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Ski-WM 2023: Fritz Dopfer im Interview - das würde ich mir von Marco Odermatt und Mikaela Shiffrin abschauen

Marc Hlusiak

Update 21/02/2023 um 10:41 GMT+1 Uhr

Gold für Alexander Schmid, Bronze für Lena Dürr. Der DSV schlug bei der Ski-WM in Courchevel und Méribel zwei Mal zu. Für Eurosport-Experte Fritz Dopfer aber nicht die einzigen herausragenden Leistungen deutscher Athleten, wie er im exklusiven Gespräch ausführt. Zudem erklärt er, warum Österreich nicht enttäuschte und was er sich von Marco Odermatt und Mikaela Shiffrin abschauen würde.

Alexander, der Große! Schmid holt Gold im Parallel-Rennen

Mit dem endete am Sonntag die alpine Ski-WM 2023 in Courchevel und Méribel.
Zwei Wochen, die jede Menge Geschichten und Heldentaten zurücklassen. Aus deutscher Sicht werden Alexander Schmids Sieg im Parallelslalom und die Bronze-Medaille von Lena Dürr im Slalom in Erinnerung bleiben.
International betrachtet sorgten die Superstars um Mikaela Shiffrin, Marco Odermatt oder Alexander Aamodt Kilde für die Highlights, auch diverse "Überraschungstäter" erklommen in den französischen Alpen das Podest.
Eurosport-Experte Fritz Dopfer lässt die vergangenen zwei Wochen im exklusiven Interview revue passieren, spricht über seinen Werdegang im Nachwuchsbereich des ÖSV und DSV und verrät, was er sich von Odermatt und Shiffrin abschauen würde.
Das Interview führte Marc Hlusiak.
Herr Dopfer, zwei Wochen Ski-WM in Méribel und Courchevel sind rum. Was hat Sie am meisten überrascht?
Fritz Dopfer: Ich hatte das Privileg, das Großereignis zum ersten Mal aus einer anderen Perspektive zu beobachten - gemeinsam mit Guido Heuber aus der Kommentatoren-Kabine für Eurosport, was mir richtig viel Spaß bereitete. Als Sportler fieberst du auf Großereignisse hin, es ist etwas Besonderes, für dein Land zu starten. Zusätzlich ist die (mediale) Aufmerksamkeit größer als bei normalen Weltcuprennen. Trotzdem sind diese besonderen Wettkämpfe immer eingebettet im Weltcup-Kalender. Sportlich betrachtet, bestätigten sich größtenteils die Weltcupergebnisse aus der bisherigen Saison. Einzige Ausnahme ist die Überraschungsweltmeisterin im Damen-Slalom, Laurence St-Germain aus Kanada. Eine weitere positive Überraschung war für mich die TV-Übertragung der WM-Abfahrt. Die neuen Kameraperspektiven mithilfe der Drohne waren überragend. Ich sah es mir gemeinsam mit ein paar Bekannten an. Alle waren begeistert über die spektakulären Bilder, diese Dynamik, diesen Mut der Athleten. Jeder Sportler, der bei der Ski-WM mit dabei ist, verdient unseren Respekt und ist ein wahres Vorbild für uns alle. Das sind die Botschaften, die der Skisport transportieren soll.
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Highlights: Crawford toppt Kilde, Pinturault und Odermatt

