Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Skifliegen der Damen und Material-Debatten: Werner Schuster über die Streitthemen im Skisprung-Weltcup

Tim Wehinger

Update 05/04/2023 um 15:05 GMT+2 Uhr

Frauen-Skifliegen und Materialdebatte: Eurosport-Experte Werner Schuster geht im zweiten Teil des Exklusiv-Interviews die Streitthemen im Skisprung an. Daneben zieht der Ex-Bundestrainer auch Saisonbilanz der deutschen Damen und würdigt die Erfolge von Katharina Althaus. Außerdem mit er Stellung zu Plänen, Skisprung-Events zukünftig an Orten wie Dubai oder Las Vegas auszutragen.

Schuster mit Klartext zum Streitthema Anzug: Das muss passieren

Katharina Althaus konnte in diesem Winter den Gesamtweltcup zwar nicht gewinnen, hat aber das ersehnte Einzel-Gold bei der WM geholt. Wie beurteilen Sie die Saison der Frauen?
Schuster: Bei den Frauen war es eine sehr spannende Saison mit teilweise hochklassigem Sport. Ein richtiger Farbtupfer war natürlich die Kanadierin Loutitt, die Weltmeisterin wurde. Die Slowenen haben ein bisschen an Dominanz verloren. Deutschland hat meines Erachtens eine sehr, sehr gute Saison hingelegt unter dem Trainer Maximilian Mechler, der ja noch nicht so lange dabei ist und speziell Katharina Althaus hat eine tolle Saison gezeigt. Sie war ein bisschen zu inkonstant. Sie hat sehr viel Siege erreicht, aber sie hat auch ein paar Aussetzer gehabt, deswegen konnte sie die extrem gut und stabil springende Eva Pinkelnig im Gesamtweltcup nicht mehr bis zum Schluss fordern. Aber gerade mit der WM-Goldmedaille hat sie sich gekrönt. Selina Freitag ist ganz knapp am Sieg dran und Deutschland hat da eine kompakte Mannschaft. Sie sind gut aufgestellt für die Zukunft, da kommt einiges noch in den nächsten Jahren und da würde ich mir jetzt eigentlich weniger Sorgen machen als bei den Männern, was den Nachwuchs betrifft.
Wie sehen Sie die Zukunft von Althaus, welche Ziele hat sie noch?
Schuster: Mal schauen, wie lange sie weitermacht. Sie ist ja erst 26, aber natürlich schon lange dabei. Sie hat jetzt bei mehreren Großereignissen eine Medaille geholt. Was hat sie noch offen? Sie hätte den Gesamtweltcupsieg noch offen, sie hat natürlich noch die 200 Meter offen, das hat man gesehen. Aber das ist ja noch nicht entschieden von der FIS, ob das Frauen-Skifliegen.
picture

Goldenes Wintermärchen: Althaus' Aufstieg zu den "ganz Großen"

Stichwort Skifliegen - das Novum dieses Jahr bei den Frauen. Es gibt ja Experten, die sich da sehr kritisch geäußert haben, etwa Toni Innauer, wie sehen Sie das?
Schuster: Ich kenne Innauer sehr gut. Ich habe im Vorfeld ein paarmal mit ihm gesprochen. Ich finde es auch sehr mutig, dass er sich hier so klar positioniert hat und es ist vielleicht auch gut so, dass es auch Mahner gibt. Es gibt andere Leute in der Szene, die würden sehr, sehr leichtfertig mit der Sache umgehen. Und wenn es nach denen geht, dann würden die Frauen überall runterspringen. Ich glaube, es braucht beide Seiten. Mit Vikersund war die Schanze gut gewählt, die FIS hat gut agiert und es war auch ein guter Versuch mit den besten 15 Frauen. Dann hat man auch Zeit, dann hat man nicht so einen Druck, dass man sie bei jedem Wind runterlassen muss. Und das hat eigentlich sehr, sehr gut funktioniert.
Wie sieht es mit den Leistungsunterschieden aus, die waren schon bei diesen Top 15 massiv…
Schuster: Ja, die Diskrepanz war schon groß. Ema Klinec oder Loutitt sind 225 Meter geflogen und die Zehntbeste ist dann 160 Meter geflogen - also es ist schon noch etwas zu tun. Es ist eine junge Sportart und ich würde auch die Frauen wirklich anhalten, geduldig zu bleiben und nicht zu stark vorzupreschen. Ich glaube, es braucht ein gutes Maß an Geschwindigkeit und dann kann man das Skispringen und mit einer gewissen Verzögerung auch das Skifliegen etablieren. Aber das ist immer noch Extremsport und da braucht es auch eine gewisse Demut. Es möchte keiner irgendwo einen bewusstlosen Frauenkörper runterrutschen sehen. Das würde dann auch vielleicht viele Eltern dazu veranlassen, zu sagen: Nein, meine Tochter geht nicht in diese Sportart. Also man muss es noch ein bisschen reifen lassen und es braucht, glaube ich, die Mahner. Es braucht auch jene, die Dinge weiterentwickeln wollen. Und man hat in diesem Winter einen guten Kompromiss gefunden.
picture

