Champions League | Atalanta-PSG: Drei Dinge, die auffielen

Trainer Thomas Tuchel leidet sehr lange mit Paris Saint-Germain, wechselt dann aber beim 2:1 (0:1) im Viertelfinale der Champions League gegen Atalanta Bergamo in Lissabon den Sieg ein. Neymar beweist, dass er auch ohne das große Rampenlicht der "Man of the Match" für PSG sein kann. Atalanta ging dagegen nach einer Wahnsinnssaison einfach die Puste aus. Was uns auffiel.

Thomas Tuchel (auf der Kiste) jubelt - Atalanta Bergamo vs. Paris Saint-Germain

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1. Tuchel und die Kiste

Thomas Tuchel war schon fast ein wenig zu bemitleiden. Mit einem im Training erlittenen Bruch des fünften Mittelfußknochens im linken Fuß und einem verstauchten Knöchel obendrein, saß der deutsche Trainer von Paris Saint-Germain statt in der Coaching Zone zu stehen mit seinem orthopädischen Schuh auf einer Kühlbox und blickte mit fortlaufender Uhr immer besorgter drein.
Bergamo war drauf und dran, die Sensation zu schaffen, durch ein 1:0 ins Halbfinale der Champions League einzuziehen und Paris den ersten Einzug in die Runde der letzten Vier seit 1995 zu verwehren.
Tuchels Miene verfinsterte sich zusehends; PSG brachte zwischen der 35. und 73. Minute nicht mal einen Schuss aufs Tor zustande. Und der deutsche Trainer, er gaffte, wand sich auf seiner Kiste, schimpfte, brüllte Anweisungen, rollte mit den Augen. Später sprang er sogar mal auf, hüpfte auf einem Bein, schmiss Wasserflaschen.
Dass sich Tuchel hinterher keine besonders unangenehmen Fragen anhören musste, lag zum einen an einer gehörigen Portion Glück in den letzten Spielminuten, zum anderen aber auch an seinem glücklichen Händchen: Immerhin hatte er mit Kylian Mbappé (Vorlage zum 2:1, 90.+3) und Eric Maxim Choupo-Moting (Tor zum 2:1) den Sieg eingewechselt.
Choupo-Moting, der eigentlich schon längst weg wäre, weil sein Vertrag unter normalen Umständen Ende Juni ausgelaufen wäre, hatte zudem als Flankengeber vor dem 1:1 (90., Marquinhos) seine Füße im Spiel.
Im Endeffekt hatte Tuchel aber auch nur das getan, was wohl jeder getan hätte: den Panik-Button gedrückt. So hatte der PSG-Coach einfach nach und nach seine letzten Offensivreserven, namentlich Mbappé (60.), Julian Draxler, Leandro Paredes (beide 70.) und eben Choupo-Moting (79.) ins darbende PSG-Spiel geworfen - und damit letztlich den Sieg noch heraufbeschworen.
"Es war ein verrücktes Spiel", meinte Choupo-Moting: "Als ich eingewechselt wurde habe ich mir nur gedacht: 'Wir können nicht verlieren, wir können nicht so nach Hause fahren.' Ich denke, wir haben bis zum letzten Moment gezeigt, dass wir an uns glauben."
Unterm Strich war der PSG-Erfolg so zwar schmeichelhaft, aber im Grunde verdient. Schließlich hatte sich der Favorit über 90 Minuten schon ein optisches Übergewicht (63 Prozent Ballbesitz), ein deutliches Mehr an gewonnenen Zweikämpfen (64 Prozent) sowie ein Chancenplus (16:9 Torschüsse) erarbeitet.
Als Choupo-Moting den Ball zum 2:1 über die Linie gestupst hatte, hielt Tuchel übrigens nichts mehr auf seiner Kiste. Nach einem infernalischen Jubelschrei drehte der 46-Jährige einen etwas ungelenken Halbkreis um seine Kühlbox und drosch dann mehrfach wie von allen guten Geistern verlassen auf den Kistendeckel ein.
"Überlegen sie mal, was ich mit zwei gesunden Beinen alles angestellt hätte", scherzte Tuchel nach Abpfiff, "vielleicht wäre ich 40 Meter die Seitenlinie runtergesprintet." So musste eben die Kiste herhalten. Beide blieben übrigens unverletzt.
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Thomas Tuchel herzt Kylian Mbappé - Atalanta Bergamo vs. Paris Saint-Germain

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2. Neymar: Vom Chancentod zum Matchwinner

