Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Biathlon - Benedikt Doll vor Saisonstart im Exklusiv-Interview: "Könnte sein, dass Biathlon seinen Reiz verliert"

Andreas Morbach

Update 29/11/2022 um 08:36 GMT+1 Uhr

Im finnischen Kontiolahti startet am Dienstag mit dem 20-Kilometer-Einzel der Männer die neue Biathlon-Saison. Nach dem Abgang von Erik Lesser ist Benedikt Doll der neue Leader im Team. Im exklusiven Eurosport-Interview spricht der Schwarzwälder aber nicht nur über seine neue Rolle in der Mannschaft, sondern auch über die Zukunft seines Sports in Zeiten des voranschreitenden Klimawandels.

Fährt seinem Karriereende entgegen: Benedikt Doll

Fotocredit: Getty Images

Im hohen Norden Finnlands steigt in dieser Woche der Weltcup-Auftakt im Biathlon. Los geht es am Dienstag mit dem Einzel der Männer über 20 Kilometer (ab 13:15 Uhr live im Free-TV bei Eurosport 1 und bei discovery+). Die deutschen Hoffnungen ruhen dabei vor allem auf Benedikt Doll, der nach dem Abgang von Erik Lesser eine neue Rolle im Männer-Team übernommen hat.
Im exklusiven Interview mit Eurosport.de spricht der 32-Jährige aber nicht nur über sportliche Themen. Auch der Klimawandel und die sich daraus ergebenden Probleme für seine Sportart spielen eine große Rolle. Dabei regt Doll auch eine veränderte Auswahl der Weltcup-Orte an. "Man muss sich vielleicht die Frage stellen, ob es Sinn macht, gewisse Weltcupstandorte am Leben zu erhalten. Obwohl man weiß, dass dort in Zukunft wirklich gar nicht mehr mit Naturschnee zu rechnen ist und man nur noch auf Kunstschnee angewiesen sein wird", sagt Doll mit Blick auf den hohen Energieverbrauch durch die Kunstschnee-Produktion.
Das drohende Szenario, das Biathlon womöglich irgendwann zu einer Sommersportart wird, sieht er skeptisch. "Es könnte schon sein, dass Biathlon komplett seinen Reiz verliert", fürchtet der Sprint-Weltmeister von 2017.
Zudem verrät er, warum ihn die Klima-Thematik als frischgebackenen Vater auch selbst kurz vor dem Saisonstart in ein Dilemma brachte.
Das Interview führt Andreas Morbach.
Herr Doll, Sind Sie nach dem abschließenden Trainingslager des DSV in Vuokatti direkt zur ersten Weltcupstation nach Kontiolahti gefahren oder noch mal zu Ihrer Frau und Ihrem Sohn, der im August zur Welt kam, in den Schwarzwald geflogen?
Benedikt Doll: Ja, das war irgendwie blöd. Hätte ich zu Hause jetzt nicht die Situation mit Kind und Familie wäre ich sicherlich oben geblieben. Denn es ist natürlich ein großer Reiseaufwand. Wenn wir vom Weltcup in Kontiolahti zurückkommen, fahre ich direkt nach Hochfilzen – und nicht noch mal heim. Das ist irgendwann zu viel. Ich war auch schon mal fünf Wochen am Stück unterwegs, das war auch okay. Aber jetzt mit dem Kind will ich das einfach nicht. Mir ist schon auch wichtig, dass er mich sieht.
Am Dienstag beginnt mit dem Einzel der Männer in Kontiolahti die nacholympische Saison. Wie fühlt sich der Gang in den Winter in der neuen Rolle für Sie an?
Doll: Ich gehe jetzt vielleicht ein bisschen gelassener an die ganze Sache ran. Als Sportler macht man sich schon immer viel Druck, hat seine eigenen Ziele und Vorstellungen. Vielleicht liegt es auch an den vielen Jahren, die ich schon Sport mache: Wenn es da mal nicht ganz so gut läuft, ärgere ich mich zwar, hake es aber schneller ab. Und sage mir: Es gibt neben dem Sport auch noch andere, wichtige und schöne Sachen im Leben.
Mit Uros Velepec hat der langjährige Bundestrainer Mark Kirchner seit dieser Saison einen neuen Assistenten an seiner Seite. Wie sind Ihre bisherigen Eindrücke von ihm?
Doll: Uros Velepec hat einen guten Humor, ist sehr lustig. Von der Stimmung passt das auf jeden Fall sehr gut. Das ist natürlich nicht das Wichtigste – es geht auch darum, dass er uns weiterbringt. Trainingstechnisch haben wir auf jeden Fall einiges Neues, Anderes gemacht. Er versucht, in jedem Training einen gewissen Reiz hineinzubringen. Die Abwechslung bringt ein bisschen mehr Herausforderung, was sicherlich auch eine höhere Motivation nach sich zieht. Und er hat natürlich sehr viel Erfahrung und weiß auch, was andere Nationen machen. Wenn man irgendeine Info braucht, hat er meistens eine Antwort darauf.
Nach dem Rücktritt von Erik Lesser sind Sie nun der erfahrenste unter Deutschlands Skijägern. Ist das für Sie eine schöne zusätzliche Herausforderung?
Doll: Ach, ich fühl‘ mich gerade wohl mit der Situation. Ich hab‘ auch kein Problem, mal den Mund aufzumachen, wenn etwas nicht passt. In der Hinsicht liegt mir die Rolle, glaub‘ ich, schon. Johannes Kühn hat ebenfalls eine gute Meinung. Wenn ihm etwas nicht passt, spricht er das auch schon mal an. Es ist jetzt also nicht so, dass durch den Abgang von Erik Lesser oder davor Arnd Peiffer ein Riesenloch zurückgeblieben ist. Ich glaube, wir haben uns da ganz gut neu sortiert.
picture

