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Todes-Dramen im Radsport: Fabian Wegmann über schreckliche Momente, große Gesten und Trauerarbeit

Andreas Schulz

Update 12/04/2019 um 19:21 GMT+2 Uhr

Der Tod von Michael Goolaerts bei Paris-Roubaix bewegt die Radsportwelt weiter. Ex-Profi Fabian Wegmann hat den Klassiker als Experte für Eurosport-TV begleitet: Im Exklusiv-Interview erklärt er seine Einschätzung zum Drama um den jungen Belgier, teilt seine schmerzlichen Erinnerungen an den Tod seines Teamkollegen Wouter Weylandt 2011 und erklärt, wie die Fahrer mit der Situation umgehen sollten.

Fabian Wegmann

Fotocredit: Imago

Wie haben Sie im Rennen selbst als unser TV-Experte am Mikrofon den Sturz erlebt?
Fabian Wegmann: Den Sturz selber hat man nicht richtig gesehen, nur kurz am Rande des Bildes. Dann lag er regungslos am Boden und das sah schon ziemlich schlimm aus. Aber dass es so schlimm war, konnte man da nicht absehen, oft sind Fahrer nach einem Sturz ja kurz in einer gewissen Starre.
Die Stelle an sich war nicht besonders gefährlich - da war kein Hindernis, gegen das er hätte prallen können. Ich würde vermuten, dass er erst die Herzattacke erlitten hat und dann gestürzt ist, also nicht der Aufprall nach dem Sturz den Herzstillstand auslöste. Aber ich habe die Szene eben nur kurz im Augenwinkel wahrgenommen und kann das nicht sicher sagen.
Wie schlimm es um Goolaerts steht und dass man ihn wiederbelebt hat, haben wir erst später erfahren. Ich bin dann erst einmal davon ausgegangen, dass er ja erfolgreich reanimiert und in bester medizinischer Obhut ist und hätte nicht mit einem solchen Drama gerechnet.
Sie haben ja selbst noch als Fahrer vor zwei Jahren eine ähnliche Situation im Rennen fast direkt miterleben müssen...
Wegmann: Ja, das war beim Critérium International auf Korsika. Damals war es Daan Myngheer, der auch erst Anfang 20 war, der dort einen Herzinfarkt hatte und einen Tag später im Krankenhaus starb. Noch im Rennen war mein Teamkollege Linus [Gerdemann] hinten am Teamwagen um Trinkflaschen zu holen, und als er wieder zu mir nach vorne kam, sagte er: "Hinter dem Feld fährt einer so langsam, das kannst Du Dir nicht vorstellen, dabei fahren wir doch noch gar nicht so schnell" - und das war dieser Junge. Der ist dort gar nicht direkt gestürzt, sondern noch weitergefahren, erst später kollabiert und konnte nicht mehr gerettet werden. Das war schrecklich.
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Daan Myngheer (13.04.1993 - 28.03.2016)

Fotocredit: Imago

Wie kann es sein, dass bei austrainierten Profiathleten plötzlich und unerwartet das Herz versagt?
Wegmann: Das ist schwer zu erklären und zu verstehen. Wenn ein Fahrer seine Lizenz beantragt, muss er sich jedes Jahr umfangreichen medizinischen Untersuchungen stellen, darunter im Wechsel auch ein EKG bzw. Herz-Echo und ein Leistungstest. Das hat gute Gründe, denn das Herz eines Sportlers verändert sich ja auch, vergrößert sich beispielsweise. Johan Vansummeren, der einst Paris-Roubaix gewonnen hat, musste ja vor knapp zwei Jahren seine Karriere frühzeitig beenden, weil er Herzrhythmusstörungen bekam.
Im Fall von Michael Goolaerts muss man jetzt aber die Untersuchungen abwarten, statt zu spekulieren. Ich denke, es war leider einfach Schicksal, was da passiert ist.
Wären bessere, engmaschigere Kontrollen oder Untersuchungen ein Weg, um solche Tragödien zukünftig zu vermeiden?
Wegmann: Das kann ich nicht sagen, da fehlt mir das kardiologische Fachwissen um sagen zu können, welche Dinge man tatsächlich erkennen kann. Jeden Monat kann man sich letztlich auch nicht so einer Untersuchung unterziehen.
Hätte bei Paris-Roubaix seitens der Veranstalter etwas besser gemacht werden können, um das Unglück zu vermeiden?
Wegmann: Nein. Der Sturz an sich ist ja an einer nicht besonders gefährlichen Stelle passiert, das war nicht in einer Kurve oder da gab es kein ungesichertes Hindernis. Offensichtlich waren die Rettungskräfte auch sehr schnell zur Stelle und haben alles, was in ihren Möglichkeiten stand, getan: Sie haben ihn erfolgreich reanimiert und mit dem Hubschrauber in die Klinik nach Lille geflogen. Bei Paris-Roubaix ist es ja sogar so, dass extra auch Ärzte auf Motorrädern das Rennen begleiten, um auch auf den engen Kopfsteinpflasterpassagen schnellstmöglich eingreifen zu können.
Wie sollte das Team jetzt mit der Situation umgehen, was ist jetzt wichtig für die Mannschaftskollegen um die schreckliche Situation irgendwie verarbeiten zu können? Sie haben es ja 2011 beim Giro d'Italia selbst erleben müssen, als Ihr Zimmernachbar Wouter Weylandt tödlich stürzte.
Wegmann: Da gibt es kein Patentrezept, jeder geht da auf seine Weise mit um. Die einen stürzen sich schnell wieder ins Renngeschehen, die anderen brauchen mehrt Abstand. Ich bin eher der erstere Typ - aber damals beim Giro konnte ich einfach nicht weiterfahren. Ich brauchte da schon eine Woche um durchzuatmen, bevor ich wieder Rennen fahren konnte. Das Team hat uns damals gefragt, wie es weitergehen soll - und wir waren uns alle einig, auch ich als "Capitain de Route", dass wir aussteigen sollten.
Es war damals eine spezielle Situation, unsere Frauen waren beide schwanger - seine Tochter ist so alt wie mein Sohn. Wir lagen gemeinsam auf dem Zimmer und haben uns ausgemalt, wie das Leben als Vater sein würde. Und danach habe ich mir Gedanken gemacht, wie das ist, wenn deine Frau dann plötzlich alleine ist.
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Giro d'Italia 2011: Team Leopard gedenkt Wouter Weylandt

