Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Tour de France 2022 - Drei Dinge, die auffielen: Kämna sitzt in der Zwickmühle

Felix Mattis

Update 13/07/2022 um 10:21 GMT+2 Uhr

Magnus Cort Nielsen hat hauchdünn vor Nick Schultz die 10. Etappe der Tour de France gewonnen. Doch aus deutscher Sicht wurden zu Beginn der zweiten Rundfahrtwoche andere Themen viel interessanter: Denn um ein Haar wäre erstmals seit Linus Gerdemann vor 15 Jahren wieder ein Deutscher auf einer Bergetappe ins Gelbe Trikot gefahren. Hier sind drei Dinge, die in Megève auffielen.

Am Galibier vorbereiten, am Granon zuschlagen: So attackiert man Pogacar

Das Duell um den Tageserfolg auf der Start- und Landebahn des Flugplatzes von Megève 1.460 Meter über dem Meer war packend.
Doch am Ende ging der Sieg des Dänen Magnus Cort Nielsen, der damit eine traumhafte erste Tour-Hälfte mit sieben Tagen im Bergtrikot krönte, unter.
Denn fast genauso eng, wie zwischen ihm und dem Australier Nick Schultz wurde es auch im Fernduell ums Gelbe Trikot zwischen Ausreißer Lennard Kämna und Titelverteidiger Tadej Pogacar.
Letztendlich behauptete der Slowene die Gesamtführung knapp und brachte Kämna so in eine unangenehme neue Situation.
picture

Highlights: Demonstranten sorgen für Chaos - Kämna erlebt gelbes Drama

Drei Dinge, die am Alpen-Flugplatz auffielen:

1. Kämna in der Zwickmühle

Um elf Sekunden hat Lennard Kämna das Gelbe Trikot verpasst. Der 25-Jährige hätte in Megève beinahe für einen deutschen Festtag bei der Tour de France gesorgt. Doch stattdessen landete er – zumindest vorübergehend – in einer taktischen Sackgasse. Denn als neuem Gesamtzweiten der Frankreich-Rundfahrt sind Kämna nun in Richtung Etappenjagd erst einmal die Hände gebunden. Keiner der Mitfavoriten wird ihn jetzt noch wegfahren lassen. Und die wilde Träumerei, Kämna wäre nun plötzlich Podiumskandidat und neuer Kapitän seines Teams für die Gesamtwertung, ist eben nur das: eine wilde Träumerei.
Beinahe entsetzt blickte der Kämna drein, als er in Megève allen Ernstes einmal mehr gefragt wurde, ob die Kapitänsrolle bei Bora – hansgrohe denn nun endgültig gewechselt habe. "Wir werden weiterhin Aleksandr Vlasov unterstützen, so lange es geht. Ich meine: Nur weil das Podium vielleicht weg ist, ist er nicht raus aus dem Spiel", sagte er.
Denn Kämna weiß, was er kann. Und das ist eben nicht der Kampf um den Tour-Sieg 2022. Mit Tadej Pogacar, Jonas Vingegaard, Primoz Roglic, Geraint Thomas, Adam Yates und Co. kann er auf Dauer im Gebirge (noch) nicht mithalten.
Er ist sicher sehr gut drauf. Doch hätte Kämna die Beine, um das zu leisten, wäre er nicht mit knapp neun Minuten Rückstand in die 10. Etappe gestartet oder hätte in Megève gegen neun seiner 24 Begleiter aus der Spitzengruppe des Tages den Kürzeren gezogen. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Kämna in diesem Jahr bereits einen sehr intensiven Giro d'Italia bestritten hat.
picture

So knapp vorbei! Kämna-Krimi um Gelb in der großen Analyse

Vom Junioren-Zeitfahrweltmeister von 2014 jetzt zu erwarten, dass er in Frankreich drei Wochen lang jeden Tag mit den Allerbesten klettert, wäre völlig vermessen.
Man möchte Kämna daher fast wünschen, dass er den Mut hat, sich am Mittwoch in Richtung Col du Granon aus den Fesseln dieser Erwartungshaltung und gleichzeitig der taktischen Sackgasse zu befreien, indem er seine Beine schont und wieder einige Minuten Rückstand kassiert, um ab Donnerstag in Richtung L'Alpe d'Huez oder Freitag in Richtung Saint-Etienne wieder offensiv agieren zu können – als "freies Elektron", wie Eurosport-Experte Jens Voigt ihn so gerne nennt.
Doch als Gesamtzweiter die Beine hoch zu nehmen, das würde das Gros der deutschen Zuschauer wohl leider vor den Kopf stoßen. Kämna muss also wohl oder übel um seine neu erworbene Gesamtwertungsplatzierung kämpfen und zumindest augenscheinlich versuchen, sich bei den Kletter-Leichtgewichten Pogacar, Vingegaard und Co. an den kommenden zwei Tagen festzubeißen – den Fans eine Show liefern und den Kampf um Gelb, von dem die deutschen Zuschauer seit 15 Jahren träumen, kämpfen.
Auch wenn genau das ihm wohl die Chance auf einen Etappensieg bei dieser Tour nehmen wird und am Ende trotzdem kein Top-5-Ergebnis in der Gesamtwertung herausspringt. So kompliziert ist Radsport.