Benedikt Doll hat durch den Abgang von Erik Lesser im Männer-Team nun eine wichtige Führungsrolle übernommen

Fotocredit: Getty Images

Neu sortiert hat sich auch Ihr Zuhause. Wenn Ihr Sohn irgendwann sagt: Ich will Biathlet werden, wie mein Papa – was würden Sie dazu sagen?
Doll: Ja. Wenn er will, dann darf er.
Es gibt Menschen, die vermuten: Sportarten wie Langlauf oder Biathlon könnte es im Jahr 2050 wegen des Klimawandels in der jetzigen Form nicht mehr geben.
Doll: (überlegt lange) Es spielt mittlerweile, glaube ich, schon eine Rolle, wo die Anlagen sind. Da muss man sich vielleicht die Frage stellen, ob es Sinn macht, gewisse Weltcupstandorte am Leben zu halten. Obwohl man weiß, dass dort in Zukunft wirklich gar nicht mehr mit Naturschnee zu rechnen ist und man nur noch auf Kunstschnee angewiesen sein wird. Das ist schon etwas, worüber man sich Gedanken machen kann, worüber man sich aber nicht unbedingt Gedanken machen will. Weil es einfach so traurig ist. Die Frage, ob Biathlon irgendwann vielleicht mal eine Sommersportart, mit Skirollern, wird, kann man sich aber schon stellen.
Wie wäre das denn für Sie?
Doll: Ich denke, am Ende ist es Gewohnheitssache. Aktuell würde ich sagen: Da fehlt dann schon das Flair des Winters. Wenn man mal auf Einschaltquoten und Potenziale schaut, sind die Menschen im Winter einfach daheim. Im Sommer sind sie unterwegs, da wären die Einschaltquoten sicherlich schlechter. Es könnte schon sein, dass Biathlon komplett seinen Reiz verliert. Weil es im Sommer einfach nicht funktioniert. Das kann ja sein.
Ehe es so weit sein sollte: Welche Möglichkeiten, welchen Spielraum sehen Sie aktuell?
Doll: Die Trainingsanlage bei uns am Notschrei liegt auf 1200 Meter, das ist die höchstgelegene Biathlonanlage in Deutschland. Vielleicht ist es eine Option, zu sagen: Okay, wir schauen, dass wir Anlagen in einer Höhe bauen, wo für die nächsten 30 Jahre oder so noch eine gewisse Schneesicherheit existiert. In Antholz ist es ja immer recht kalt – aber dort gibt es auch nicht immer die mega Naturschneemengen. Hochfilzen dagegen hat einfach Niederschlag und Schnee. Man muss sich Gedanken machen, welche Anlagen Biathlon auf naturverträgliche Weise erlauben. Auch was die Reisewege und Ähnliches angeht.
Man sollte also nach den Anlagen zu suchen, wo am wenigsten Kunstschnee produziert werden muss.
Doll: Genau. Oder wo der Schnee gut überwintert werden kann. Man kann ja den Schnee vom letzten Jahr nehmen, ihn auf einen Haufen packen und im nächsten Jahr wieder ausfahren. Da müssen dann vielleicht nur fünf Zentimeter neuer Kunstschnee drauf – anstatt 50 oder 60 Zentimeter.
picture