Herausragend aus deutscher Sicht waren die Goldmedaille für Alexander Schmid im Parallelslalom und Bronze für Lena Dürr im Slalom. Linus Strasser hat Edelmetall hingegen verpasst. Welches WM-Zeugnis stellen Sie dem DSV aus?
Dopfer: Die Leistungen der DSV-Athleten zauberten vielen Menschen ein Lächeln auf die Lippen, inklusive mir. Ich hatte das Gefühl, dass es einen starken Teamspirit innerhalb der Mannschaft gab. Die Jubelszenen nach den Erfolgen von Alex Schmid und Lena Dürr sind lebendige Beispiele hierfür. Wie ein Linus sich mit Alex mitfreute, sich DSV-Präsident Franz Steinle und DSV-Vorstand Sport Wolfgang Maier in den Armen lagen - oder wie auch DSV-Disziplinencheftrainer Markus Lenz den Servicemann von Lena Dürr, Nick Peternel, um den Hals fiel, sind Emotionen, die pur sind und alles zeigen was diesen faszinierenden Sport so ausmacht. Die weiteren Leistungen würde ich gerne differenzierter betrachten.
Gerne.
Dopfer: Die Leistungsdichte im alpinen Skisport ist inzwischen extrem hoch. Zum Beispiel waren die Top-15-Athleten im Slalom innerhalb einer Sekunde klassiert. In diesem Haifischbecken konnten sich zwei Deutsche in den Top 10 behaupten. Sebastian Holzmann krönte seine Comeback-Saison mit einem herausragenden fünften Platz. Auf diesem anspruchsvollen Hang, bei dieser tückischen Kurssetzung und seiner Vorgeschichte ist das Weltklasse. Linus Straßer hatte Pech. Zuerst der Parallel-Event, als ihm in Führung liegend die Brille verrutschte und er deshalb ausschied. Und dann kam der Slalom. Auf ihm lastete der Druck, er war der Hoffnungsträger aus deutscher Sicht. Dann lag er im Slalom bis zur letzten Zwischenzeit, 14 Fahrsekunden vor dem Ziel, auf Medaillenkurs.
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"Mega!" Holzmann mit genialer Fahrt im WM-Slalom in Top fünf

Letztlich wurde es aber nur Platz neun für den Münchner.
Dopfer: Ja, mit 31 Hundertstel Rückstand auf Bronze. Wieder mal bestätigt sich, wie eng Erfolg und Misserfolg im Skirennsport beisammen liegen. Du brauchst Nehmerqualitäten! Die Reaktion von Linus direkt nach der Zieldurchfahrt sprach Bände. In seinem Blick war eine Enttäuschung zu sehen, absolut verständlich, hatte er doch für sich einen klaren Anspruch in Richtung Top 3 formuliert. Mit ein wenig Abstand betrachtet, wird ersichtlich, dass er von 100 Fahrsekunden im WM-Slalom 86 genial gemeistert hat. Überspitzt formuliert: 86 Prozent waren top - in nahezu jedem anderen Job würde man dafür eine Auszeichnung bekommen. Linus wird wieder aufstehen, er wird seine Lehren ziehen, es wird ihn noch reifer machen und er wird sich und uns noch mehr Freude in Zukunft bereiten!
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WM-Traum passé! Straßer verliert zu viel im unteren Teil

Gibt es aus Ihrer Sicht einen Grund, dass Deutschland im Moment mehr eine Slalom- und weniger eine Speed-Nation ist?
Dopfer: Es sind natürliche Wellenbewegungen, trotzdem ist auch die Speedmannschaft an den Top-Plätzen dran. Ein Blick in die Ergebnisliste hilft auch hier, um die WM-Ergebnisse einzuordnen. Tom (Thomas Dreßen, Anm. d. Red.) hat trotz seiner schwierigen Vorbereitung auf einer äußerst anspruchsvollen Abfahrtsstrecke eine Top-Leistung gezeigt (Platz 10 in der Abfahrt, Anm. d. Red.). Es haben nur 26 Hundertstel auf Bronze gefehlt. Das ist ein Wimpernschlag. Im Super-G das identische Bild: Andi Sander fuhr auf Platz 9, ebenfalls nur knapp 40 Hundertstel hinter Bronze.
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Bronze nicht weit weg: Dreßen überzeugt in der WM-Abfahrt

Dennoch war man von den Platzierungen her ein gutes Stück von den Medaillenrängen entfernt.
Dopfer: In jedem einzelnen Athleten der Speedmannschaft steckt sehr viel Potenzial. Romed Baumann oder Josef Ferstl waren in den Trainings zur WM-Abfahrt in den Top 10 klassiert. Ein weiterer Aspekt ist, dass Simon Jocher, der einen starken Einstieg in diese Speedsaison mit exzellenten Ergebnissen in Lake Louise fand, sich leider in Beaver Creek verletzte. Er ist ein Mann für die Gegenwart und Zukunft. Herausragend, wie schnell er nach seinem Sturz und seinen Verletzungen zurückkam und bereits wieder in der Super-Kombination dabei war. Ihm traue ich in Zukunft sehr viel zu! Pech hatte Kira Weidle im Super-G, als sie während ihrer Fahrt einen Stein erwischte, der ihre Skikante beschädigte. Sie war daraufhin chancenlos. In der Abfahrt fuhr sie auf einen sehr guten 8. Platz mit gerade einmal 49 Hundertstelsekunden Rückstand auf die Bronze-Medaille.
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Frustschrei im Ziel: Weidle verpasst Medaille in Abfahrt

Wenn man die Coups von Alexander Crawford, Laurence St-Germain oder AJ Ginnis sieht, könnte man denken, dass es auch eine WM der Überraschungen war. Haben die Stars gepatzt oder diese Shootingstars einfach ihr wahres Potenzial abgerufen?
Dopfer: Die Superstars haben aus meiner Sicht abgeliefert. Denken wir an Marco Odermatt, Mikaela Shiffrin, Alexander Aamodt Kilde oder auch Marco Schwarz. Sie haben der WM ihren Stempel aufgedrückt. Trotz allem haben sich neue Gesichter einer größeren Öffentlichkeit gezeigt. AJ Ginnis für Griechenland im Slalom mit Silber, ein Alexander Cameron aus Kanada im Super-G mit Bronze. Die junge Französin Marie Lamure mit Platz 4 im Parallel-Event. Aber wissen Sie wer mich wirklich am meisten überraschte?
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Entscheidung im Slalom: Grieche Ginnis jubelt über Silber

Wer?
Dopfer: Laurence St-Germain. Sie wusste selbst nicht so genau, wie sie ihre Goldmedaille im Slalom einordnen soll. Das war ein Sensations-Coup, mit dem niemand gerechnet hat. Bei einer WM stellt sich immer die Frage: Wer passt sich den speziellen Gegebenheiten am besten an? Sie war die Jägerin, nutzte die Gunst der Stunde und war im entscheidenden Moment, auf der Piste sehr abgeklärt. Mikaela Shiffrin, Lena Dürr, Wendy Holdener und Petra Vlhová - von denen wurden Medaillen erwartet. Sie hatten diese mentale Zwangsjacke an, quasi eine Medaille holen zu müssen. Alles andere wäre eine Enttäuschung gewesen.
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Highlights: St-Germain düpiert Slalom-Elite - auch Dürr jubelt

Marco Odermatt und Mikaela Shiffrin waren die Gallionsfiguren der WM und sind für viele die derzeit besten Skifahrer:innen der Welt. Was würden Sie sich von den beiden abschauen, wenn Sie noch aktiv wären?
Dopfer: Gute Frage (lacht). Von Odermatt einerseits auf der Piste seine freche Linienwahl und andererseits abseits der Piste seine Lockerheit. Ich kann mich an zwei Tore im zweiten Durchgang des WM-Riesenslaloms erinnern, wo er mit einer Brutalität in den Steilhang reingefahren ist. Jeder andere hat bei diesen zwei Toren kurz das Tempo kontrolliert, den Ski etwas angestellt, was macht er? Er taucht in den Steilhang ein, zirkelt den Ski auf der Kante um die Kurve, als wäre es das Normalste der Welt. Dieses Urvertrauen in die eigene Stärke in diesen speziellen Momenten, das zeichnet ihn aus.
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Highlights: Odermatt gelingt die perfekte WM-Abfahrt

Und Shiffrin?
Dopfer: Die technische Stabilität und der ständige Drang des Selbstoptimierens, egal ob im Slalom, Riesenslalom oder Super-G. Ihr technischer Werkzeugkasten ist so prall gefüllt. Sie versteht es immer wieder, in jeder Situation die richtige Bewegung auszuführen. Trotz ihrer unzähligen Erfolge bleibt sie hungrig, ist auf der Suche nach neuen Impulsen, stellt bereits jetzt die Weichen für das kommende Jahr. Als Beispiel dient ihre bereits vollzogene Neuaufstellung des Trainerteams fürs kommende Jahr.
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Highlights Riesenslalom: Shiffrin nervenstark, Worley patzt

Österreich hat zwar sieben Medaillen geholt, ist im Medaillenspiegel aber nur Achter, weil es kein Gold gab. Ist das nun eine Blamage oder nicht?
Dopfer: Ich schaue nicht gerne auf den Medaillenspiegel. Fakt ist: Die Athleten des ÖSV haben sieben Medaillen, aber auch sieben vierte Plätze erreicht. Ich bin überzeugt, dass die handelnden Personen im ÖSV wissen, wie sie die Leistungen einordnen müssen.
Sie sind in Österreich geboren, aber für Deutschland gestartet. Vergleichen Sie doch einmal die Höhe der Ansprüche und den Druck, mit dem die Skiprofis in den beiden Ländern konfrontiert sind.
Dopfer: In Österreich ist der Skisport ein Volkssport, in Deutschland ist er ein wichtiger Nischensport. In Österreich kennt die mediale Aufmerksamkeit keine Grenzen. In Deutschland kennen wir das Phänomen vom Fußball, von dem auch ich ein riesiger Fan bin. In Österreich ist das Fluch und Segen zugleich. Es gibt häufig, wenn man die Medienlandschaft verfolgt, schwarz oder weiß, gut oder schlecht, historischer Erfolg oder Blamage. Damit muss man als österreichischer Athlet umgehen. Gearbeitet wird in beiden Ländern, in beiden Systemen sehr professionell und zielorientiert. Aus meiner Erfahrung heraus, ist die Durchlässigkeit von jungen Athleten aus dem FIS-Bereich in den Weltcup in Deutschland höher. Das zeigt die Möglichkeit, dass beispielsweise Emma Aicher, der Rohdiamant im DSV, bereits seit einem Jahr im Weltcup starten kann und sich in Ruhe entwickeln darf. Wichtig ist, dass einerseits nach dem Leistungsprinzip gehandelt wird und andererseits den Athleten sämtliche Unterstützung geboten wird, um sie bestmöglich zu entwickeln. Dort sehe ich zwischen dem ÖSV und dem DSV keine Unterschiede. Gleichzeitig lebt ein System von den Persönlichkeiten, die dieses zum Leben erwecken! In letzter Konsequenz - und das bestätigen alle Top-Athleten - gibt es keine Abkürzung in Richtung Weltspitze. Es ist ein beinharter Weg, auf dem es manchmal regnet, öfters schneit, dann stürmt und häufiger auch mal die Sonne scheint.
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Bestzeit vor Odermatt: Schwarz zeigt überragenden Riesenslalom

Das kann dann auch mal frustrieren, oder?
Dopfer: Jeder Athlet, da bin ich mir sicher, könnte über seine Karriere ein Buch schreiben. Ein Buchkapitel bei mir würde lauten: Charakterbildendes erstes Weltcuprennen 2007/2008. Ich war damals 20 Jahre alt, dachte dass ich gar nicht so schlecht am Ski stehe. Dann fahre ich in Sölden beim Weltcupauftakt runter, war völlig überfordert und hatte sechs Sekunden Rückstand in einem Lauf auf die Bestzeit - bei einer Schularbeit in Deutsch würde man sagen, eine völlige Themaverfehlung. In solchen Momenten zeigt sich: Liebst du deinen Sport wirklich und stemmst dich dagegen oder gibst du auf? Mein Ansatz war, dass ich am Abend nach dieser Klatsche noch eine Stunde Intervalle lief und am nächsten Tag in der Früh auf der Piste war und zehn Trainingsfahrten fuhr.
Im ÖSV besteht der Anspruch, die Ski-Nation Nummer eins zu sein. Wem würden Sie diesen "Titel" nach der WM zuschreiben?
Dopfer: Viele Athleten haben ihre Topleistungen zeigen können, jede einzelne Medaille hat ihre Geschichte. Gemäß des Medaillenspiegels sind die Schweizer das Nonplusultra, das deckt sich mit dem aktuellen Stand in der Nationenwertung im Weltcup. Topstars wie Odermatt oder Loic Meillard haben abgeliefert. Zum anderen waren die Schweizer Slalom-Cracks mit ihrem Abschneiden bei der WM nicht zufrieden. Ein genauer und differenzierter Blick lohnt sich immer. Ich bin fasziniert von den Leistungen vieler Athleten und hoffe, dass - durch die deutsche Brille geblickt - die zwei Medaillen und die sonstigen Leistungen der DSV-Athleten dazu führen, dass innerhalb des Systems ein weiterer positiver Boost entsteht und die nächste Generation an Kids und Jugendlichen ihren aktuellen Vorbildern aus dem Weltcup nacheifern werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dopfer.
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Nach Rang 16: Kristoffersen gelingt Slalom-Lauf seines Lebens

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