2. Geschke nimmt Anlauf

Simon Geschke kann rechnen. Der Mann im Bergtrikot ist die 10. Etappe der Tour, seinen ersten Tag im Bergtrikot, genau so angegangen, wie er es tun musste: defensiv. In der Anfangsphase, als die Gruppe des Tages gefunden werden musste, hielt er sich noch vorne auf, um bei eventuell für sein Trikot schon am Dienstag gefährlichen Angreifern mitzugehen. Als die Gruppe, in die es seine Cofidis-Teamkollegen Benjamin Thomas und Ion Izagirre geschafft hatten, dann aber stand, war Geschkes Job erledigt.
Er rollte im Peloton mit und ließ es im Schlussanstieg locker angehen. 24 Minuten Rückstand auf Tagessieger Cort Nielsen brachte der Freiburger mit ins Etappenziel. Geschke sparte Kräfte für den Mittwoch. Denn die 11. Etappe wird bedeutend wichtiger für ihn und das Bergtrikot.
picture

Wichtigster Tag für Geschke: "Muss morgen All-In gehen"

Statt neun Punkten wie am Dienstag, gibt es am Mittwoch bis zu 55 Punkte für den Kampf ums gepunktete Kult-Trikot zu ergattern. Die Sonderwertung wird komplett auf den Kopf gestellt – Leader Geschke hat schließlich bisher erst 19 Zähler auf dem Konto. "Ich muss morgen All-In gehen, wenn ich das Trikot behalten will. Das weiß ich", sagte er in Megève am Eurosport-Mikrofon. "Das hatte ich heute im Hinterkopf und habe so gut es ging Energie gespart, um morgen frisch zu sein."
Für Geschke dürfte das Ziel am Mittwoch oben auf dem Col du Galibier liegen. Wenn er zuvor über den Col du Telegraphe und anschließend den Galibier als Erster kommt, bringt ihm das 30 Punkte. Da viele von den Klassementfahrern erwarten, die Bergankunft am Col du Granon am Etappenende unter sich ausmachen zu wollen, ist das Telegraphe-Galibier-Doppel für Ausreißer wie Geschke die beste Option zum Punktehamstern.

3. UAE an schwarzem Tag im Glück

Mit einem Schock hat die zweite Tour-Woche für Titelverteidiger Tadej Pogacar begonnen: George Bennett und auch Pogacars wohl wichtigster Edelhelfer Rafal Majka produzierten beide positive Corona-Antigentests. Das Kartenhaus des Gelben Trikots, es schien kurz vor dem Einstürzen zu sein.
Nach den PCR-Tests musste zwar nur Bennett die Heimreise antreten, weil Majkas CT-Wert gerade noch im grünen Bereich lag. Doch nach Vegard Stake Laengen zur Tour-Hälfte bereits Helfer Nummer zwei zu verlieren, das konnte Pogacar nicht gefallen haben.
picture

Corona-Ausfälle: "Das kann für Pogacar hinten raus ziemlich eng werden"

Am Ende der zweiten von vier Alpenetappen aber konnte der Slowene trotzdem von Glück reden. Pogacar kam recht locker durch den Tag und wurde nicht attackiert. Sein arg angeschlagenes Team musste noch nicht einmal ernsthaft Defensivarbeit leisten. Sogar ohne es wirklich zu wollen behielt Pogacar das Gelbe Trikot.
"Es wäre für uns perfekt gewesen, wenn Kämna das Gelbe Trikot übernommen hätte", meinte UAE-Sportdirektor Matxin Fernandez nach dem Rennen am Eurosport-Mikrofon. "Deshalb haben wir auf den letzten Kilometern aufgehört, zu führen, um den Abstand nochmal größer werden zu lassen. 9:15 Minuten wären ideal gewesen." Doch das Favoritenfeld kam stattdessen 8:54 Minuten hinter Sieger Cort Nielsen auf dem Flugfeld an, weil Jumbo-Visma, Movistar und Groupama–FDJ das Tempo am Ende hochhielten.
picture

Pogacar-Teamchef: "Kämna in Gelb wäre beste Lösung für uns gewesen"

Die Tempoarbeit der Konkurrenz im Finale hielt Pogacar im Trikot und sein Team für die kommenden Tage in der vermeintlichen Verantwortung. Doch das war es auch schon – mehr Druck übten die Mannen um Jonas Vingegaard, Primoz Roglic, Geraint Thomas, Adam Yates, David Gaudu, Enric Mas und Co. nicht auf den Gelben und sein Team aus.
Am Ende mussten sie sich alle fragen lassen: Warum? Klar war die Bergankunft in Megève nicht schwer genug, um mit Angriffen am Schlussanstieg Pogacar selbst in Probleme zu bringen. Und klar stehen zwei brutale Hochgebirgsetappen an. Doch gerade deshalb hätte die Konkurrenz am Dienstag die Chance gehabt, das ohnehin schon angeknockte UAE-Team weiter zu schwächen.
Doch als nach rund 60 Kilometern endlich die 25-köpfige Gruppe des Tages stand, hatten die Teams der Pogacar-Herausforderer keinen einzigen Mann darin untergebracht, der weniger als 20 Minuten Rückstand auf Gelb hatte.
Die Chance, Majka und Co. an einem Tag mit ohnehin schon angespannten Nerven müde zu machen, indem man sie mit Angriffen durch Fahrer wie Steven Kruijswijk, Sepp Kuss, Tom Pidcock, Daniel Martinez oder Valentin Madouas zu härterer Nachführarbeit zwingt, wurde ungenutzt liegengelassen. Am Mittwoch bietet sich ihnen am Col du Telegraphe und Col du Galibier die nächste Chance dazu.
picture

Klima-Protest eine unangenehme Pause: Die Tour ist ein leichtes Opfer

Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Ähnliche Themen
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung