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FC Bayern München: Yann Sommer in der Kritik - darum geht die Torwart-Debatte am Thema vorbei

Sascha Felter

Update 19/04/2023 um 19:27 GMT+2 Uhr

Yann Sommer und der FC Bayern München - das ist nach 18 Spielen noch keine Liebesbeziehung. Nach Gegentoren in der Champions League bei Manchester City (0:3) und in der Bundesliga gegen die TSG 1899 Hoffenheim (1:1) brandet Kritik auf. Den sich aufdrängenden Vergleich mit Manuel Neuer jedoch nur an Sommers Körpergröße (1,83 m) festzumachen, greift zu kurz. Eine Analyse.

Yann Sommer (FC Bayern München) streckt sich im Viertelfinal-Hinspiel gegen Manchester City beim 1:0 von Rodri vergeblich

Fotocredit: Getty Images

Im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League nahm sich Manchester City Rodri ein Herz. Aus gut 27 Metern traf der Spanier wie an der Schnur gezogen ins linke oberen Eck und damit mitten ins bayerische Herz. Yann Sommer streckte sich vergeblich.
Der Reflex bei vielen: Hätte Manuel Neuer den gehalten? TV-Experte Roman Weidenfeller sprach davon, dass Sommer die "entscheidenden Zentimeter fehlen". Schließlich ist Neuer zehn Zentimeter größer als Sommer (1,83 Meter).
Rodris Traumtor jedoch zum Torwartfehler zu degradieren, wäre unfair. Aus torwarttechnischen Gesichtspunkten hätte Sommer in dieser speziellen Situation höchstens mit dem anderen Arm zum Ball gehen können. Oliver Kahn war früher bei seitlichen Schüssen über Kopfhöhe bekannt für das sogenannte "Übergreifen".
Diese Technik hat grundsätzlich zwei Vorteile: Einerseits ist der Arm von Natur aus weiter oben positioniert, wenn der Keeper waagerecht in der Luft steht. Andererseits ist diese Art der Verteidigung mit weniger Kraftaufwand verbunden. Wählt der Torhüter die untere Hand, muss zusätzlich Energie aufgewendet werden, um diese auch im Flug oben zu behalten.

Sommer greift nicht gerne über

Sommer war bislang jedoch nicht dafür bekannt, auf diese Technik zurückzugreifen. Der Nachteil liegt auf der Hand: Torhütern fehlt es beim "Übergreifen" manchmal an der nötigen Rumpfspannung, außerdem drehen sie sich im Flug leicht ein. Auch Neuer erwischte so manchen Ball mit dieser Technik zu weit hinten, konnte den Ball dann nur mit Mühe um den Pfosten statt über die Latte lenken.
Zurück zum Rodri-Tor: Aus taktischer und technischer Sicht verhielt sich Sommer nahezu optimal. Um seine Reaktionszeit zu maximieren, blieb der 34-Jährige nahe an der Torlinie. Dadurch konnte er vor dem Abdruck noch einen Zwischenschritt machen, den er oft braucht, um seine geringere Körpergröße zu kaschieren.
Friert man unmittelbar bevor der Ball die Torlinie überquert das Bild ein, befindet sich der Bayern-Keeper in maximalen Streckung - eigentlich optimal.
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Yann Sommer streckt sich, hält den Ball von Rodri aber nicht - Manchester City vs. FC Bayern München

Fotocredit: Imago

Faustregel: Ist der Torwart dran, ist er haltbar

Eine Torwartdiskussion entbrannte dennoch. Jean-Marie Pfaff ätzte später, Sommer wirkte bei ManCity so, als habe er "Schlaftabletten genommen". Bayern-Legende Sepp Maier meinte: "Sommer ist ein guter Goalie, ein überragender aber nicht."
Die Debatte wurde am Samstag nochmal befeuert. Beim 1:1 der Münchner in der Bundesliga gegen Hoffenheim kam es zu einem ähnlichen Szenario: Der Schweizer flog, stand waagerecht in der Luft, hielt den Freistoß von Andrej Kramaric aber dennoch nicht.
Auch hier war Sommers Beinarbeit nicht zu bemängeln. Binnen Sekundenbruchteilen gelangte er von seiner Torwartecke in die andere. Am Ende kam er mit einer Hand an den Ball, da dieser aber mit rund 90 km/h aus 28 Metern relativ hart geschossen war, konnte ihn der Keeper nur noch an den Innenpfosten lenken. Von dort sprang er ins Tor - unglücklich.
Wieder kam die Frage auf: Hätte Neuer den gehalten? Unhaltbar war der Ball nicht - ist der Keeper mit der Hand dran, kann er ihn auch parieren.
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Yann Sommer ist am Ball, kann das Gegentor aber nicht verhindern - FC Bayern München vs. TSG 1899 Hoffenheim

Fotocredit: Getty Images

Sommer hat andere Stärken

Den Vergleich zwischen Sommer und Neuer aber nur auf die Körpergröße zu beziehen, greift sprichwörtlich zu kurz.
Sommer weiß sein Größendefizit seit Jahren durch enorme Sprungkraft und perfekte Beinarbeit auszugleichen. Das machte ihn zur Nummer eins der Schweiz und für über acht Jahre zum sicheren Rückhalt der Gladbacher Borussia.
Bei Schussabgabe hat der 34-Jährige stets Bodenkontakt und kann sofort in die Aktion gehen. Neuer baut dagegen sehr oft einen Auftaktsprung ein und schwingt die Arme nach hinten. Gerade bei Abschlüssen aus kurzer Distanz wirkt er deshalb in manchen Aktionen ein wenig aus der Balance und kommt zu spät in die eigentliche Parade.
Vielleicht wäre der derzeit verletzte Bayern-Kapitän also bei den Schüssen von Rodri und Kramaric gar nicht rechtzeitig in die Nähe des Balles gekommen.

Neuer spielt besser direkt

Besser zu vergleichen ist da schon das Spiel mit dem Ball am Fuß. Hier hatte Sommer gerade in den hochkarätigen Champions-League-Spielen gegen PSG und Manchester City, für die er verpflichtet wurde, seine Probleme.
Neuers große Stärke ist seine Einfachheit. Vielfach leitet er die Bälle direkt mit dem ersten Kontakt weiter, teilweise sogar von einem Außenverteidiger zum anderen. Der Gegner kommt dadurch häufig gar nicht erst ins Pressing. Diese Qualität kann kaum ein weiterer Torhüter aufweisen. Wo Neuer direkt spielt, benötigt Sommer häufig zwei Ballkontakte und bringt sich so in Zeitnot.
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Yann Sommer wird von Erling Haaland attackiert - Manchester City vs. FC Bayern München

Fotocredit: Getty Images

Da das Aufbauspiel der Bayern derzeit strukturell ohnehin nicht das Beste ist, wird zudem die fehlende Passgeschwindigkeit mitunter zum Problem.
Sowohl im Achtelfinal-Rückspiel gegen Paris Saint-Germain als auch beim Viertelfinal-Hinspiel in Manchester musste Sommer mehrfach aufgrund fehlender Anspielstationen ins Risiko gehen - das verunsicherte ihn und die Nebenmänner zusätzlich.

Sommer-Debatte wird falsch geführt

Insofern ist die Art und Weise der derzeit geführten Torwartdebatte falsch: Anstatt sich nun an Weltklasse-Schüssen und der nicht zu verändernden Körpergröße des Keepers abzuarbeiten, sollte beim Rekordmeister eine vereinfachte Einbindung Sommers in den Spielaufbau im Fokus stehen.
Des Weiteren ist zu diskutieren, dass sich beim FC Bayern keiner der Verantwortlichen schützend vor seinen Torhüter stellt. Vorstandsboss Kahn wäre aufgrund seiner Torhütervergangenheit schließlich prädestiniert dafür, hält sich aber zurück. Dabei dürfte gerade ihm, mit 1,88 Metern auch nicht gerade der Größte seiner Zunft klar sein, dass jeder Torwart seinen ganz eigenen Stil und vor allem andere körperliche Voraussetzungen mitbringt.
Stattdessen mussten Sommer aber zuletzt ehemalige Wegbegleiter wie Roland Virkus (Sportdirektor Borussia Mönchengladbach) und Jörg Stiel, Fohlen-Keeper um die Jahrtausendwende, zur Seite springen.
Vor dem entscheidenden und richtungsweisenden Rückspiel mit ManCity und Trainer Pep Guardiola wäre es also ratsam für die Bayern, Ruhe in die Torwartfrage zu bringen.
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