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BVB - Bayern: Warum es keine Ballbesitz-Dominanz braucht

Luca Baier

Update 25/05/2020 um 11:18 GMT+2 Uhr

Welche Rolle der Ballbesitz und Zweikampf spielen, gehört wohl zu den am meisten diskutierten aber auch den am meisten fehlgedeuteten Bereichen des modernen Fußballs. Eurosport.de erklärt daher im Vorfeld des Bundesliga-Krachers zwischen Dortmund und Bayern, welche Art von Ballbesitz das Ziel der Top-Mannschaften ist und ob eine bestimmte Zweikampfquote für den Erfolg tatsächlich entscheidend ist.

Spitzenspiel: Dortmund gegen Bayern

Fotocredit: Getty Images

Die Bundesliga ist zurück - und wie: Mit einem Heimsieg gegen den FC Bayern München könnte Borussia Dortmund am Dienstag (ab 18:30 Uhr im Liveticker bei Eurosport.de) den Rückstand auf den Tabellenführer auf einen Punkt verkürzen.
Und natürlich wird wieder heiß diskutiert, welche Faktoren das Spiel entscheiden werden. Wir wollen uns hier auf die Themen Ballbesitz und Zweikampf konzentrieren, die häufig zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen.

"Ballbesitz schießt keine Tore"

Alle Jahre wieder kommt es zur Diskussion über den Ballbesitz. Vor allem am Beispiel des FC Bayern, des FC Barcelona oder der deutschen Nationalmannschaft wird nach Misserfolgen der Ballbesitzfußball verteufelt.
Beste Beispiele hierfür sind die Finalniederlage der Bayern in der Königsklasse gegen Chelsea 2012 oder das Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018. Das Konzept des Ballbesitzfußballs wird anschließend oft in Frage gestellt, es müsse doch schließlich auch ein Plan B her.
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Müller, Kimmich, Thiago, Davies, Perisic und Gnabry vom FC Bayern

Fotocredit: Getty Images

In der ganzen Diskussion wird jedoch ein riesiger Denkfehler gemacht: Der Ballbesitz als Konzept wird überbewertet, als Mittel zum Zweck jedoch unterbewertet. Keine wirklich ambitionierte Mannschaft möchte den Ballbesitz haben, um sich die Kugel endlos durch die eigenen Reihen zuspielen zu können - sondern um Tore zu erzielen. Man spielt also nicht "auf Ballbesitz", sondern nutzt den Ballbesitz, um gut organisierte Gegner zu knacken.
Pep Guardiola wird im Buch "Herr Guardiola" von Marti Perarnau zitiert: "Ich hasse dieses ewige Tiki-Taka! Lasst mich mit dem Tiki-Taka zufrieden. Tiki-Taka ist Scheiße, eine Ersatzhandlung: sich den Ball zuspielen, um sich den Ball zuzuspielen, ohne jede Absicht oder Drang nach vorne. Nichts! Nichts! Ich werde es nicht zulassen..."
Da mittlerweile selbst Teams der 3. Liga oder sogar auf noch tieferen Leistungsebenen es verstehen, das Spielfeld durch geringe Abstände eng zu halten, erfordert das Offensivspiel Geduld. Bei einer durchdachten Offensivstaffelung bringt jeder Pass den Gegner zum Laufen – schließlich muss im kompakten Block verschoben werden, um gegen individuell stärkere Teams Überzahlsituationen und damit defensive Stabilität herzustellen.
Durch den Ballbesitz wird der Gegner also ins Laufen gebracht, was ihn sowohl körperlich als auch mental ermüdet. Schafft es ein Defensivspieler dann auf einmal nicht mehr, rechtzeitig den Raum zu schließen, erkennen Spitzenmannschaften dies und spielen den Ball sofort in die gefährliche Zone. Was dann bei Bayern oder Barcelona oft wie ein sehr einfaches, ja fast geschenktes Tor aussieht, ist mühselig durch das Ballbesitz- und Positionsspiel erarbeitet.
Eurosport-Check: Ballbesitz zum Selbstzweck schießt keine Tore, das ist korrekt. Dennoch hilft ein gutes Ballbesitzspiel, bei dem der Gegner durch gute Positionierung, Passqualität und Geduld ins Laufen gebracht wird, enorm beim Herausspielen von Torchancen. Und diese benötigt man ja bekanntlich, um Tore zu schießen.

