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Der LIGAstheniker: Hertha BSC holt Felix Magath als neuen Trainer - ein Klub zerbricht öffentlich

Thilo Komma-Pöllath

Update 14/03/2022 um 17:38 GMT+1 Uhr

Der LIGAstheniker blickt nach dem 26. Bundesliga-Spieltag auf das krisengebeutelte Hertha BSC. 375 Millionen Euro von Investor Lars Windhorst stehen einer manisch-depressiven Mannschaft ohne Teamgeist und Spielidee gegenüber. Ein Problem, dass nun ausgerechnet der beruflich scheintote Felix Magath lösen soll. Thilo Komma-Pöllath meint in seinem Kommentar: Hertha nimmt sich selbst nicht mehr ernst.

Herthas Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic

Fotocredit: Getty Images

Liebe FußballfreundInnen, es gibt so Spieltage, die sind genau mein Humor. Etwa wenn die kriselnden Gladbacher mal wieder ein Spiel gewinnen, just an dem Tag, an dem ihr teuer eingekaufter Cheftrainer coronabedingt gar nicht im Stadion ist.
Vielleicht hätte es auch Hertha mal mit seinem Co-Trainer probieren sollen, da liegen offenbar noch Potentiale frei. Stattdessen also der Pensionist Felix Magath, 68 Jahre alt, seit Jahren raus aus dem Geschäft, alles andere als ein Kenner der Hertha, einer, dem der eigene schlechte Ruf ("Quälix") sehr oft sehr gut bezahlte Jobs eingebracht hat, wie jetzt wieder, noch so ein Witz dieses 26. Spieltages.
Oder dass der Investor des Klubs, Lars Windhorst, der 375 Millionen Euro in den Klub gepumpt hat, am Tag von Gladbach-Niederlage, Trainerentlassung und Rentnerrekrutierung nichts Besseres zu tun hat, als sich mit einem Hertha-Fanclub öffentlich über Twitter darüber zu streiten, wo das viele Geld eigentlich geblieben ist - das ist doch wirklich zum Brüllen.
Das alles erinnert frappant an Fußballklubs im Geiste wie Schalke oder HSV - die spielen längst und folgerichtig in der zweiten Liga.

Hertha: So viele Millionen, so wenige Ideen

375 Millionen also. Was man damit alles tun könnte für und mit einer modernen Profifußballmannschaft. Man versucht sich dieses Spiel der Hertha in Gladbach ganz vorurteilsfrei anzuschauen - und dann? Findet man in 90 Minuten gar keine Mannschaft auf dem Feld!
Keine, bei der man sagen könnte: Das ist Hertha BSC! Eine Fußballmannschaft müsste ja zuerst einmal ein Team sein, also eine intakte Gruppeneinheit; erkennbar müsste sein, welchen Fußball sie spielen möchte, irgendeine personale, taktische, spielsystemische Struktur müsste erkennbar sein. Ist alles nicht.
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Ernüchterung bei Hertha-Profis Gechter und Kade

Fotocredit: Imago

Die einzige erkennbare Idee vom Spiel ist die, dass man keine Tore bekommen möchte. Anders als in Spielen zuvor sind sie diesmal wenigstens gelaufen, aber diese Hertha ist ja keine Leichtathletikabteilung. Eine Idee mit dem Ball gibt es bei Hertha schlicht nicht.

Ein scheintoter Klub

Hertha 2022 ist ein manisch-depressiver Klub, der mal völlig überdreht, um dann in sich zusammenzufallen. Das übertriebene Tackling von Marc Oliver Kempf vor dem 0:1 im eigenen Strafraum, das den Gladbachern einen Elfmeter bescherte; das antriebslose, orientierungslose Herumgeistern von sechs, sieben Hertha-Spielern im eigenen Strafraum bei der Ecke vor dem 0:2 - an den Gegentoren lässt sich das Krankheitsbild dieser scheintoten Hertha ganz gut sichtbar machen.
Und jetzt also der beruflich schon lange scheintote Felix Magath, der wieder Leben in diese Hertha prügeln soll? Kaum vorstellbar…

Von wegen Big City - Berliner Schmalspurverein

Der Verfall Herthas dürfte kaum aufzuhalten sein. Wir sind gerade Zeuge eines in Deutschland doch seltenen Fußballexperiments: Da zerbricht vor unser aller Augen ein Klub an den eigenen inneren Widersprüchen und den viel zu großen Erwartungen anderer.
Der namhafte Investor auf der einen Seite, die Idee vom "Big City Club", hunderte Millionen Euro, die Vorstellung einer Art deutschem Chelsea FC. Und dann die Wirklichkeit: Etliche gute Spieler, auch viel Mittelmaß, vor allem aber "keine Achse" wie ein TV-Kritiker am Wochenende feststellte.
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Aufgebrachte Hertha-Fans diskutieren mit den Spielern nach der Pleite gegen Frankfurt

Fotocredit: Imago

Drei Trainer haben es in dieser Spielzeit nicht verstanden, mit den vorhanden Spielern ein Spiel zu bauen, das diese auch spielen können. Das mag sich unlogisch redundant anhören, meint aber nur die Binsenweisheit: Spiel genau das, was du kannst.
Und wenn ich schon defensiv ausgerichtet bin, brauche ich dennoch ein Umschaltspiel, eine mutige Offensivbewegung, die weiß Tore zu erzielen. Ohne Tore wird man auch auf dem Bolzplatz nichts. Das weiß dieser Berliner Schmalspurverein offenbar nicht.

Hertha nimmt sich selbst nicht mehr ernst

Eine Mannschaft, die aber weiß, dass sie nur Mittelmaß ist, obwohl sie Chelsea sein soll, nimmt sich irgendwann selbst nicht mehr ernst. Man kapituliert innerlich, ob der nicht erfüllbaren, illusorischen Erwartungshaltung.
So ein Phänomen kennt man auch aus dem persönlichen Erleben. Da lacht sich Kapitän Dedryck Boyata beim Stand von 0:1 auf der Bank schlapp, während Trainer Tayfun Korkut mit bitterernster Miene und einer Einwechslung die drohende Niederlage noch abwenden will.
Man muss diese Bilder nicht überbewerten, aber mit Verweis auf reale Vorbilder, weiß man, wie so etwas endet: Der Letzte, der an unpassender Stelle gelacht hat, war Kanzlerkandidat Armin Laschet während der Flut.
Er ist danach abgestiegen.
Zur Person Thilo Komma-Pöllath:
Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog "Der LIGAstheniker" das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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