Sechster Titel für Ronnie: In Reichweite, aber kein Spaziergang

Gegen Shaun Murphy hat Ronnie O’Sullivan eine Meisterleistung abgeliefert. Ist "The Rocket" reif für einen sechsten Titel? Damit würde er mit Legenden wie Ray Reardon und Steve Davis gleichziehen. Auch wenn er selber immer betont, dass es für ihn nicht unbedingt sein müsse: Das wäre mehr als eine Marke. Er würde seinen Status noch mehr steigern. Wie stehen seine Chancen?

Ronnie O'Sullivan at the 2017 World Championship

Fotocredit: Getty Images

Um die Antwort sofort zu liefern: Ja, meiner Meinung nach ist der sechste WM-Titel für Ronnie O’Sullivan durchaus drin. Vor allem gegen Shaun Murphy hat er alles gezeigt, was man braucht, um im Crucible Theatre den Titel zu holen: das Spiel, die Konzentration, die Einstellung, das richtige Temperament. Diesen Ronnie am Tisch zu sehen macht riesig Spaß.
Und seine Tiefstapelei nehme ich ihm auch nicht ab. Seine Körpersprache und seine Mimik sagen für mich etwas anderes aus. Und außerdem: Er hat ja selber erzählt, dass er eigentlich die ganze Saison nicht trainiert habe (das hat man teilweise auch gemerkt), aber dass er sich jetzt sieben Wochen lang konzentriert auf die WM vorbereitet und hart gearbeitet habe. Das zahlt sich aus. Aber das macht nur, wer auch Ambitionen hat.
Diese Leistung, vor allem die Fokussierung, ist umso bemerkenswerter nach dem Rundumschlag, den er nach seinem Erstrundensieg abgeliefert hat. Barry Hearn und die Snooker-Granden würden ihn unter Druck setzen. Er fühle sich gemobbt, herumgeschubst, und er lasse sich das nicht mehr bieten. Was war der Hintergrund? Beim Masters hat Ronnie O’Sullivan Schiedsrichter Terry Camilleri auf recht despektierliche Weise kritisiert und einen Fotografen, der ihn gestört hatte, beschimpft. Nun hat er jedes Recht der Welt, einen Schiedsrichter zu kritisieren. Und wenn ein Fotograf ihn im Stoß stört, hat er auch jedes Recht, sich darüber zu beschweren und zu verlangen, dass dies unterbleibt. Nur hat all dies in angemessener Weise zu erfolgen.

Starker Tobak und harsche Erklärung

Deshalb hat ihm die WPBSA (nicht World Snooker) einen Brief geschrieben, in dem darauf hingewiesen wurde, dass ein solches Verhalten nicht akzeptabel sei, nicht den Disziplinar-Richtlinien entspreche und auch gegen Klauseln im Spielervertrag verstoße. Ich habe den Brief nicht gesehen, aber die Formulierungen darin werden nicht so zurückhaltend höflich gewesen sein wie hier in meinem Blog. Hinzu kam, dass O’Sullivan diesen Brief kurz vor seinem nächsten Turniereinsatz bekam. So fühlte er sich unter Druck gesetzt, und den Zeitpunkt fand er auch unfair. Das alles brach in dieser Pressekonferenz aus ihm heraus.
Ob er Recht hat oder nicht: Was er da sagte, meinte er auch ehrlich. Nur war es natürlich starker Tobak. Und Barry Hearn reagierte prompt mit einer harschen Erklärung. Zwei Züge rasten aufeinander zu. Die Stimme der Vernunft scheint mir da Jason Ferguson zu sein, der Vorsitzende der WPBSA. Der ist sowieso ein diplomatischer Mensch und hat angeboten, er wolle sich gerne mit Ronnie zusammensetzen und alles offen besprechen. Ich kann nur hoffe, dass dies wahr gemacht wird.

WM ist mehr als nur Ronnie

Diese Vorgeschichte macht die Leistung von Ronnie O’Sullivan im Achtelfinale umso bemerkenswerter. Aber ein Spaziergang zum Titel wird es nicht. Die WM ist mehr als nur Ronnie. Während ich dies schreibe liefern sich John Higgins und Mark Allen gerade eine grandiose Session; schon die ersten acht Frames der beiden waren atemberaubend. Das Comeback von Marco Fu, eines der größten in der Crucible-Geschichte, brauche ich gar nicht erst erwähnen. Mark Selby hat auch schon in der ersten Runde aufhorchen lassen. Ding Junhui und Liang Wenbo liefern ebenfalls ein Feuerwerk ab. Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Deshalb nur das kurze Fazit: Der Rest dieser WM wird es in sich haben.
Herzliche Grüße
Ihr Euer Rolf Kalb
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