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Sigi Heinrich | Wimbledon-Absage: Erholungsphase für das heilige Gras

Eurosport
VonEurosport

Update 04/04/2020 um 10:39 GMT+2 Uhr

Das legendäre Tennis-Turnier von Wimbledon kann aufgrund der anhaltenden SARS-CoV-2-Krise dieses Jahr nicht stattfinden. Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich beleuchtet die Absage des Traditionsturniers aus einem etwas anderen Blickwinkel - auf Augenhöhe mit der Grasnarbe. Eine Geschichte über flüsternde Grashalme und Ziegelmehl aus Frankreich.

Sigi-Heinrich-Blog zur Wimbledon-Absage

Fotocredit: Getty Images

Die "Lolium Perenne" hat gerade mächtig viel Freude. Bislang wurde nämlich ihr Wachstum im Juni radikal eingebremst. Böse Menschen kamen mit scharfen Messern und rasierten die Spitzen ab. Acht Millimeter maximal durften sich die strammen Halme dieser speziellen Rasensorte in Wimbledon auf den 19 Spiel- und 20 Trainingsplätzen in die Sonne recken und wenn dann Tennis gespielt wurde, war es ganz dramatisch.
Denn dann mussten täglich zwei Millimeter weg. Täglich. Das ist natürlich bitter und da kommst du als Grashalm auch nicht zur Ruhe, wenn du weißt, dass am nächsten Tag wieder der gesamte Tross mit Rasenmähern anrückt.

Flüsternde Gräser

Und nun dies. Totale Entwarnung. Grasige Freude. Ruhige Nächte. Im Flüsterton machte die Absage des Turniers in London die Runde. "Habt ihr schon gehört? Wir werden in diesem Jahr nicht niedergetrampelt. Wir dürfen sogar ein bisschen länger wachsen."
Verschämt freute sich "Lolium Perenne", denn man will ja jetzt nicht der Wut der "Greenkeeper" ausgesetzt werden, obwohl man ja schon den Eindruck hat, dass die Briten und auch die Verantwortlichen des All England Lawn and Croquet Clubs relativ gelassen waren.
Unter all der Trauer über die Absage mischt sich aber auch Freude. Vor allem bei "Poaannua", dem weltweit wohl am meisten verbreiteten Rispengras der Welt, das zur Familie der Süßgräser gehört. Und dieses Gras riecht Lunte und glaubt, dass mit der Absage die Chancen größer werden, sich unbemerkt und frech in das satte Grün des heiligen Rasens zu quetschen.
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Dirk Hordorff hält Wimbledon-Absage für richtig

Fotocredit: SID

Wie übrigens auch auf sehr vielen Golfplätzen, wo es sein Unwesen treibt. Aber auch da geht das Rasenpflegepersonal mit unerschütterlicher Beharrlichkeit zu Werke und versucht, den Feind erst gar nicht zur Entwicklung kommen zu lassen.

Ziegelmehl ist für Frankreich

Die Briten schauen übrigens nicht missmutig nach Frankreich, wo sie die French Open einfach mal ohne sich mit den Kolleginnen abzusprechen in den Herbst verlegt haben. Aber die Kollegen auf der anderen Seite des Ärmelkanals, die bedauernswerterweise noch in der EU bleiben müssen, brauchen ja nur billiges Ziegelmehl, das kaum einer Pflege bedarf, während bei etwas kälteren Temperaturen das Gras von Wimbledon sogar abgedeckt werden muss und im Herbst das kühle Gras einer Eisbahn gleichen könnte.
Im Grunde haben die Briten den Franzosen gezeigt, wie man in Bezug auf Sportveranstaltungen reagieren kann. Nämlich lässig, geradlinig und konsequent, weil man wohl auch versicherungstechnisch vorher seine Hausaufgaben gemacht hat. Leider sind die Politiker des Wimbledon-Landes nicht so weit. Die dachten noch vor zwei Wochen tatsächlich, dass Corona ausschließlich eine Biermarke sei.

Keine Generalprobe in Bad Homburg

Die Wimbledon-Absage hat natürlich weitreichende Auswirkungen, denn die Brüder und Schwestern von "Lolium Perenne", die in Bad Homburg oder Berlin ausgesät wurden, müssen auf ihre Premiere verzichten. Die Rasensaison ist im Eimer. Total.
Apropos Bad Homburg. Der Bad Homburger Dirk Hordorff, der auch Vizepräsident des Deutschen Tennis-Bundes ist, hat allen Ernstes vor gut einer Woche gemeint, dass die Medenspiele, also die Vereinsrunden, Ende Juni oder Anfang Juli ausgetragen werden könnten, denn so Hordorff, Tennis sei ja keine Kontaktsportart und somit der ideale Sport nach der Krise.
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Ab 2020 gibt es Rasentennis in Bad Homburg

Fotocredit: SID

Es wäre schön, wenn sein Wunsch in Erfüllung gehen könnte, zumal die Medenspiele auf Ziegelmehl stattfinden. Bis dahin kann sich Hordorff täglich seine grünen Pflänzchen anschauen, wie sie wachsen und gedeihen um dann nächstes Jahr bereit zu sein, für die Wimbledon-Generalprobe der Frauen - und garantiert ist dann auch kein einziges Rispengras zu sehen. Das reißt Hordorff zur Frustbewältigung persönlich aus der Tenniserde.

Zur Person Sigi Heinrich:

Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichnete Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich widmet sich in seinen Blogs der gesamten Vielfalt des Sports inklusive der komplizierten Mechanismen der Sportpolitik. Mal sehr ernsthaft, mal mit einem verschmitzten Augenzwinkern und manchmal auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle was dabei sein.
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