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Nationalmannschaft: Rudi Völler küsst Deutschland wach - Sieg über Frankreich bringt Hoffnung vor Heim-EM 2024

Patrick Strasser

Update 13/09/2023 um 11:42 GMT+2 Uhr

Die deutsche Nationalmannschaft hat bei ihrem Testspielsieg gegen Frankreich das ersehnte Lebenszeichen gesendet. Rudi Völler verpasste der DFB-Elf bei seiner Rückkehr kurzerhand ein Retro-Gewand und brachte längst vergessene Tugenden wieder ans Tageslicht. Der Großonkel der Nation ließ in Dortmund einen Keim Hoffnung vor der Heim-EM entstehen - seine Mission ist aber noch lange nicht beendet.

Völler über Sieg gegen Frankreich: "Unglaublich gut gefightet"

Es war kurz vor Mitternacht, als ein abgekämpfter Rudi Völler vorerst erlöst wurde.
Die Pressekonferenz bildete den Abschluss des Interview-Marathons. Endlich runter von der Bühne, weg vom Podium. Einer wie er ist das Scheinwerferlicht, den Fokus aller Augenpaare gewohnt. Kennt den Druck, die Hitze, die Last oder die Lust des Augenblicks. Doch genug war genug an diesem so schwül-heißen Abend in Dortmund, als sich nicht nur ein Gewitter über Nordrhein-Westfalen entlud.

Auch die deutsche Nationalelf entledigte sich ihrer Flick-Fesseln, befreite sich dank des Ein-Spiel-Bundestrainers vom Ballast der Bürde, nicht als totale Verlierer in die Geschichte des DFB einzugehen. Eine weitere Pleite gegen Frankreich, eine im Grunde erwartete logische Niederlage gegen den Vize-Weltmeister, hätte den vierten Misserfolg hintereinander bedeutet.
Was in der Geschichte des so stolzen Fußball-Verbandes, dem größten nationalen Sportfachverband der Welt, erst einmal geschah: 1913 - also vor 110 Jahren (!) als Wilhelm II. das damalige Deutsche Reich regierte, der letzte deutsche Kaiser und zugleich König von Preußen. Die Schmach dieser Vergleiche wollten Müller & Co. unbedingt vermeiden.

Der Völler-Feelgood-Faktor ist zurück

Es ging gut. Es flutschte. Weil Rudi wirkte, weil Retro funktionierte. Ein Augenzwinkern, ein verschmitztes Lächeln, kurz: einmal Handauflegen - und fertig war der Völler-Feelgood-Faktor bei der deutschen Nationalmannschaft, die Frankreich völlig verdient mit 2:1 bezwang - der erste Erfolg nach fünf sieglosen Partien, zugleich der erste Erfolg gegen die (im Kalenderjahr zuvor ungeschlagenen) Franzosen seit 2014.
Das DFB-Team zeigte zwei Tage nach der Entlassung des am Ende so glücklosen und abgekämpften Hansi Flick ein ganz anderes Gesicht, verteidigte entschlossener und begeisterte vor allem in der ersten Halbzeit die Fans in Dortmund auch spielerisch.
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Rudi Völler (r.) mit Thomas Müller (l.) an der Seitenlinie

Fotocredit: Imago

"Der Sieg tut natürlich gut. Aber selbst wenn wir unentschieden gespielt hätten, die Art und Weise mit dieser Leidenschaft - das war schon klasse", sprach Völler auf der Pressekonferenz und fügte erleichtert hinzu: "Das hat mir gut gefallen."
Tatsächlich saß der 63-Jährige da im Schweiße seines Angesichts, das Wasser lief ihm über die Stirn und ins Gesicht, die silbernen Locken schimmerten hinter dem Nacken seiner legendären Vokuhila-Frisur durch. Die Haare triefend nass, ohne Form. Egal. Kamm drüber.

Müller erwacht wieder zum Führungsspieler

Wichtig war auf'm Platz, gerade in Dortmund. Im Stadion, in dem einst Adi Preißler kickte und jedes Kind den Spruch kennt: "Grau is’ im Leben alle Theorie - aber entscheidend is’ auf’m Platz."
Und auf dem Rasen wurde wieder Fußball gearbeitet, gemixt mit einer Prise spielerischer Perfektion wie bei beiden Toren zu sehen. Das 2:0 durch Leroy Sané nach Pass von Kai Havertz war ein exzellent herausgespielter Konter (87.). Der verwandelte Foulelfmeter von Antoine Griezmann (89.) lediglich Ergebniskosmetik ohne nachfolgenden Nervenkitzel.
Zu Beginn hatte es nur vier Minuten gedauert bis zur Führung. Ganz viel Ballast fiel vom DFB-Team ab, da endlich mal wieder so richtig ausgelassen gejubelt werden durfte. Nicht nur, weil der neu reinrotierte Thomas Müller in seinem 123. Länderspiel sein 45. Tor erzielte, sondern weil es eine mitreißende Kombination über das halbe Feld war bis hin zur Flanke von Benjamin Henrichs auf den Oldie, der zentral mit links vollstreckte - 1:0. Schon die erste Rudi-Rotation ging also auf.
Völlers Hoffnung - vor dem Anpfiff in der "ARD" geäußert - wurde ebenso Realität: "Thomas ist ein Führungsspieler, gibt vorne Kommandos und schiebt hoffentlich als Mittelstürmer mal einen über die Linie." Ob es Zufall ist, dass der Routinier, der am Mittwoch seinen 34. Geburtstag feiert, für den Dosen- und Emotionsöffner sorgt? Wohl nicht. Musste so kommen bei der Retro-Show.
Der Bayern-Profi meinte hinterher beglückt: "Am Ende haben wir es am Platz gut umgesetzt, waren fleißig und haben uns dann in den richtigen Momenten belohnt. So macht's Spaß, wenn du gegen Frankreich gewinnst." Sprach's und verteilte Komplimente ans Trainer-Trio.

Rudi, der Großonkel der Spieler

Während der Partie wurde die Aufgabenteilung des Trainer-Trios deutlich: Hannes Wolf, mit der Erfahrung eines Bundesliga-Coaches (VfB Stuttgart, Hamburger SV und interimsweise bei Bayer Leverkusen), aktuell U20-Coach beim DFB und zugleich Sportdirektor für Nachwuchs, Training und Entwicklung, machte die Taktik, instruierte die Spieler auch bei Wechseln. Sandro Wagner, der im Sommer den Münchner Vorortklub SpVgg Unterhaching zum Aufstieg in die 3. Liga führte, leitete das Aufwärmprogramm.
Und Rudi? Er machte den Rudi. Hier mal ein Schulterklopfer, da mal ein Tätscheln samt einem "Gut so!" oder "Weiter, Jungs!" Großonkelhaftes, verständnisvolles Coaching an der Seitenlinie führte zu seinem 30. Sieg im 54. Spiel als Teamchef.
Nur eine Minute nach der frühen Führung hallten erste Rudi-Völler-Sprechchöre durchs Stadion, das mit 60.486 Zuschauern nicht ganz ausverkauft war. Nach einer guten halben Stunde machte die Welle die Runde, der Fan verzeiht schnell. In der 64. Minute sangen die Zuschauer sogar den Klassiker: "Es gibt nur ein' Rudi Völler!" Erstmals in den vergangenen Monaten (oder gar Jahren?) war Aufbruchstimmung zu spüren, ein Keim der Vorfreude. Oder: Endlich Hoffnung, 276 Tage vor dem Start der Heim-EM in Deutschland.
Völler wollte verhindern, dass aus der One-Match-Show keine One-Man-Show wurde, doch keiner im Stadion oder an den Bildschirmen konnte sich dieser Magie entziehen. Sicherheitshalber betonte es der Held wider Willen vor dem Anpfiff: "Ich wollte es eigentlich gar nicht machen. Aber ich fühle mich in der Pflicht und helfe jetzt gerne aus." Und nach dem Abpfiff wieder: "Das Ergebnis ändert nichts an meiner Entscheidung, das ist für mich ganz klar."
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Völler erleichtert: "Glück hat nur der Tüchtige"

Einst Rücktritt, nun der perfekte Abschied

19 Jahre nach seinem letzten Länderspiel als Teamchef, als es mit dem 1:2 gegen Tschechien und dem Vorrunden-Aus bei der EM 2004 in Portugal für den Vize-Weltmeister-Trainer von 2002 so unschön endete, erhielt Völler nun ein wirklich perfektes letztes Mal. Verdient ist verdient.
Wie auch die "Pause, die er sich jetzt gönnt", so Völler. Die 60-Jahr-Feier der Bundesliga, das große Event am Mittwoch in Berlin mit illustren Gästen aus Sport, Politik und Gesellschaft, lässt er sausen. "Das Gesamtpaket war ehrlicherweise sehr anstrengend, die Tage waren stressig", meinte Völler ehrlich und entschuldigend. Niemand kann und wird ihm böse sein.
Schließlich muss er bald wieder bei Kräften sein, die Suche nach einem Nachfolger für sich selbst drängt. Als Mitglied der Taskforce ist Völler im Verbund mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Vize-Präsident Hans-Joachim Watzke, zugleich DFL-Aufsichtsratsboss, gefordert. "Wir werden jemand anderes verpflichten und wollen in spätestens drei Wochen einen Nachfolger präsentieren." Also zur Übersee-Reise mit den nächsten Testländerspielen gegen die USA und Mexiko Mitte Oktober.
Der Heilsbringer selbst will vermeiden, nicht schon wieder überredet zu werden. Weil der Hesse weiß: Er kann so schlecht nein sagen. Aber diesmal fehlt ihm schlicht die Kraft für solch aufreibende acht Monate inklusive eines intensiven Turniers, das über vier Wochen gehen kann. Außerdem hätte sein Wiedereinstieg- und zugleich Abschiedsspiel nicht besser laufen können.
Der emotionale Abend von Dortmund hat gezeigt: Es gibt doch zwei Rudi Völler: Den Teamchef der Herzen und den pflichtbewussten DFB-Sportdirektor. Oder anders: Tante Käthe und Onkel Rudi.
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Völler zur Flick-Nachfolge: "Mein Wunsch wäre es..."

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