Fotocredit: Imago

Was kann eine Mannschaft da tun, welche Maßnahmen kann ein Rennstall ergreifen, um die Fahrer nach so einem Todesfall bestmöglich zu begleiten?
Wegmann: Was wir damals bei Team Leopard gemacht haben - und was ich sehr gut fand - dass wir zwar den Giro verlassen haben, aber noch einige Tage zusammen in Italien geblieben sind. Die Familie von Wouter kam vorbei - denn die wollten mit den Menschen sprechen, die mit ihrem Sohn dessen letzte Tage und Stunden verbracht hatten. Wir haben sehr viel miteinander geredet, darüber gesprochen, was für ein toller Mensch er war - das geht mir in der Erinnerung heute noch nahe.
Viel und offen über die Situation und die eigenen Gefühle reden zu können, das war für uns das Hilfreichste.
Wie sollten die anderen Fahrer mit den Teamkollegen von Goolaerts umgehen, wenn man sich dann wieder bei Rennen begegnet?
Wegmann: Da ist der Radsport tatsächlich wie eine große Familie. Da hat jeder Mitgefühl. Im Rennen wird ihnen jetzt niemand einen Sieg schenken, aber jeder im Peloton wird dem Team beistehen.
Ist es sinnvoll für die Mannschaft, jetzt schnell wieder ins Renngeschehen einzusteigen, gerade für ein belgisches Team ist jetzt ja die Zeit der wichtigsten Rennen?
Wegmann: Ich denke schon, dass an sich ein schneller Einstieg Sinn ergibt. Man muss aber dabei jedem einzelnen Fahrer seine Freiheiten lassen und sollte niemanden zu einem Start zwingen. Ein wenig ist das wie bei dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund: Es gibt Sportler, die können das verdrängen und machen sofort weiter - aber man sollte niemand zu etwas zwingen, sondern Leuten auch eine Pause geben, wenn sie das brauchen.
Bei uns war es damals 2011 dann so, dass nach einer kurzen Pause auch alle wieder Rennen fahren wollten. Es ist auch ein Unterschied, ob man bei einer Rundfahrt sofort am nächsten Tag wieder an den Start soll oder ob man nach einem Eintagesrennen sowieso eine kurze Pause hat. Je länger man aber daheim sitzt und sich Gedanken macht, desto schwerer wird es ein Stück auch, wieder in den Alltag zu finden.
Ich erinnere mich an die Lombardei-Rundfahrt 2006, als ich mit Paolo Bettini zusammen an der Spitze fuhr und wir am Ende gemeinsam auf dem Podium standen: Da war wenige Tage zuvor sein Bruder tödlich verunglückt und man hat gemerkt, mit welcher besonderen Energie er da gefahren ist.
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Fabian Wegmann und Paolo Bettini 2006 in der Lombardei

Fotocredit: Imago

Bettini hatte uns 2011 nach dem Tod von Wouter auch im Hotel besucht, das fand ich eine große Geste. Da erzählte er uns, wie es ihm seinerzeit mit dem Verlust seines Bruders gegangen war und wie hilfreich es für ihn war, damals gleich wieder in der Lombardei zu starten.
Die Teamkollegen von Michael Goolaerts können fast nichts Besseres tun, als für ihren verstorbenen Freund zu fahren, mit den Gedanken an ihn die Rennen zu bestreiten, Wut und Trauer in die Pedale zu treten und versuchen, für ihn zu gewinnen. Mit jedem Start und jeder Attacke setzt man auch für die Familie ein Zeichen. Denn für die ist die Situation noch schlimmer.
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