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Bundesliga-Kolumne LIGAstheniker: Harry Kane allein macht noch keine Mannschaft - FC Bayern muss sich hinterfragen

Thilo Komma-Pöllath

Update 11/03/2024 um 11:19 GMT+1 Uhr

Harry Kane erobert die Bundesliga in seiner Debüt-Saison im Sturm, mit 30 Toren nach 25 Spielen greift der Rekordtransfer des FC Bayern nach Superlativen. Trotzdem steht bei den Münchnern die erste titellose Saison seit 2012 ins Haus - ein Paradoxon. Der LIGAstheniker findet: Ein Kane allein macht noch keine Mannschaft und gewinnt erst recht keine Titel. Ein Kommentar von Thilo Komma-Pöllath.

Torrekord? Tuchel: "Traue Kane alles zu"

Liebe SportsfreundInnen,
Eine kleine analytische Hausaufgabe an alle Bayern-Fans zum Wochenbeginn.
Schauen Sie bitte einmal ganz nüchtern auf die Tabelle des 25. Spieltages, neun Spieltage vor Schluss. Was sehen Sie? Das: Die Bayern haben exakt zehn Tore (73) mehr erzielt als Bayer Leverkusen, acht davon am Wochenende gegen Mainz. Und zugleich zehn Punkte weniger (57) auf dem Konto als der künftige Deutsche Meister.
Einen derart großen Vorsprung hat zu einem so späten Saisonzeitpunkt noch nie ein Spitzenreiter vergeigt. Und so nüchtern wie Bayer auch Wolfsburg am Sonntag in Schach gehalten hat, ist davon nicht mehr auszugehen.
Also noch einmal: Was sehen wir? Tatsächlich sehen wir in den Zahlenspielereien den Rekordtransfer Harry Kane mit seinen 30 Ligatoren, der etwas weniger als die Hälfte aller Bayern-Treffer erzielt hat.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Ein Kane allein macht noch keine Mannschaft und schon gar keinen Meister. Um den lautmalerischen Gag mal anzubringen: Die Bayern sind deshalb Zweiter, weil sie Kane Einheit sind, auf guat bairisch: koa Mannschaft.

Kane: Weltbester Kicker ohne Titel

Dass Kane kein Synonym für Erfolg ist, ist nicht überraschend. Das wussten wir auch schon, bevor die Bayern Tottenham Hotspur den Kane-Scheck über mutmaßlich 110 oder 120 Mio. Euro mit allen Nebenkosten und Provisionen ausstellten.
Torschützenkönig - ob in der Premier League, in der Europa League oder bei der WM - war Kane quasi im Dauermodus, auch bester Spieler der Saison, aber was genau hat dieser Goalgetter mit Tottenham oder England an Titeln gewonnen? Was hat Kane in seiner 15-jährigen Profikarriere überhaupt an Titeln gewonnen? Null, nada, nüscht!
Das ist nicht in erster Linie Kanes Schuld, um den sympathischen "Most Excellent Order of the British Empire", kurz MBE, hier mal in Schutz zu nehmen. Blöd ist nur, wenn er am Ende seiner Karriere als weltbester Kicker ohne einen einzigen Titelgewinn in die Fußball-Geschichte eingehen wird.
Aber woran liegt das eigentlich? Karma, Schicksal, dumm gelaufen? Wie kann es sein, dass die Bayern elf Mal hintereinander Deutscher Meister werden, dann den englischen Weltstar kaufen und prompt Zweiter werden? Hä?
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Harry Kane vom FC Bayern

Fotocredit: Getty Images

Vorbild Dirk Nowitzki

Erlauben sie mir eine kleine gedankliche Reise in die zweite Hälfte der Karriere von Dirk Nowitzki bei den Dallas Mavericks in der amerikanischen Basketball-Profiliga NBA. Klar, Basket- und nicht Fußball, US-Draft-System und kein europäischer Transfermarkt - und dennoch: ein Mannschaftssport.
Erinnern Sie sich noch daran, wie Nowitzki persönlich auf mehrere Millionen US-Dollar verzichtet hat, damit die Mavericks einen wettbewerbsfähigen Kader einkaufen konnten? Der Deutsche wusste: Ein starker Nowitzki allein macht noch keine starke Mannschaft, er allein kann die Meisterschaft nicht gewinnen.
2011 klappte es dann, die Mavericks holten den Titel mit ihrem MVP Nowitzki. Aber was heißt das nun für die Bayern-Führung in puncto Kane?

Nicht Kane, das Kollektiv gewinnt Meisterschaften

Die Überbewertung eines Einzelnen gegenüber dem Kollektiv ist in einem Mannschaftssport Nonsens. Jeder gute Trainer wie Thomas Tuchel weiß das. Jeder intelligente Spieler weiß das auch, siehe Nowitzki. Die Heilsbringer-Logik, wie sie der FC Bayern gerne befeuert, so wie zuletzt bei Sportvorstand Max Eberl, funktioniert nicht.
Um erneut große Titel gewinnen zu können, brauchen die Bayern ein großes Kollektiv inklusive Kane und nicht Kane Plus. Also Kane plus andere zehn, welche auch immer, auf welchen Positionen auch immer. So erschien es in der jüngsten Vergangenheit.
Wenn sich nicht alle elf, oder besser, alle 23 gleich bedeutsam und wirkmächtig fühlen, dann entsteht daraus weder eine Taktik noch eine Spielidee. Und eine Mannschaft ist Kane Plus eben auch nicht.

Wo wäre der FC Bayern heute ohne Kane?

Als ehemaliger Radiomoderator und leidenschaftlicher Radiohörer lausche ich am Samstag gerne meiner Lieblingsfußballsendung "Heute im Stadion" auf "Bayern1". Fußball im Radio ist Kino im Kopf.
"Die Frage der Woche", eine Rubrik der Sendung, lautete diesmal: "Wer soll bleiben, wer soll gehen?" Gemeint war der Kader des FC Bayern. Mal abgesehen davon, dass die Frage klingt, als wäre gerade Viehmarkt, haben ja alle Spieler irgendwie noch einen Vertrag. Egal.
Ein Hörer bemängelte das unausgegorene Verhältnis zwischen Mannschaft und Kane und kritisierte auch den englischen Torjäger. Worauf sich Moderator Uwe Erdelt, offenbar ein Bayern-Fan, zu dem Kommentar bemüßigt fühlte, das könne man ja so nicht stehen lassen.
"Was wären die Bayern in dieser Saison denn ohne Kane?". Ja, was eigentlich... Deutscher Meister vielleicht?

Kommentare bei Eurosport.de geben stets ausschließlich die Meinung des/der jeweiligen Autors/Autorin wieder, nicht die der gesamten Redaktion.

ZUR PERSON: THILO KOMMA-PÖLLATH
Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog als LIGAstheniker das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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