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Hans-Joachim Stuck im Interview: Fernando Alonso wäre an Max Verstappen nah dran - Alternative für Red Bull?

Christoph Niederkofler

Update 16/11/2023 um 18:23 GMT+1 Uhr

Fernando Alonso erlebt bei Aston Martin seinen zweiten Frühling - und verzückt die Romantiker in der Formel 1. Längst schwirrt jedem Fan die Frage durch den Kopf: Was wäre, wenn ...? Hans-Joachim Stuck ließ sich im exklusiven Interview mit Eurosport.de auf das Gedankenspiel ein: "Wenn man sich Alonso anschaut, wie er über den Asphalt pfeift, würde ich ihn gerne im Red Bull sehen."

Fernando Alonso im Red Bull? Ein Gedankenspiel, das Formel-1-Fans träumen lässt

Fotocredit: Getty Images

Fernando Alonso legte beim Grand Prix von São Paulo alles in die Waagschale. Mit einem waghalsigen Manöver schob sich der Spanier in der letzten Runde an Sergio Pérez vorbei und kletterte dadurch erstmals seit Ende August aufs Podest - zum achten Mal in dieser Saison. Ob in Ungarn 2021, Monaco 2023 oder nun in Brasilien - Alonso hat auch in seinem hohen Alter bewiesen, dass tief in ihm drin immer noch das Feuer des einstigen Doppelweltmeisters und Schumacher-Bezwingers lodert.
Doch würden seine Qualitäten auch für den Kampf um die WM-Krone reichen? Wie Hans-Joachim Stuck im exklusiven Interview mit Eurosport unterstreicht, müsste sich Alonso in einem Duell unter gleichen Voraussetzungen nicht vor Weltmeister und Dominator Max Verstappen verstecken. "So wie Alonso fährt, wie er kämpft, weitgehend fehlerfrei ist und auch das Team nach vorne bringt, würde ich behaupten, dass er ganz, ganz nah an Verstappen dran wäre", so Stuck, der den spanischen Altmeister nur allzu gerne im Red Bull sehen würde.
Während Alonso in der Saison 2023 einen unverhofften Höhenflug erlebt, steht Charles Leclerc vor einem weiteren Scherbenhaufen. Ferrari kommt wie so häufig in den vergangenen Jahren nicht aus dem Quark, der Titelkampf könnte aus der Sicht der Scuderia kaum weiter entfernt sein.
"Dass Leclerc ausgerechnet diese enttäuschende Periode bei Ferrari erwischt, ist natürlich Pech", fühlt Stuck mit dem Monegassen. Aufgeben darf Leclerc laut dem zweimaligen Le-Mans-Sieger aber nicht - und ein Blick in Stucks Vergangenheit zeigt den richtigen Umgang mit Rückschlägen auf.
Herr Stuck, der Ausfall von Charles Leclerc in der Einführungsrunde von São Paulo reiht sich in eine lange Periode blamabler Auftritte von Ferrari in den letzten Jahren ein. Nach dem Rennen hat Leclerc sogar Galgenhumor bewiesen und hat gemeint, dass er vielleicht zum Wallfahrtsort in Lourdes pilgern müsste. Kann man mittlerweile von einem Fluch bei Ferrari sprechen?
Hans-Joachim Stuck: Von einem Fluch? Nein, das glaube ich nicht. Man muss sich das mal vorstellen: Dieser Ritt auf der Rasierklinge gibt ja nicht viel Spielraum. Bist du eine Zehntelsekunde langsamer, versuchst du natürlich um dieses Zehntel schneller zu fahren - aber dann fliegst du ab. Das ist eine Qualität, die Max Verstappen und wenige andere bis zum Perfektionismus beherrschen. Das ist die Kunst. Dazu kommt natürlich auch, wenn du dir wie Leclerc bewusst bist, dass du schnell bist, aber dir ab und zu Fehler unterlaufen, du dir selbst mehr Druck machst. Du fängst an zu überlegen - und das ist nicht förderlich. Leclerc muss einfach diese Lockerheit und das Selbstvertrauen gewinnen, dass das, was er macht, zu hundert Prozent passt. Das ist der Grundsatz für den Erfolg. Ich kenne die Situation noch sehr gut aus meiner Zeit. Wenn du einen Teamkollegen hast, der plötzlich schneller fährt wie du oder einfach besser ist, dann baust du dir selber Druck auf und versuchst den Unterschied natürlich mit mehr Einsatz zu kompensieren. Diese Kunst muss man aber erst einmal beherrschen. Wenn man anfängt nachzudenken, ist es schon zu spät. Da muss Leclerc an sich arbeiten, damit er das Selbstvertrauen zurückgewinnt, dass er einer der Allerbesten ist - was er aus meiner Sicht auch ist.
Bei seinem Wechsel im Jahr 2019 galt Leclerc bei Ferrari als 'Il Predestinato' - zu Deutsch: 'der Prophezeite'. Fünf Saisons später steht er bei fünf Siegen, Jahrgangskollege Max Verstappen ist Lichtjahre entfernt. War Ferrari die falsche Entscheidung für seine Karriere?
Stuck: Wenn dich Ferrari haben will, gibt es kein Nein. Das muss man so unterstreichen. Vielleicht bin ich da aber auch zu sehr Traditionalist. Es gibt wohl nichts Schöneres, als für Ferrari zu fahren. Dass Leclerc ausgerechnet diese enttäuschende Periode bei Ferrari erwischt, ist natürlich Pech. Zudem hat er sich selbst wahrscheinlich einen riesigen Druck auferlegt, weil er wusste, dass Ferrari die Chance seines Lebens ist. Aber es gibt ja auch andere namhafte Piloten, die bei Ferrari gescheitert sind.
Ob Bahrain 2019, Monaco 2021, Frankreich 2022 oder auch jetzt in Brasilien - immer wieder bekommt man den Eindruck, dass Leclerc in den wichtigen Momenten das Pech an den Fingern klebt. Wie haben Sie derartige Rückschläge in Ihrer Karriere weggesteckt?
Stuck: Das sind zwei Paar Stiefel. Wenn du einen mechanischen Fehler hast, dann kannst du eh nichts machen. Dann kannst du dich nur ärgern und fluchen. Wenn du selbst einen Fehler machst, ist das aber ein ganz anderer Prozess. Während meiner Zeit bei Audi hatte ich ein paar heiße Eisen wie Frank Biela in meinem Team. Frank war jünger und in vielerlei Hinsicht einfach besser. Aber ich habe mich dadurch an ihm orientiert und mir gedacht: 'Verdammt nochmal! Was der Kerl macht, das müsste ich eigentlich auch hinkriegen.' Im Training habe ich dann auch mal Dinge ausprobiert, aber schnell gemerkt, dass es nicht funktioniert. In solchen Situationen erkennt man auch, wo die Grenzen des eigenen Talents liegen. Und das muss man auch akzeptieren. Wenn ich weiß, Biela war im Training wieder schneller, dann riskiere ich nichts und fahre ihm - so gut wie es geht - hinterher und versuche, etwas abzuschauen. Beim Hinterherfahren kann man sehr viel lernen und irgendwann vielleicht die Gelegenheit nutzen, etwas sogar noch besser zu machen. Das war schon immer ein sehr wichtiger Punkt in meinem Leben, sich auch an anderen zu orientieren.
Hinterherfahren, um besser zu werden. Ein ungewöhnlicher Ansatz.
Stuck: Da gibt es ein tolles aktuelles Beispiel, was ich ja überhaupt nicht verstehe. Da könnte ich ja verrückt werden. Sergio Pérez ist in Brasilien Fernando Alonso hinterhergefahren - und hat nicht begriffen, dass Alonso in der Kurve auf die lange Gerade eine deutlich schnellere Linie fährt. Ich muss schon sagen: Ist der deppert? Ist der blind? Bei all seinem Können... aber da ist er sein Geld nicht wert. Wenn Alonso vormacht, dass er in der Kurve außen rum fährt und dadurch so schnell ist, dass Pérez nicht einmal DRS reicht, um vorbeizukommen ... und er wählt trotzdem eine andere Linie. Das verstehe ich nicht. Da kann man nur hoffen, dass da mal jemand anderes in den Red Bull kommt. Ich fände es super, wenn der Alonso in den Red Bull gesetzt wird. Und die Gerüchte sind ja da. Er streitet sie zwar komplett ab, aber das hat auch vielleicht einen Hintergrund.
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Fernando Alonso im Aston Martin und Sergio Pérez im Red Bull lieferten sich in São Paulo über mehrere Runden ein fantastisches Duell um Rang drei

Fotocredit: Imago

Sie spielen auf seinen möglichen Teamkollegen Max Verstappen an?
Stuck: Ja, über Max Verstappen müssen wir nicht reden. (lacht) Das ist der Man of the Moment zurzeit, gar keine Frage. Aber wenn man sich Alonso anschaut, wie er über den Asphalt pfeift, würde ich ihn gerne mal im Red Bull sehen.
Dann weiten wir das Gedankenspiel doch etwas aus: Was würden Sie Alonso denn im selben Auto wie Verstappen zutrauen?
Stuck: So wie Alonso fährt, wie er kämpft, weitgehend fehlerfrei ist und auch das Team nach vorne bringt, würde ich behaupten, dass er ganz, ganz nah an Verstappen dran wäre. Davon bin ich überzeugt. Näher als Pérez auf jeden Fall, das ist für mich keine Frage. Es gibt eine Handvoll Leute, denen ich zutraue, auf Verstappens Niveau zu fahren - und da gehört Alonso zu hundert Prozent dazu. Den Kerl finde ich einfach super. Wir kennen uns ja richtig gut. Er hat die Motivation, er hat Spaß an der Sache. Dazu kommt seine Reife, seine Fähigkeiten im richtigen Moment perfekt umzusetzen. Das ist echt beeindruckend.
Es gibt da eine interessante Statistik zu Alonso. Hätte der Spanier in seiner Karriere an den richtigen Stellen elf Punkte mehr gesammelt, wäre er fünfmaliger Weltmeister. Bringt ihn dieses Pech - und seine enttäuschende Zeit bei McLaren - um den Status eines der Größten aller Zeiten?
Stuck: Wenn man genau zurückblickt, findet man natürlich immer etwas. Aber er hat die Titel nun eben mal nicht gewonnen - was auch immer der Grund dafür war. Sich darüber den Kopf zu zerbrechen, bringt jetzt auch nichts mehr. Aktuell zählt er für mich aber auf jeden Fall zu den Top 5, die in der Formel 1 unterwegs sind. Das steht völlig außer Frage.
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Fernando Alonso wurde Dritter in Brasilien

Fotocredit: Getty Images

Und wo würden Sie ihn in der Geschichte der Formel 1 verorten?
Stuck: Geschichte ist Papier. Man kann natürlich genauso viele Rennen gewonnen haben wie Niki Lauda, Ayrton Senna oder Alain Prost. Das ist zwar schön, aber im Moment zählt es nicht. Wenn man seine Karriere beendet, kann man sagen, dass man sich zwischen den Großen eingereiht hat. Aber wenn man noch aktiv ist, bleibt immer noch Spielraum. Solche Dinge sollte man meiner Meinung nach erst diskutieren, wenn der Fahrer zurückgetreten ist.
Bei Alonso wird sehr gerne das Alter hervorgehoben. Sie selbst haben Ihre aktive Motorsport-Karriere offiziell mit 60 Jahren beendet, traten aber auch in der jüngeren Vergangenheit noch regelmäßig bei Rennen an. Wie schwierig ist es, sich auf diesem Niveau zu halten?
Stuck: Ich war noch im vorletzten Jahr Vizeeuropameister in der GT2 mit KTM zusammen mit Co-Pilot Kris Rosenberger - da haben wir den Titel nur um drei Punkte verfehlt. In den letzten beiden Jahren bin ich aber keine Rennen mehr gefahren, das tut mir sehr weh. Aber wir planen bereits wieder andere Dinge. Weil für mich ist das Ende noch nicht erreicht. Das ist mir weiterhin ganz wichtig. Als ich für KTM gefahren bin, waren meine Buben auch dabei. Vor drei Jahren fand das erste Rennen in Monza statt. Da rief mich Johannes an und meinte: 'Papi, uns fehlt hier ein Fahrer. Hast du Lust?'
Und Ihre Antwort?
Stuck: Ich habe natürlich zugesagt, aber erklärt, dass ich erst nach dem Training entscheide, ob ich fahre oder nicht. Ich hatte mich ja fit gehalten mit den zahlreichen Rennen in den Jahren zuvor. Daraufhin bin ich nach Monza gereist, bin 15 Runden gefahren und war nur eine Zehntelsekunde langsamer als mein ältester Sohn. Der hat natürlich gekotzt, kann man sich vorstellen. Dann sind Kris Rosenberger und ich angetreten, wurden in Monza Dritter und haben die Meisterschaft sechs Rennen nur um drei Punkte verpasst. Im hohen Alter muss man mit dieser Situation eben schlau umgehen - und das werde ich auch, wenn ich hoffentlich möglichst bald wieder im Auto sitze. Wenn man sich nicht wohlfühlt, sofort aufhören! Aber das ist natürlich bei jedem Fahrer anders. Im Fall von Fernando Alonso oder auch Nico Hülkenberg sieht man auch, dass ihnen das Alter nicht im Weg steht. Ich selbst habe gelernt, dass man mit Erfahrung nicht kompensiert - ganz im Gegenteil! Die Erfahrung gibt einem Piloten einen riesigen Vorteil. Man kennt Strecken, Bodenwellen, Regenlinien, man reagiert sogar auf gewisse Geräusche. Diese Erfahrung kann ein junger Fahrer nicht haben.
Gerade Alonso könnte bei Red Bull meiner Meinung nach sehr viel leisten.
Kommen wir kurz auf Pérez zurück. Ist das Kapitel Red Bull für ihn beendet?
Stuck: Pérez macht einen super Job und ist ganz klar die Nummer zwei. Diese Situation hilft Red Bull natürlich insofern, dass teamintern Ruhe herrscht. Aber wenn sich Red Bull einen Fahrer wie Alonso an Bord holt, kann sich das Team selbst etwas steigern. Irgendwann wird nämlich der Zeitpunkt kommen, dass die Konkurrenz wieder näher dran ist. Dann wäre es von Vorteil, zwei richtig heiße Eisen im Feuer zu haben. Gerade Alonso könnte bei Red Bull meiner Meinung nach sehr viel leisten.
Stichwort Leistung: Max Verstappen und Red Bull können sich zurzeit kaum vor Bestmarken retten. Der Niederländer hat in Brasilien für die höchste Siegquote innerhalb einer Saison gesorgt. 17 Siege in 20 Rennen - welche Superlative fallen Ihnen da noch ein?
Stuck: Nicht viele. Für mich ist Verstappen momentan der Beste im Feld - und zwar mit Abstand. Ich schaue mir oft Slowmotions an und es gibt keinen, der seine eigenen Fähigkeiten konsequenter umsetzt als Verstappen. Natürlich hat er auch das richtige Auto. Einer seiner großen Vorteile ist, dass er seinen Boliden perfekt auf sich abstimmen kann, um seine Fähigkeiten auf der Strecke auszuspielen. Wenn man Verstappen in einen Mercedes oder Ferrari setzen würde, wäre es interessant zu sehen, ob er Pérez noch schlagen könnte.
Ein interessantes Gedankenspiel ...
Stuck: Alonso im Red Bull, Verstappen im Ferrari - das wäre tatsächlich aufregend! Aber solche Gedanken sind nun mal die Essenz des Sports.
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