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Der LIGAstheniker: Bayerns sensationelle Selbstschrumpfung - Nagelsmann und das trojanische Lob von Salihamidzic

Thilo Komma-Pöllath

Update 12/09/2022 um 12:28 GMT+2 Uhr

Für den LIGAstheniker hat Hasan Salihamidzic mit seiner Reaktion auf die Rotation beim FC Bayern München für eine sensationelle Selbstschrumpfung gesorgt. Beim Rekordmeister bedingt der Luxuskader auch ein Luxusproblem, das Trainer Julian Nagelsmann lösen muss. Doch nicht das Personal beim FCB bedarf einer Neujustierung, sondern die Taktik. Ein Kommentar von Thilo Komma-Pöllath.

So reagiert Nagelsmann auf den Schocker gegen Stuttgart

Liebe FußballfreundInnen,
dass die Bayern hierzulande in ihrer eigenen Kategorie unterwegs sind, das ist ja keine ganz neue Erkenntnis, soweit wie sie dem Rest des Klubfeldes hierzulande enteilt sind. Aber die Reaktionen, die das Heimunentschieden gegen Stuttgart provozierte, waren dann selbst für den FCB außergewöhnlich.
Nach dem dritten Punkteverlust in Folge, Platz 3 in der Tabelle hinter Union (!) und Freiburg(!) und dem schlechtesten Saisonstart seit über zehn Jahren wurde Trainer Julian Nagelsmann von seinem Sport-Vorstand Hasan Salihamidzic über den grünen Klee gelobt. Der Trainer habe das gut gemacht, sagte sein unmittelbarer Vorgesetzter und meinte die Startelf-Rotation gegen den VfB Stuttgart.
Und dann fügte Salihamidzic noch eine Bemerkung an, die eine echte Sensation war, auch wenn sie von kaum einem Kommentator als solche gewertet wurde. Eine Bemerkung, die das besondere nationale Kategorie- und Anspruchsdenken der Bayern pulverisierte. Im Zweifel sei ihm ein Unentschieden mehr lieber als schlechte Stimmung im Kader, so hat es Salihamidzic gesagt.
Als wäre es bei den Bayern je um die gute Laune gegangen. Es ist nicht weniger die Aufhebung des Leistungsprinzips an der Säbener Straße, eines Prinzips, das es dort seit Uli Hoeneß gibt, also schon immer. Haben die Bayern nach diesem sechsten Bundesliga-Spieltag den Anspruch auf ihre eigene Kategorie plötzlich aufgegeben?

Bayerns Selbstschrumpfung

Eigentlich hätte man erwarten können, dass das mediale und öffentliche Echo auf diese Selbstschrumpfung riesig sein müsste - Fehlanzeige! Eigentlich hätte man erwarten können, dass das trojanische Lob von Salihamidzic als Eigen-PR entlarvt wird - Fehlanzeige. Natürlich ist der Sportvorstand, der für die Transferpolitik zuständig ist, erstmal daran interessiert, dass er selbst nicht in die Schusslinie gerät.
Das kann er damit verhindern, wenn alle Neuen auch spielen und ihm keine Fehlkäufe attestiert werden, wie das in zarten Anklängen bei Sadio Mané schon zu hören war. Vor diesem Hintergrund wäre es interessant zu erfahren, ob Nagelsmann sich das Lob seines Sportvorstands damit erkauft, weil er Salihamidzic bei der Aufstellung mitreden lässt?
Der Eindruck jedenfalls: Der Angestellte Salihamidzic stellt seine Job-Bedürfnisse über die Ansprüche des Klubs, dem er weitere Unentschieden ins Wort redet - hat es das in der Geschichte des FC Bayern schon einmal gegeben? Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Hans Flick, der sich ein Reinreden Salihamidzics in die Aufstellung verbeten hat, es trotz vieler Siege zum Streit kam, weil dessen Einkäufe nicht ausreichend performen durften, am Ende ging Hansi Flick im Groll.
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FC Bayern München: Flick und Salihamidzic im Gespräch

Fotocredit: Getty Images

Was mag nur Nagelsmann jetzt denken, der das natürlich auch durchschaut, öffentlich aber nicht kommentiert? Die nächsten verlorenen Punkte, anstatt Druck auf dem Kessel Lob vom Chef, was ist nur los mit diesem FC Bayern?

Taktische Umjustierung

Dass Bayerns Rotation schuld gewesen sein soll am Unentschieden gegen den VfB - kaum vorstellbar. Es ist nicht das Personal, das einer Neujustierung bedarf, es ist die Taktik. In bester Hegelscher Dialektik sprach Nagelsmann nach dem Spiel von "Kontrolle" und "Power" als Gegensatzpaar. "Wir hatten zu viel Kontrolle und zu wenig Power" - das ist auf den ersten Blick erklärungsbedürftig, auf den zweiten Blick eine messerscharfe Analyse.
Der Bayern-Coach weiß genau, dass man mit reinem Ballbesitzfußball keine Ligaspiele und schon gar keine großen Titel gewinnen wird. Das Gladbachspiel (69%) vor zwei Wochen darf dafür als aktueller Beleg dienen. Es muss einen Grund geben, warum derjenige, der den exzessiven Ballbesitzfußball erfunden hat, seit Jahren einem Champions League-Titel hinterherläuft (Pep Guardiola).
Die Kontrolle über Ball, Feld und Gegner wird dauerhaft dann ergebnistechnisch erfolgreich, wenn ausreichend Dynamik vorhanden ist. Den Bayern aber fehlt der Raum für Dynamik, wenn sich der Gegner mit zehn Mann an den eigenen Strafraum stellt und man sich im Rückraum, wie im Handball, verzweifelt die Bälle zuspielt auf der Suche nach einer Lücke, die es nicht gibt.
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Thomas Müller vom FC Bayern München

Fotocredit: Getty Images

Bayern, bei Union spicken!

Wenn der FC Bayern also schon zu einem ganz gewöhnlichen Fußballverein schrumpft, dann kann er ja mal Anleihen nehmen bei einem Klub, der vor vier Jahren noch zweite Liga gespielt hat: Der aktuelle Tabellenführer Union Berlin hält von Ballbesitz, gelinde gesagt, nicht so viel. Die Berliner kommen nicht vom Spiel mit dem Ball, sie kommen vom Spiel gegen den Ball. Mit aggressiver Balleroberung und einem Umschaltspiel in hoher Geschwindigkeit gibt es plötzlich wieder die Räume, die den "Handball-Bayern" fehlen.
Hätte nie gedacht, dass ich den Bayern mal raten würde, bei einem Klub aus der Hauptstadt zu spicken.
Soweit ist es schon gekommen…

Zur Person Thilo Komma-Pöllath:

Der Sportjournalist und Buchautor ("Die Akte Hoeneß") beleuchtet in seinem wöchentlichen Blog "Der LIGAstheniker" das Geschehen in der Fußball-Bundesliga für Eurosport.de. Oft skeptisch, ironisch, kritisch - aber einer muss schließlich den Ball flach halten.
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