"Wer die Zweikämpfe gewinnt, gewinnt auch das Spiel"

Die direkten Zweikämpfe werden von vielen als Kern des Fußballspiels bezeichnet: Einer hat den Ball, der andere will den Ball. Bayerns Linksverteidiger-Legende Bixente Lizarazu sagte einmal, sein wichtigster Lehrsatz sei "You have to win Zweikampf". Doch sind gewonnene Zweikämpfe wirklich so entscheidend?
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Der Blick auf die Zahlen gibt ein klares "Jein" her: In der Bundesliga gewinnt der SC Paderborn die meisten Zweikämpfe (durchschnittlich 19,8 pro Spiel / vor dem 27. Spieltag), dahinter folgen RB Leipzig (18,7) und der 1. FC Köln (18,6). Damit ist im Spitzentrio der Zweikämpfer also der Tabellenletzte, der Tabellenvierte und der Tabellenzehnte - keine klare Tendenz erkennbar.
Auch der Blick ans Ende der Zweikampftabelle kann die Wichtigkeit von gewonnenen Zweikämpfen nicht stützen: Hier stehen mit dem dem SC Freiburg (13,7) aus dem oberen Tabellenmittelfeld, Spitzenreiter FC Bayern (14,7) und Abstiegskandidat Fortuna Düsseldorf (14,8) ebenfalls Vertreter aus jeder tabellarischen Region.
Es gab schon etliche Studien über die Aussagekraft verschiedener Statistiken im Fußball, in puncto Zweikampf kam man grundsätzlich zu folgendem Ergebnis: In ungefähr der Hälfte der untersuchten Spiele gewann die Mannschaft, die auch mehr Zweikämpfe für sich entscheiden konnte. Das bedeutet also, dass die reine Anzahl an gewonnenen Zweikämpfen de facto egal ist.
Entscheidend ist der Kontext: Wer sich hinten einigelt und die Räume sehr eng macht, wird in seiner Defensivzone vermutlich recht viele Zweikämpfe gewinnen - hat dafür aber nach Ballgewinn einen sehr weiten Weg zum Tor. Wer hingegen hoch anläuft, wird in der Regel nur wenige direkte Ballgewinne nach Zweikampf haben, da der Gegner unter Druck schnell lange Bälle spielt. Gewinnt man jedoch einen Ball in der gegnerischen Hälfte, folgt daraus nicht selten eine klare Torchance. So kann ein gewonnener Zweikampf im Zweifel also wertvoller sein als zehn – auf den Kontext kommt es an.
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FC Bayern gegen Borussia Dortmund

Fotocredit: Getty Images

Um die Wertigkeit von gewonnenen Zweikämpfen greifbar(er) zu machen, gibt es mittlerweile Datenanbieter, die den taktischen Kontext mit in ihre Datenerhebung einbetten. Neben dem durch die Welt- und Europameisterschaften bekannten "Packing", das die Wertigkeit von Pässen misst, gibt es das Äquivalent auch für die Defensive. Wie viele gegnerische Spieler habe ich durch den gewonnenen Zweikampf "aus dem Spiel genommen"? Wie viele Mitspieler habe ich durch den Ballgewinn "wieder ins Spiel geholt".
Eurosport-Check: Kampf ist (vor allem im deutschen) Fußball sehr präsent. Man kämpft um den Titel, um das internationale Geschäft oder gegen den Abstieg. Trotzdem ist klar widerlegbar, dass es wichtig ist, mehr Zweikämpfe als der Gegner zu gewinnen.
Entscheidend ist der taktische Kontext. Der Lizarazu-Leitsatz "You have to win Zweikampf" muss also vielleicht in "You have to win a certain Zweikampf" abgeändert werden.
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