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Biathlon-WM - Erik Lesser vor Auftakt in Oberhof im Exklusiv-Interview: "Wenn mich jemand braucht, bin ich da"

Andreas Morbach

Update 07/02/2023 um 11:27 GMT+1 Uhr

Nach zwölf Jahren im Weltcup beendete Erik Lesser (34) im vergangenen März seine Karriere. Vor der Biathlon-WM in seinem Wohnort Oberhof spricht der Doppel-Weltmeister von 2015 im Interview mit Eurosport über einen sportlichen Sommer-Jux, die Faszination Birxsteig, selbst erlebte Nachwehen des DDR-Sports, überflüssige Medaillenvorgaben und die extreme Dominanz der norwegischen Skijäger.

Hexenkessel Oberhof: Das macht die WM-Strecke so knifflig

Die Biathlon-WM in Oberhof (8. bis 19. Februar live bei Eurosport und auf discovery+) steht unmittelbar vor der Tür. Kaum einer kennt den Hexenkessel in der Wintersport-Hochburg so gut wie der gebürtige Thüringer Erik Lesser.
Der 34-Jährige beendete im März des vergangenen Jahres seine überaus erfolgreiche Laufbahn. Insgesamt sieben WM- (darunter zwei Goldene) und drei Olympiamedaillen holte Lesser unter anderem in seiner aktiven Karriere.
Im Vorfeld der Heim-WM spricht der Doppel-Weltmeister von 2015 im Exklusiv-Interview mit Eurosport.de über die Faszination Birxsteig, selbst erlebte Nachwehen des DDR-Sports, überflüssige Medaillenvorgaben und die extreme Dominanz der norwegischen Skijäger.
Auch zu einer möglichen Teilnahme von russischen und belarussischen Sportlern an den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris hat Lesser eine klare Meinung.
Das Interview führt Andreas Morbach.
Herr Lesser, die WM gleich vor Ihrer Haustür steht an - haben Sie es im stillen Kämmerlein inzwischen schon mal bereut, Ihre Karriere nach den Peking-Spielen nicht noch um ein Jahr verlängert zu haben?
Erik Lesser: Nicht im Geringsten.
Ihre Teilnahme an den deutschen Sommer-Meisterschaften vor fünf Monaten in Oberhof war also keine neu aufflammende Sehnsucht nach Wettkämpfen?
Lesser: Es war nicht die Sehnsucht, noch mal mitzumachen, sondern eher ein kleiner Jux. Und vielleicht die Überlegung, dass man Biathlon auch in Richtung Breitensport bringen könnte. Wobei ich natürlich weiß, dass es schwierig ist, das zu transferieren. Aber zumindest Ehemalige, die noch eine Waffenbesitzkarte und Zugang zu Kleinkalibergewehren haben, könnte man damit ja vielleicht animieren. Jemanden wie Arnd Peiffer, Simon Schempp oder Daniel Böhm.
Und hat dieser Gedanke gezündet?
Lesser: Das wird man im nächsten Jahr sehen.
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Erik Lesser bei Olympia in Peking 2022

Fotocredit: Getty Images

Wie haben sich der Biathlonsport und der Standort Oberhof in Ihren Augen seit 2004 verändert?
Lesser: Ich würde sagen, die Begeisterung bei den Fans ist gleich geblieben - oftmals sogar unerklärlicherweise positiv: Auch wenn Erfolge ausblieben, war die Stimmung trotzdem immer richtig gut. Vom Aufwand her ist die Veranstaltung für das OK sicherlich größer geworden - weil man auf mehr Dinge achten muss. Außerdem gibt es neue Aufgaben bei der Frage: Was für eine Strecke will der Weltverband? Die Überlegungen und Anpassungen, die in dem Zusammenhang vorgenommen wurden, sind allerdings, muss man sagen, definitiv selten gut gelungen.
Was meinen Sie damit?
Lesser: Zum Beispiel die Henkel-Schleife. Die gibt es zwar noch. Sie wird aber nicht mehr so gelaufen, wie das ursprünglich geplant war. Manchmal war, glaube ich, auch die Angst größer, dass der Weltverband sagt: 'Wenn ihr das nicht macht, könnt ihr keinen Weltcup mehr austragen.' Jetzt ist die Strecke so wie sie ist. Aber ich glaube, Oberhof hat nichts von seiner Faszination verloren. Sondern eher noch ein bisschen draufgepackt. Weil viele Athleten weiterhin Schiss vor dem Birxsteig haben, der jetzt noch länger und dadurch noch schwerer geworden ist.
Sie sind mit 13 aufs Oberhofer Sportinternat gegangen, knapp zwölf Jahre nach dem Mauerfall war das. Inwieweit haben Sie die zentrale Rolle, die der Ort auch schon im DDR-Sport spielte, während Ihrer Karriere noch wahrgenommen?
Lesser: Ich selbst habe mit Trainern aus der ehemaligen DDR zu tun gehabt, die früher Nationalmannschaftstrainer waren und später bis zum Nachwuchs hinuntergereicht wurden - oder auch dort arbeiten wollten. Im Sportverein hat man dieses DDR-System ja schon noch längere Zeit gefahren. Da musste man sich um Material keine Sorgen machen. Nach dem Motto: Wir haben das hier im Verein, wir holen euch zu Hause ab und bringen euch auch wieder zurück. In manchen alten Bundesländern gibt es so ein Rundum-sorglos-Paket in den Vereinen ja nicht. Vielleicht im Fußball, im nordischen Wintersport habe ich davon aber noch nie etwas gehört.
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"Wahnsinn!" Lesser brilliert in seinem letzten Schießen

Sie selbst machen in Köln gerade die Ausbildung zum Diplom-Trainer. Setzt der DSV Sie denn schon irgendwo als Biathlon-Coach ein?
Lesser: Offiziell eingesetzt vom Verband bin ich nicht. Wenn mich am Stützpunkt in Oberhof jemand braucht, bin ich da. Dann mache ich Videos übers Schießen oder Laufen, gebe Anweisungen. Dazu bin ich gerne bereit. Ab und zu meldet sich auch einer. Und wenn sich keiner meldet, dann bin ich zu Hause, mach‘ meine Arbeit zur funktionsanalytischen Bewegung fertig und hol‘ meine ältere Tochter vom Kindergarten ab.
Der neue Sportdirektor Felix Bitterling hat für die WM in Oberhof bewusst keine offizielle Medaillenvorgabe formuliert. Wie gefällt Ihnen das?
Lesser: Ich finde das gut. Weil ich es vorher immer für einen völligen Quatsch gehalten habe.
Also wäre es auch eine Option, von Medaillenvorgaben künftig generell abzusehen?
Lesser: Man braucht in Deutschland ja immer irgendeinen Schlüssel, nach dem man Budgets festmacht. Bei einem Medaillenspiegel hast du natürlich alles Schwarz auf Weiß: Das haben wir erwartet, das ist dabei rausgekommen - also müssen wir künftig weniger oder mehr ausgeben. Fertig, Punkt, aus. Aber was heißt das im Umkehrschluss: In 20 Jahren werden wir bei Olympia von den Sportarten, die eh schon Medaillen gewonnen haben, wahrscheinlich ähnlich viele Medaillen sehen. Und Sportarten, die noch nie Medaillen geholt haben, die werden auch keine Medaillen bekommen. Weil sie keine Förderung mehr bekommen.
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Erik Lesser 2015 in Kontiolahti

Fotocredit: Getty Images

Norwegens Biathleten waren in den vergangenen Jahren ohnehin schon überlegen. Was haben Sie vor der Saison noch mal besser gemacht als alle anderen, um in diesem Winter so extrem zu dominieren?
Lesser: Würde man sagen, sie arbeiten speziell im Weltcup ganz toll, wäre ja irgendwann mal Schluss. Aber dann schaut man in den IBU-Cup und merkt: Oh verdammt, da sind die Norweger ja auch alle richtig gut. Egal an welchem Stützpunkt: Sie ziehen an einem Strang, haben ein Bild davon, wie sie technisch laufen wollen. Im Schießen sind sie nicht perfekt, das ist schon klar. Aber läuferisch sind sie einfach eine Klasse besser als alle anderen. Sie machen einfach eine extrem gute Arbeit. Das haben sie vor vielleicht zehn Jahren angefangen und ziehen das nach wie vor durch. Deshalb wird es auch schwierig, sie in den nächsten Jahren zu schlagen.
Das IOC hat Ende Januar verkündet, die Teilnahme von russischen und belarussischen Sportlerinnen und Sportlern an den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris prüfen zu wollen. Wie kommt das bei Ihnen an?
Lesser: Wenn das im Einklang mit dem ist, was die NATO oder eigentlich alle Staaten, bis auf Russland, sagen - nämlich: alle russischen Truppen raus aus der Ukraine, und die Ländergrenzen wieder so ziehen, wie sie vor dem Krieg mal waren -, dann habe auch ich nichts dagegen, dass die Russen und Belarussen am internationalen Sportgeschehen wieder teilhaben. Aber so lange das nicht der Fall ist, sollten wir die Tür weiterhin zulassen.
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