Entscheidung beim ersten Skifliegen: Klinec siegt - Althaus Vierte

Wie sieht das beim Material aus, das immer wieder für Debatten sorg?
Schuster: Das ist ein Dauerthema. Man hat gesehen, dass die Wettkämpfe teilweise nicht mehr steuerbar sind, man hat die Athleten neu vermessen, hat die Körpergröße, die Sitzhöhe und den Schritt quasi indirekt berechnet. Man war da sehr tolerant, das hat man auch an den Anzügen gesehen. Es sah teilweise sehr unnatürlich aus. Die Anzüge waren sehr, sehr flatterig und der Schritt sehr weit unten. Bei manchen dachte man: Haben die wirklich so kurze Beine oder was ist hier los?
picture

Schuster mit Klartext zum Streitthema Anzug: Das muss passieren

Was muss sich in diesem Bereich ändern?
Schuster: Ich denke, da ist die FIS gut beraten, hier und da wirklich mal noch mal drüber zu gehen und das einzuschränken und wirklich transparenter zu machen. Wir müssen diese Diskussionen loswerden. Wir müssen mehr zum Sport zurückkehren. Es muss der Athlet und die Athletik im Mittelpunkt stehen. Ich bemerke auch den Trend, dass es eher noch mehr Richtung kleine Springer geht. Große Springer tun sich schwer. Ich glaube, man muss wirklich schauen, wie kann man die Vorschriften so eindämmen, dass die Athletik und die Breite ein bisschen mehr gefördert werden? Im Moment ist es so extrem aerodynamisch, dass das Fliegen so viel mehr ausmacht als das Abspringen, weshalb einfach gewisse Typen bevorzugt sind.
Haben Sie ansonsten Trends ausgemacht, welche die Saison geprägt haben?
Schuster: Ich habe das Gefühl gehabt, dass sich die Nationen flugtechnisch noch einmal verbessert haben. Es gibt ja auch diesen Windkanal in Stockholm, wo die Teams jetzt ein- und ausgehen und natürlich an ihrer Flugtechnik arbeiten. Das war zu sehen, dass man extrem präzise springen muss, dass das vielleicht auch ein kleines Defizit von den deutschen Springern gewesen ist - gerade bei Karl Geiger, der, wenn man seine Armhaltung sieht, nicht auf diesem Niveau fliegt wie vielleicht andere. Die Deutschen bauen ja den Sprung mehr über den Absprung auf. Also insgesamt habe ich eine hohe Präzision gesehen, was die Flugtechnik betrifft.
Die FIS hat zu Springen in Dubai oder in Las Vegas angeregt, ermöglicht durch eine mobile Schanze. Was halten Sie grundsätzlich von solchen Ideen?
Schuster: Das mit Dubai höre ich öfter, Las Vegas aber jetzt zum ersten Mal. Das kommt mir sehr, sehr visionär vor, wenn ich es jetzt positiv formuliere, um nicht zu sagen sehr abgefahren. In Zeiten wie diesen, wo man auch über Nachhaltigkeit, Umwelt und Klimawandel spricht, würde ich sagen, die Kernmärkte müssen funktionieren. Es hat dem Skispringen gutgetan, dass man wieder nach Amerika gegangen ist, Lake Placid war wirklich ein Erfolg. Unter Walter Hofer sind wir ganz oft in den Osten gefahren, nach Kasachstan, Russland etc.. - jetzt war auch wieder mal der Westen dran. Es gibt mit Loutitt eine kanadische Weltmeisterin, da wäre es gut, wenn der Weltcup auch nach Kanada zurückkehrt und man die Schanzen in Whistler nutzen könnte. Aber ich weiß nicht, ob man jetzt unbedingt in Las Vegas und in Dubai springen sollte. Ich würde zuerst die Kernmärkte stärken.
Es geht wohl auch darum, Skispringen zu einer globalen und aber auch zu einer Ganzjahressportart zu machen - Stichwort Mattenspringen und Sommer-Grand-Prix.
Schuster: Der Sommer-Grand-Prix wurde ein bisschen mit Füßen getreten die letzten Jahre über. Unter Walter Hofer ist der ziemlich aufgeblasen worden, weil es so viele Veranstalter gab, die im Winter keinen Platz hatten. Denen hatte er erst mal ein Testevent gegeben und dann war er so zersplittert, dass die Nationen nicht mehr teilgenommen haben. Früher war es so, dass es eine kompakte Wettkampfserie gab im August und dann ist die ganze Welt zusammengekommen und hat es als willkommenes Testevent genutzt. Das waren tolle Wettkämpfe. Es gab ja auch mal die Idee einer Sommer-Vierschanzentournee. Man könnte ja auch im Sommer springen in Oberstdorf, Garmisch, Innsbruck und Bischofshofen – das sind alles Matten-Schanzen. Jetzt hat man das aufgesplittet und die Besten suchen sich die Rosinen. Da sollte eine Revolution her. Da muss man wieder aufwerten oder umbenennen oder irgendetwas machen, aber man muss in dieser Serie im Sommer die besten Leute herkriegen. Sonst bringt es nichts. Es hat doch keinen Sinn, wenn dort nur drei Österreicher teilnehmen, dann beim nächsten Event drei Slowenen und beim nächsten fünf Norweger. Entweder ordentlich oder gar nicht: Mal schauen, was hier die FIS entscheidet.
picture

Schuster exklusiv: "Schwerste Saison für Deutschland seit längerem"

Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Ähnliche Themen
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung