheit nicht zu erwarten - trotz derer Stürze im Baskenland am 4. April.
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Stage 21 profile and route map: Rome - Rome
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