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Jens Voigt exklusiv in seiner Kolumne zur Transfer-Posse um Cian Uijtdebroeks: "Sind die denn bescheuert?"

Eurosport
VonEurosport

Update 12/12/2023 um 10:00 GMT+1 Uhr

Der angebliche Wechsel von Cian Uijtdebroeks vom deutschen Team Bora-hansgrohe zu Jumbo-Visma sorgt für enormen Wirbel in der Radsport-Welt. Mittlerweile hat sich aus der Geschichte ein waschechter Vertragsstreit entwickelt. Eurosport-Experte Jens Voigt wirft in seiner Kolumne exklusiv einen Blick auf die Transfer-Posse rund um den umworbenen jungen Belgier.

Bora-Talent Uijtdebroeks: "Das Gelbe Trikot immer im Kopf"

Am Samstagabend vermeldete Jumbo-Visma (ab 1. Januar Visma - Lease a Bike) überraschend, dass man Top-Talent Cian Uijtdebroeks unter Vertrag genommen habe.
Dabei schien der Rennstall aus den Niederlanden die Rechnung ohne Uijtdebroeks' aktuellen Arbeitgeber Bora-hansgrohe gemacht zu haben. Kurz nach Bekanntgabe des Transfers, reagierten die Deutschen und pochten auf die Einhaltung des noch gültigen Kontraks bis Ende 2024.
"Cian ist und bleibt ein Mitglied von Bora-hansgrohe, auch in der kommenden Saison 2024", ließ das Team via "X" vermelden. Weiter hieß es: "Er ist vertraglich noch bis zum 31. Dezember 2024 an uns gebunden."
Uijtdebroeks Management sah das ganz anders und erklärte, dass der Vertrag zwischen dem Belgier und Bora-hansgrohe am 1. Dezember 2023 aufgelöst worden sei. Drei Parteien, zwei verschiedene Ansichten - da schien Ärger vorprogrammiert. Mittlerweile hat sich Uijtdebroeks vermeintlicher Wechsel zu einer echten Transfer-Posse entwickelt.
Eurosport-Experte Jens Voigt wirft in seiner Kolumne exklusiv einen Blick auf das Hickhack - und mahnt die Protagonisten zur Vernunft:
Hallo liebe Radsport-Fans,
Dieser Sport ist nie langweilig!
Was für eine Geschichte, dachte ich mir, als ich das gelesen habe. Mein zweiter Gedanke war: "Sind die denn bescheuert?" und mein dritter und hauptsächlicher Gedanke ist - wieder einmal streiten wir im Radsport in aller Öffentlichkeit, alle Welt kann zuschauen und sich Gedanken machen, wie professionell oder auch nicht wir arbeiten im Radsport, was Verträge wert sind und wie einfachste Regeln manchmal eben nicht befolgt werden.
Aber der Reihe nach. Der talentierte, junge und bisher noch sieglose Radrennfahrer Cian Uijtdebroeks möchte vom Team Bora-hansgrohe zum Team Visma - Lease a bike wechseln. So weit, so gut, nur möchte er das schon in drei Wochen machen, zum 1. Januar 2024. Unglücklicherweise für ihn beginnt aber just an dem Tag sein letztes Vertragsjahr mit dem deutschen Team.
Wie kann sein Wechsel am selben Tag verkündet werden, an dem sein bisheriges und aktuelles Team darauf hinweist, dass er noch einen gültigen und unterschriebenen Vertrag für 2024 besitzt und dass der Rennstall von Ralph Denk auf Erfüllung des Vertrages pocht und hofft. Wer ist schuld, wie konnte es so weit kommen? Berechtigte Frage.
Verstehen kann ich alle Seiten ein bisschen - und trotzdem lassen mich alle Parteien kopfschüttelnd zurück. Zuerst der Fahrer selbst: Na klar kann man verstehen, wenn ein Fahrer sich verändern möchte oder ein Team sieht, in dem er eine bessere Position bekommt oder er vielleicht einfach nur mehr Geld verdienen könnte. Aber Vertrag ist Vertrag und meistens stehen beide Seiten lächelnd vom Verhandlungstisch auf und ehren die Vereinbarung durch Erfüllung des Vertrages.
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Cian Uijtdebroeks

Fotocredit: Getty Images

Das geht ja auch in beide Richtungen: Wäre Cian früh in der Saison gestürzt, hätte Bora ihn doch sicher auch nicht gefeuert oder verkauft. Das sollte man immer bedenken in solchen Situationen. Allerdings - einen Fahrer, der partout wechseln möchte, kann und sollte man nicht behalten: Wir alle kennen das Sprichwort "Ein fauler Apfel verdirbt den ganzen Korb".
Niemand möchte einen negativ gestimmten Sportler im Team haben, der das ganze Jahr nur meckert und lamentiert. Die einzige Möglichkeit, so etwas vernünftig zu lösen, besteht darin, dass lediglich der Sportler (oder sein Management) mit dem Teamchef redet, keine dritte Person. Und dann legt man seine Karten auf den Tisch und sagt: "Das ist die Situation, wie kriegen wir jetzt die Kuh vom Eis, ohne dass einer von uns dumm aussieht oder es einen Skandal gibt?“

Du wartest doch nicht bis kurz vor Weihnachten mit so etwas - selbst wenn Bora zustimmen würde, woher sollen sie jetzt noch einen Ersatz bekommen für den Youngster?!
Vermutlich gab es den Wechselwunsch von Uijtdebroeks schon länger und vielleicht war es eine Verzweiflungstat von ihm, den Druck auf Bora zu erhöhen. Vielleicht dachte er, es würde eine Art Abkommen geben, nachdem Primoz Roglic den umgekehrten Weg gegangen ist, von Jumbo zu Bora.
Für Bora gibt es jetzt mehrere Möglichkeiten. Wenn sie richtig sauer sind, dann pochen sie auf Erfüllung des Vertrages und geben dem Fahrer wenige bis keine Rennen, sodass er ein Jahr seiner Karriere verliert - sie pochen auf Vertragserfüllung und agieren als ob alles normal wäre. Oder sie verlangen eine Strafzahlung des neuen Teams.
Die wahrscheinlichste Vorgehensweise wird in meinen Augen folgende sein: Bora macht gute Miene zum bösen Spiel, löst den Vertrag auf und lässt Uijtdebroecks ziehen. Alles andere wäre zu kompliziert, zu aufwändig oder auch zu teuer, wenn es zum Rechtsstreit kommen sollte. Und wie eingangs gesagt: Cian ist ein vielversprechender Fahrer, aber noch ohne Sieg - vielleicht tut es gar nicht so weh, ihn abzugeben?!
Sein Management und auch sein wohl neues Team haben die Situation unnötig verkompliziert - die haben doch bestimmt auch eine Rechtsabteilung und ein Presseteam: Im 21. Jahrhundert mit unseren modernen Kommunikationsmitteln darf so etwas nicht passieren. Irgendwie ein Anfängerfehler finde ich - und hat Cian jetzt eigentlich zwei Verträge gleichzeitig unterschrieben, bei Bora und Jumbo?
Es bleibt spannend - ich bin sicher, er bekommt die Freigabe von Bora: Keine optimale Lösung, aber das kleinere Übel für beide Seiten. Keine der beteiligten Parteien sieht gut aus und es schadet dem Ansehen des gesamten professionellen Radsports.
Viele Grüße,
Euer Jens

Zur Person Jens Voigt:

Jens Voigt (52) ist ein ehemaliger deutscher Radrennprofi und aktuell als Co-Kommentator für Eurosport tätig. Während seiner Karriere gewann Voigt unter anderem zwei Etappen der Tour de France (2001, 2006) und eine beim Giro d’Italia (2008). Außerdem triumphierte er zweimal bei der Deutschland Tour (2006, 2007).
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Bora-Talent Uijtdebroeks: "Das Gelbe Trikot immer im Kopf"

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