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Thiago verletzt im DFB-Pokal: Die leichtsinnige Kaderplanung des FC Bayern München rächt sich

Kevin Obermaier

Update 31/10/2018 um 23:10 GMT+1 Uhr

Thiago Alcántara fehlt dem FC Bayern München wochenlang. Der 27-jährige Spanier hat sich beim 2:1-Erfolg im DFB-Pokal beim SV Rödinghausen das Außenband im rechten Sprunggelenk gerissen. Der Thiago-Ausfall verschlimmert die ohnehin schon angespannte Personalsituation beim Rekordmeister. Die leichtsinnige, fast schon arrogante Kaderplanung der Bayern-Bosse rächt sich nun.

Thiago (FC Bayern München)

Fotocredit: Getty Images

Ob Karl-Heinz Rummenigge diese Aussage noch einmal so treffen würde?
Auf die Besetzung im Mittelfeld angesprochen, meinte der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern im Juli:
Es ist bekannt, dass wir neun Mittelfeldspieler haben und maximal drei bis vier Positionen. Das ist sehr viel, eigentlich zu viel.
Das war kurz vor den Transfers von Sebastian Rudy und Arturo Vidal, zwei Spieler, die zwar weg wollten, die der FCB aber nicht zwingend hätte abgeben müssen. Trotzdem tat der deutsche Rekordmeister genau das - und lächelte Fragen nach potenziellen Engpässen im Zentrum anschließend einfach weg. Trainer Niko Kovac sagte:
Wir haben auch nach Arturos Abgang sehr viel Qualität im Mittelfeld, da braucht sich niemand Sorgen machen.

Bayern haben doppelten Grund zur Sorge

Niemand - bis auf die Bayern. Die müssen sich nach dem knappen Sieg im Pokalduell beim SV Rödinghausen sehr wohl Sorgen machen.
Zum einen, weil ein 2:1 bei einem Regionalligisten kaum die bayerischen Ansprüche widerspiegelt. Sandro Wagner räumte ein:
Das war nicht, wie man sich Bayern München vorstellt. Da müssen wir uns an die Nase fassen.
Sportdirektor Hasan Salihamidzic verriet:
Jeder von uns erwartet mehr. Die Leistung kann sich keiner so richtig erklären.
Kovac fand:
Wir haben viel vermissen lassen.
Zum anderen (und vor allem) haben die Bayern aber Grund zur Sorge, weil der Pokalsieg teuer bezahlt war. Thiago musste nach einem Foul von Björn Schlottke in der 76. Minute raus, humpelte später auf Krücken aus dem Stadion. Nun die Diagnose: Bänder- und Kapselriss im rechten Sprunggelenk. Die Ausfallzeit beträgt mehrere Wochen.
Ausgerechnet Thiago. In einer unter Kovac oft ideenlosen, im Spielaufbau fahrigen Bayern-Truppe war der 27-Jährige der Lichtblick, das kreative Element, der Spiritus Rector (um einen Begriff von Otto Rehhagel zu bemühen), der durch Spielwitz, Torgefahr und Beständigkeit bestach.

Der "Worst Case" ist Wirklichkeit

Der "Worst Case" für den FC Bayern ist damit Wirklichkeit. Der Ausfall des Spaniers verschlechtert die Personalsituation des Rekordmeisters im Mittelfeld - und die ist, gelinde gesagt, ohnehin schon angespannt: James Rodríguez ist erkältet, Corentin Tolisso fällt mit einem Kreuzbandriss noch bis in die Rückrunde aus und Leon Goretzka plagt sich seit seiner Ankunft mit kleineren Blessuren wie einem Gelenkbruch im Finger, Hüft- und Sprunggelenksproblemen herum.
Waren es im Juli noch neun, stehen Kovac für die drei zentralen Positionen in seinem 4-1-4-1-System nach Rödinghausen nur noch vier Spieler zur Verfügung: der verletzungsanfällige Goretzka, Javi Martínez, der in Osnabrück nach Ausfällen von Mats Hummels und Jérome Boateng in der Innenverteidigung aushelfen musste, Thomas Müller, der seiner Form seit einiger Zeit hinterherläuft, sowie Renato Sanches, zu Saisonbeginn noch das Sorgenkind - und jetzt plötzlich Hoffnungsträger.
Zwar wird zumindest James nicht allzu lange pausieren müssen, doch die bayerischen Aussichten für das Bundesliga-Spitzenspiel bei Borussia Dortmund am 10. November sind trotzdem alles andere als rosig - schließlich schoss der BVB erst kürzlich Atlético Madrid (ein Team mit lauter gesunden Mittelfeldspielern) mit 4:0 aus dem Stadion.

Wie kompensiert Kovac das Thiago-Aus?

Kovac wird Lösungen finden müssen, den Thiago-Ausfall zu kompensieren, nicht nur, aber vor allem in der schwierigen Partie beim BVB.
Ein Ansatz könnte sein, das System umzustellen, weg vom 4-1-4-1 und hin zu einem defensiveren 3-4-3. Boateng, Hummels und Niklas Süle könnten die Dreierkette bilden (wenn sie denn alle fit sind), Joshua Kimmich und David Alaba die Abwehrlinie gegen den Ball verstärken.
Die Vorteile dieses Systems: Es werden nur zwei zentrale Mittelfeldspieler benötigt und die offensiven Außenspieler (etwa Franck Ribéry und Arjen Robben) müssten als Teil des Dreiersturms weniger der ungeliebten Defensivaufgaben übernehmen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, Kimmich von der rechten Abwehrseite auf seine gelernte Position ins Mittelfeld zu verschieben, um dem Zentrum mehr Stabilität zu verleihen. Eine Variante, die Joachim Löw zuletzt bei der Nationalmannschaft für sich entdeckte.

Leichtsinnige und arrogante Kaderplanung

Ob Kovac nun dem gesunden Personal vertraut oder größere Veränderungen vornimmt - allein die Tatsache, dass sich der FCB-Coach nach der Thiago-Verletzung mit diesen Gedankenspielen befassen muss, zeigt: Der FC Bayern hat sich in der Kaderplanung verkalkuliert. Für die Dreifachbelastung aus Bundesliga, Champions League und Pokal ist das Team auf Schlüsselpositionen zu dünn besetzt.
Zwar existiert die These, dass Pokalspiele bei unterklassigen Vereinen kaum als "Belastung" für den großen FCB bezeichnet werden könnten, doch die zwei hart erkämpften Siege bei Drochtersen/Assel und Rödinghausen und die Thiago-Verletzung beweisen das Gegenteil.
Dabei müssten die Bayern-Bosse eigentlich um die Verletzungsanfälligkeit ihrer Stars wissen. Nicht erst seit Kovac, auch schon unter Pep Guardiola, Carlo Ancelotti und Jupp Heynckes war das FCB-Lazarett stets gut gefüllt. Und trotzdem wurde der Kader mehr denn je auf Kante genäht. Ein leichtsinniges, fast schon arrogantes Vorgehen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass auch Thiago im Sommer auf der Abschussliste gestanden haben soll.
Ob Rummenigge bei der Verletzung des Spaniers kurz an Vidal oder Rudy dachte, ist nicht bekannt. Klar scheint nur: Wird der FCB-Vorstandsvorsitzende nun nach der Besetzung im Mitteld und den vier fitten Spielern gefragt, seine Antwort hieße wohl: "Das ist sehr wenig, eigentlich zu wenig."
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