Schon nach drei Minuten hatte die PSG-Bank den Torschrei auf den Lippen; er erstarb, weil Neymar nach einem fulminanten Sprint den Ball frei vor dem Bergamo-Tor untypisch kläglich am rechten Pfosten vorbeigelöffelt hatte. Nicht weniger grausig war der Abschluss des Brasilianers kurz vor der Pause nach Hans Hateboers haarsträubenden Fehlpass (42.).
Weitere Fahrkarten zog der PSG-Superstar mit seinen Abschlüssen in den Minuten 28, 35 und 76. Die fehlende Präzision im Abschluss war wohl das Augenscheinlichste, nicht ganz so offensichtlich war jedoch, dass Neymar dem Spiel dennoch seinen Stempel aufdrückte und sich am Ende durchaus auch zu Recht "Man of the Match" nennen durfte.
So war es der 28-Jährige, der Marquinhos' 1:1 (90.) durch seine technisch feine Ballannahme nach Choupo-Motings Flanke und überlegtem Querpass in die Mitte überhaupt erst möglich gemacht hatte. Beim finalen Akt, dem 2:1, spielte Neymar wiederum den tödlichen Pass innen am Atalanta-Verteidiger vorbei auf den gestarteten Mbappé - dessen Vorlage und Choupo-Motings Abschluss waren danach eigentlich nur noch Formsache.
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Neymar (l.) mit Kylian Mbappé

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Mit 113 Ballkontakten sorgte Neymar spielerisch für den Bestwert auf dem Platz. Seine sieben Torschüsse (zwei geblockt) waren ebenso Höchstwert, zudem wusste sich Atalanta gegen den flinken Stürmer neun Mal nur mit einem Foul zu helfen - kein Spieler wurde 2019/20 in der Champions League öfter in einem einzelnen Spiel von den Beinen geholt.
"Ich habe nie daran geglaubt, dass wir ausscheiden könnten", sagte er nach der Partie: "Wir waren in jeder Sekunde voll auf den Sieg und das Halbfinale konzentriert."
25 (!) gewonnene Zweikämpfe (von 33) sowie 16 erfolgreiche Dribblings rundeten das statistische Meisterwerk des Brasilianers ab. Nur ein Tor fehlte - aber das kann Neymar ja dann im Halbfinale gegen den Gewinner der Partie Atlético Madrid gegen RB Leipzig (21:00 Uhr im Liveticker) nachholen.
"Niemand wird das Finale aus meinem Kopf kriegen", sagte der 28-Jährige noch mit Blick auf sein großes Ziel. "Wir sind ein tolles Team, eine Familie mit der Einstellung, dass uns niemand bezwingen kann."
Finaler Akt der Größe: Neymar schenkte Choupo-Moting seine Auszeichnung für den "Man of the Match".
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PSG | Eric Maxim Choupo-Moting (links) und Neymar (rechts)

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3. Atalanta geht die Puste aus

116 Pflichtspieltore hat Atalanta in der Saison 2019/20 erzielt - der geniale Treffer von Mario Pasalic (28.) zum 1:0 wird allerdings der letzte bleiben. Grund dafür war sicher zum einen der längere Atem der Pariser durch die bessere Bank - wohl dem, der einen Kylian Mbappé (war angeschlagen) noch bringen kann -, zum anderen aber auch die nachlassenden Kräfte der Italiener.
Ohne den rätselhaft erkrankten Josip Ilicic (fünf Champions-League-Tore) angetreten, fehlte Bergamo schon ein gehöriges Maß an Durchschlagskraft. Als nach 59 Minuten dann auch noch Verteilstelle Alejandro "Papu" Gómez angeschlagen vom Platz humpelte, kippte das bis dato ausgeglichene Spiel langsam aber sicher in Richtung Paris.
Bergamo hielt sich lange auch durch Härte in der Partie. 26 Fouls zählten die Statistiker bis zur 75. Minute, alle 173 Sekunden sorgte Atalanta also für eine Spielunterbrechung, störte damit Paris' Rhythmus (die insgesamt zehn Wechsel taten ihr Übriges).
In den letzten 22 Minuten inklusive Nachspielzeit foulte Atalanta aber nur noch dreimal - ein statistisches Indiz dafür, dass die Mannen von Trainer Gian Piero Gasperini, der ja eine mannorientierte Verteidigung bevorzugt, hinten raus schlichtweg nicht mehr eng genug an ihren Gegenspielern standen.
"In der zweiten Halbzeit standen wir etwas tiefer", sagte Marten de Roon, "du musst mit elf Mann verteidigen und das haben wir sehr gut gemacht - bis zu diesem unglücklichen Moment in der letzten Minute." Besonders bitter: Die von PSG penetrierte Schwachstelle der Abwehrkette hinter dem erst eingewechselten rechten Innenverteidiger José Luis Palomino machte sich beim 1:1 und 1:2 gleich doppelt bemerkbar.
"Die Enttäuschung ist natürlich riesig", bilanzierte Gasperini, "lange sah es so aus, als ob wir es schaffen könnten. Dennoch war es eine großartige Champions-League-Saison von uns. Ich kann mich nur bei meinen Spieler dafür bedanken."
"In dieser Sekunde ist es einfach nur schmerzhaft", schloss de Roon. "Morgen werde ich stolz auf das Team und den Klub sein, aber heute ist da einfach nur eine große Enttäuschung."
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Quelle: Eurosport

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