EM - Frankreich nach Aus in Schockstarre: Deschamps im Zentrum der Kritik - folgt jetzt Zidane

Weltmeister Frankreich schied überraschend im EM-Achtelfinale gegen die Schweiz (7:8 nach Elfmeterschießen) aus. Ausgerechnet Superstar Kylian Mbappé entschied mit seinem verschossenen Elfmeter das dramatische Duell. Doch in Frankreich sieht man einen großen Teil der Schuld bei Trainer Didier Deschamps. Muss er nun um seinen Job bangen? Die Gründe und Folgen von Frankreichs EM-Aus.

Didier Deschamps (mitte) und Frankreich sind bei der EM ausgeschieden

Fotocredit: Getty Images

Kylian Mbappé war die tragische Figur eines spektakulären Fußball-Abends.
Der Superstar der Franzosen verließ nach seinem verschossenen Elfmeter im EM-Achtelfinale gegen die Schweiz (7:8 n.E.) mit hängendem Kopf den Platz und verschwand in die Katakomben des Bukarester Stadions Arena Nationala.
Sein Elfmeter, der eigentlich zum glorreichen Schlusspunkt für den Weltmeister hätte werden sollen, besiegelte das überraschend frühe Aus für den Turnierfavoriten. Doch Mbappé stand nur sinnbildlich für die zwei Gesichter der Mannschaft von Trainer Didier Deschamps, die ihrem Talent nur selten gerecht wurde.
Vor allem der Coach selbst, vor drei Jahren noch für seine taktischen Kniffe bei der WM 2018 gefeiert, wird sich in Frankreich Kritik anhören müssen.

Didier Deschamps für Umstellung kritisiert

Auch der französische Eurosport-Redakteur Maxime Dupuis sieht beim 52-Jährigen eine große Mitschuld an der Vorstellung der Franzosen. "In vier Spielen hat er das System drei Mal umgestellt. Und gegen die Schweiz hat er es auch drei Mal verändert. Zwischen der 35. und 46. Minute wechselte die Mannschaft drei Mal hin und her. Von einer Dreierkette auf ein 4-4-2 mit einer Raute und am Ende zu einem normalen 4-4-2", erklärte Dupuis.
Zum Spiel gegen die Schweiz stellte Deschamps überraschend vom üblichen 4-2-3-1 der Franzosen auf ein 3-5-2 um. Das habe die ganze Mannschaft sichtbar verwirrt, so der Journalist: "Die Dreierkette hat sie verunsichert, vor allem natürlich in der Defensive. Aber auch im Mittelfeld, wo Pogba und Kanté verloren waren. Es gab in ihrem Rücken so viel Platz."
Auch Verteidiger Raphaël Varane gab nach der Partie zu: "Wir hatten großen Frust und haben in der Kabine viel geredet. Dann haben wir gut reagiert. Irgendetwas hat aber gefehlt. Es sollte nicht sein." In der Halbzeit stellte Deschamps schließlich wieder auf eine Viererkette um, was zumindest zeitweise etwas Stabilität zurückbrachte.
Der Coach trägt aus Sicht des französischen Journalisten aber nicht die alleinige Schuld: "Sehr wenige Spieler haben auf dem Niveau gespielt, das man von ihnen erwartet. Man kann sie an einer Hand abzählen." Auch einige Verletzungen hätten die Équipe Tricolore im Vorfeld der EM zurückgeworfen, meinte Dupuis.

Frankreich ohne "Zusammenhalt und Teamgeist"

Frankreich hatte gegen die Schweiz zu keiner Minute die Kontrolle über das Spiel. "So kennt man die Mannschaft oder Deschamps überhaupt nicht. Aber auch gegen Deutschland war es schon so. Sie sind mit einem Finale gestartet und endeten im Fußball-Chaos", so der Eurosport-Experte: "Es war eine riesige Katastrophe, eine der schlimmsten Niederlagen in der Geschichte der Les Bleus."
Auch Ex-Nationalspieler Patrick Vieira hatte nach dem Aus eine klare Meinung. Bei "ITV" sagte der TV-Experte, der 1998 mit Frankreich Weltmeister wurde: "Ich bin von der Einstellung auf dem Platz enttäuscht. Die französische Mannschaft war schwach, es gab keinerlei Zusammenhalt oder Teamgeist. Wir haben nicht als Mannschaft gespielt und hatten es deshalb auch nicht verdient weiterzukommen."
Gary Neville pflichtete seinem TV-Kollegen bei: "Es war von Frankreich von der ersten Minute an ein absolutes Chaos. Sie liefen selbstgefällig auf, aber das System war komplett falsch. Die Spieler hatten keine Ahnung, was sie machen sollten."
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Deschamps (r.) mit seiner Mannschaft nach dem enttäuschenden EM-Aus

Fotocredit: Getty Images

Deschamps-Nachfolge: Alles deutet auf Zidane hin

Dennoch rechnet Dupuis damit, dass Deschamps seinen Vertrag beim französischen Verband erfüllt. Bis zur WM 2022 läuft dieser noch. "Er wird bleiben. Er machte am Montag bei der Pressekonferenz nicht den Eindruck, als würde er aufhören wollen", meinte der Eurosport-Redakteur und fügte an: "Auch wenn Zinédine Zidane auf seine Chance wartet."
Denn der ehemalige Trainer von Real Madrid steht angeblich schon jetzt als Nachfolger von Deschamps fest. In Frankreich sei dies ein offenes Geheimnis: "Zidane wird mit Sicherheit der nächste Nationaltrainer Frankreichs. Jeder weiß das, auch Deschamps. Die Frage ist aber: Wann?" Denn ohne einen Rücktritt des aktuellen Nationaltrainers wird Zidane trotz des Ausscheidens bei der Europameisterschaft wohl noch etwas warten müssen.
Mit Blick auf Mbappé, der bei der WM 2018 mit gerade einmal 18 Jahren zum großen Star aufstieg, hofft Dupuis, dass der PSG-Spieler aus dem Rückschlag lernt. "Er wollte in diesem Turnier alles machen. Er fühlte sich so stark, dass er die ganze Mannschaft mittragen wollte", erklärte der Journalist. Mbappé müsse aber "lernen, manchmal einfacher zu spielen. Er verkompliziert vieles, denn er möchte immer DER Spieler sein und ist von Statistiken besessen."
Zum letzten und möglicherweise entscheidenden Elfmeter anzutreten, zeige, dass Mbappé der Held sein wollte. "Auch wenn daran nichts falsch ist, muss er lernen, die richtige Balance zwischen sich selbst und der Mannschaft zu finden", so Dupuis.
Auch die restliche Mannschaft wird aus diesem ersten großen Rückschlag lernen und sich weiterentwickeln müssen. Denn schon im kommenden Jahr steht mit der WM das nächste große Turnier an. Und mit ihrem unbestrittenen Talent werden die Franzosen auch dann wieder zu den Favoriten zählen.
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Deschamps: "Keiner gibt Mbappé die Schuld"

Quelle: Perform

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