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Michael Rösch im Eurosport-Interview nach dem Saisonfinale - Teil 1: "Gegen die Norweger gibt es kein Rezept"

Florian Bogner

Update 20/03/2024 um 10:26 GMT+1 Uhr

Die Biathlon-Saison 2023/24 endete am vergangenen Wochenende im kanadischen Canmore. DSV-Topathlet Benedikt Doll wurde nach 323 Weltcup-Rennen verabschiedet, Dauer-Dominator Johannes Thingnes Bö aus Norwegen erhielt zum fünften Mal die große Kristallkugel für den Sieg im Gesamtweltcup. Eurosport-Experte Michael Rösch zieht im exklusiven Interview ein abschließendes Saisonfazit.

Konfettiregen zum Karriereende: Doll emotional verabschiedet

Am vergangenen Wochenende fand nicht nur die Biathlon-Saison 2023/24 ein Ende - auch die ruhmreiche Karriere von DSV-Star Benedikt Doll klang im kanadischen Canmore nach 323 Weltcup-Rennen aus.
Es war ein emotionaler Abschied für den Schwarzwälder, der 27. Platz im letzten Rennen (Massenstart) war lediglich eine Randnotiz.
Eurosport-Experte Michael Rösch spricht im exklusiven Interview über Dolls Erbe im deutschen Kader und stellt den DSV-Herren ein insgesamt erfreuliches Saison-Zeugnis aus.
Zudem erklärt Rösch die Dominanz der Norweger mit Speerspitze Johannes Thingnes Bö und muss bei der Suche nach einem Rezept gegen die Alleinherrschaft der Skandinavier die Segel streichen.
Michael Rösch, mit Benedikt Doll hat der erfolgreichste Biathlet im DSV-Kader am Wochenende seine Karriere beendet. Wie groß ist die Lücke, die er hinterlässt?
Michael Rösch: Der letzte deutsche Einzel-Weltmeister verlässt die Bühne - das heißt schon was. Er wurde nicht umsonst "El Capitano" genannt. Er hat auch im Hintergrund viele Aufgaben übernommen; sei es bei der Planung von Teamabenden, oder mit Sponsoren, oder als Sprachrohr nach innen wie außen. Das sind Sachen, die niemand sieht. Er hatte ein Alleinstellungsmerkmal. Und das wird fehlen.
Wer ist jetzt in der Pflicht, diese Aufgabe zu übernehmen?
Rösch: Es ist zwar nicht so wie im Fußball, mit einem klassischen Kapitän auf dem Feld, aber du brauchst schon ein, zwei Athleten, die das Sprachrohr sind. Justus Strehlow und Philipp Nawrath haben schon gesagt, dass das eine große Aufgabe wird. Letztes Jahr war David Zobel der Einpeitscher, der war aber zuletzt nicht mehr dabei. Einen zweiten Doll gibt es nicht, sie werden das auf mehrere Schultern verteilen müssen. So wie es die Damen diese Saison nach dem Rücktritt von Denise Herrmann-Wick auch hinbekommen haben.
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Benedikt Doll bei seinem Abschied

Fotocredit: Getty Images

Die gute Nachricht bei den DSV-Herren lautet: Am Ende haben sich vier Athleten in den Top 15 des Gesamtweltcups platziert. Die schlechte Nachricht lautet allerdings: Der Beste war nur Zwölfter …
Rösch: Man kann schon sagen, dass den deutschen Herren hintenraus ein bisschen die Luft ausgegangen ist. Die vier Siege von Rees, Nawrath und Doll zu Beginn waren klasse. Davon hat man gezehrt. Am Ende fünf Mann in den Top 20 zu haben, ist ein tolles Ergebnis - ebenso der zweite Platz in der Nationenwertung vor Frankreich und Schweden. Ich würde dem Team deshalb eine solide Note zwei geben. Zur Eins fehlt die eine Spitzenplatzierung in der Gesamtwertung. Und dass man in jeder Weltcup-Staffel auf dem Podest stand, aber bei der WM nicht, war richtig ärgerlich.
Wie hat sich das neue Trainerteam Uros Velepec und Jens Filbrich geschlagen?
Rösch: Sehr gut. Ich war etwas skeptisch, als Uros 2022 ins Team kam, wurde aber eines Besseren belehrt. Er ist sehr weit, was die Trainingsplanung anbelangt, überhaupt nicht oldschool. Für die mentale Stärke der Athleten am Schießstand war er ein enorm wichtiger Faktor, weil er den Athleten Überzeugung und Aggressivität vermittelt hat. Jens Filbrich kenne ich schon seit Ewigkeiten. Uns vereint, dass wir beide Bayer-Leverkusen-Fans sind. Er hat als ehemaliger Weltklasse-Langläufer frischen Wind ins Team reingebracht. Und eins muss ich auch sagen: Die Harmonie im ganzen Team ist bemerkenswert, auch bei den Damen.
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König der Biathleten: Bö erhält große Kristallkugel

Ist Johannes Thinges Bö weiter das Maß aller Dinge oder gibt es jemanden, der an seinem Thron kratzen könnte?
Rösch: Er hat selbst gesagt, dass es mental für ihn die schwierigste Saison war, weil es im Gesamtweltcup auch gegen seinen älteren Bruder Tarjei ging. Im Sommer lief ja fast alles schief - Schlangenbiss, Trampolinunfall, Sturz auf dem Laufband, was da nicht alles war. Zu Saisonbeginn war er weit weg, aber ich habe das Gefühl: Johannes ist am gefährlichsten, wenn er angeknackst ist. Wenn der Druck am größten ist, kann er immer nochmal eine Schippe drauflegen.
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Johannes Thingnes Bö mit der kleinen Kristallkugel für den Gewinn der Gesamtwertung in der Verfolgung im Biathlon in Canmore 2024

Fotocredit: Getty Images

Spätestens ab Lenzerheide lief es dann bei ihm - mit acht Saisonsiegen und sieben WM-Medaillen …
Rösch: Es ist einfach Wahnsinn, wie er es immer wieder schafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das war schon beeindruckend. Das schafft normal kein Mensch, das ist außerirdisch. Und damit ist und bleibt er das Maß der Dinge.
Wie ist den Norwegern mit sechs Mann unter den besten sieben des Weltcups beizukommen?
Rösch: Dann müsste man jetzt im Kindergarten ein Biathlon-Aufzuchtprogramm starten und 20 Jahre warten (lacht). Aber ganz im Ernst: Da gibt es kein Rezept. In Norwegen herrscht einfach eine andere Kultur, da fängt quasi jeder im Kindesalter mit Langlauf an. Dort gibt es einfach eine größere Masse an Athleten. Und der Druck ist früh täglich so hoch, dass er diese Anzahl an Diamanten gebiert. Sie sind schlagbar, keine Frage. Aber in der Summe ist ihnen nicht beizukommen. Man muss ja nur mal in den zweitklassigen IBU-Cup schauen: Da sind auch die ersten Fünf alles Norweger …
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König der Biathleten: Bö erhält große Kristallkugel

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