Biathlon vor tiefverschneiter Kulisse - ein Szenario, das es in Zukunft immer weniger geben könnte

Fotocredit: Getty Images

Was halten Sie von dem Argument, dass in anderen Bereichen noch deutlich mehr Energie verbraucht wird als im Biathlon?
Doll: Ich finde, das ist die schlimmste Ausrede, die man bringen kann: Wenn ich hier oder da ein bisschen weniger mache – das bewirkt ja nichts. Jeder muss sich an seine Nase fassen und überlegen, was man besser machen kann. Darum war es für mich nach dem Trainingslager in Vuokatti schon ein Dilemma zu sagen: Ich flieg‘ jetzt noch mal heim, um dann wieder nach Finnland zu fliegen. Ich hab‘ das wegen dem Kind und wegen der Familie gemacht. Aber fast alle aus dem Team sind oben geblieben. Entweder aus Eigennutz, um sich die Reise mit Blick auf die Regeneration nicht anzutun. Oder weil sie sagen: Man muss doch nicht fliegen, wenn es nicht nötig ist.
Es gibt Kolleg:innen in der deutschen Mannschaft, die aus Gründen des Klimaschutzes ganz gezielt auf diesen Flug verzichtet haben?
Doll: Ich denk‘ schon, ja. Es gibt aber auch genug in unserem Team, wo man sich als Sportler – so ist meine Denkweise – sagen könnte: Das viele Fliegen im Winter kann ich vielleicht nicht vermeiden, wenn ich meinen Beruf ausüben will. Aber dafür könnte ich mir im Sommer sagen: Dann reise ich zwischen Frühjahr und Herbst eben nicht dreimal mit Interkontinentalflügen nach Bali, auf die Bahamas oder wohin auch immer. Um dort noch mal Urlaub zu machen – wo ich schon den ganzen Winter über am Herumreisen bin. Das ist das, was ich zum Beispiel mache.
Vor zwei Jahren haben Sie in Hinterzarten gemeinsam mit Ihren Eltern ein Haus unter energetischen Aspekten umgebaut. Wohnen Sie inzwischen auch darin?
Doll: Noch nicht. Wegen des Sports wohne ich momentan noch in Kirchzarten zur Miete. Ich habe noch eine andere, kleinere Wohnung. Die habe ich mir mal gekauft, und bei der sind wir gerade dabei, eine Photovoltaikanlage mit Energiespeicher drauf bauen. Hintergrund ist natürlich zum einen der Klimaschutz. Aber ich finde auch die Vorstellung toll, dort mal autark leben zu können.
Hat sich Ihr Gedanke an das eigene Karriereende durch die ganze Klima- und Energieproblematik eigentlich beschleunigt?
Doll: Entweder höre ich nach dieser oder nach der nächsten Saison auf. Das werde ich Ende dieses Winters entscheiden. Aber ich werde ziemlich sicher nicht mehr bei den Olympischen Spielen 2026 mitmachen.
Ziemlich sicher? Oder ganz sicher?
Doll: Zu 90 Prozent werde ich nicht mehr an Olympischen Spielen teilnehmen. Ich will einfach irgendwas anderes machen, das ist für mich der Hintergrund.
Und das muss nichts mit Biathlon zu tun haben, oder?
Doll: Nein, mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das nichts mit Biathlon zu tun haben.
Sondern mit Ihrem absolvierten Studium des Ingenieurswesens, Schwerpunkt Marketing und Vertrieb.
Doll: Ja, in die Richtung geht es. Ich möchte aber eher etwas Technisches machen. Elektronik, Informatik, das interessiert mich sehr. So die Richtung Smart Home Systeme. Das ist wirklich ein Hobby von mir – und etwas, wo ich dann, wie man so schön auf Englisch sagt, einen "Impact" haben will. Wo ich auch etwas im Kampf gegen den Klimawandel bewirken kann. Wirklich aktiv, und nicht nur über Social Media sage: Ey Leute, denkt dran, Energie zu sparen.
picture

Doll exklusiv: Abschaffung der Streichresultate birgt Risiko

Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung