Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

EM 2024: Deutschland in der Krise, Frankreich obenauf: Warum der Nachbar das DFB-Team dennoch fürchtet

Dennis Melzer

Update 12/09/2023 um 15:49 GMT+2 Uhr

Der deutsche Fußball ist aktuell am Boden, nach schwacher WM und blamablen Testspielen musste Bundestrainer Hansi Flick am Sonntag seinen Hut nehmen. Zwei Tage nach dem großen Beben bekommt es das DFB-Team ausgerechnet mit Vize-Weltmeister Frankreich zu tun. Ein ungleiches Duell dieser Tage - zumindest auf den ersten Blick. Doch die höflichen Nachbarn sind ganz anderer Meinung.

Völler erklärt Flick-Aus: "Es ging einfach nicht mehr"

Die große Wiedersehensfreude war Rudi Völler und Didier Deschamps ins Gesicht geschrieben. Auf eine kurze Konversation folgte eine innige Umarmung zwischen den beiden ehemaligen Profis, die vor 30 Jahren gemeinsam ihren größten Erfolg auf Vereinsebene feierten: Den Champions-League-Gewinn mit Olympique Marseille.
"Er hat mit dazu beigetragen, wie ich auch, dass wir 1993 die Champions League gewonnen haben", erklärte Völler. Die schon damals graumelierte Eminenz erinnerte sich weiter: "Im Spätherbst meiner Karriere war ich, glaub ich, der älteste Spieler, Didier war unser Kapitän." Deschamps habe schon damals "wie ein Trainer gedacht und gesprochen. Man konnte bei ihm erahnen, dass er mal eine große Trainerkarriere hinlegt."
Völler sollte mit seiner Prognose Recht behalten. Seit elf Jahren zeichnet Deschamps mittlerweile als Trainer für Frankreichs Nationalmannschaft verantwortlich. Während seiner Ägide stehen für Les Bleus eine gewonnene Weltmeisterschaft (2018) sowie jeweils ein WM-Finale (2022) und ein EM-Finale (2016) zu Buche.
Dass er seinen alten Weggefährten nun, 19 Jahre nach dessen Rücktritt als Bundestrainer, noch einmal zum Coach-Duell in einem Länderspiel trifft, hätte sich Deschamps wohl nicht träumen lassen. Völlers Wertschätzung kann der Franzose indes nur zurückgeben, Deschamps sprach am Montagabend in den höchsten Tönen von seinem deutschen Aushilfsübungsleiter.
picture

Rudi Völler (l.) und Didier Deschamps (r.) nach dem Champions-League-Sieg

Fotocredit: Getty Images

"Er ist menschlich jemand, den ich sehr wertschätze", schwärmte Deschamps: "Er hatte auf dem Spielfeld diesen Elan, den hat er immer noch. Diese Freude. Er war ein großartiger Spieler und es ist schön, ihn zu sehen." Besagte Freude dürfte bei Völler seit Übernahme des Sportdirektorpostens beim DFB im Januar dieses Jahres abgenommen haben. Ein Sieg, ein Remis und satte fünf Niederlagen stehen nach sieben Partien zu Buche.

Völler über Flick-Aus: "Schwergefallen"

Eine Horror-Bilanz, die Völler am vergangenen Sonntag dazu veranlasste, Bundestrainer Hansi Flick freizustellen – und für eine Begegnung selbst auf der Bank Platz zu nehmen. "Natürlich ist es uns schwergefallen", sagte Völler mit Blick auf den Flick-Rauswurf. "Hansi hat gemerkt, dass die Konstellation für ihn sehr schwierig ist. Er war schon niedergeschlagen, auch wenn er sich in den Interviews noch kämpferisch gezeigt hat."
Kämpferisch sehr wohl, aber eben auch ratlos. Eine Ratlosigkeit, die den Zustand des deutschen Fußballs im Allgemeinen widerspiegelte – und auch beim kommenden Gegner für Erstaunen sorgte.
Die großen Probleme des DFB-Teams hätten ihn "überrascht", sagte Mittelfeld-Star Antoine Griezmann. "Denn es sind große Spieler, die in sehr großen Vereinen spielen." Der 32-Jährige gab aber auch zu verstehen, dass er den viermaligen Weltmeister längst nicht abgeschrieben hat.
picture

Mitleid aus Frankreich: Deschamps fühlt mit Flick

Griezmann lobt Wirtz und "Leader" Kimmich

"Das ist eine Dynamik, an der gearbeitet werden muss. Wir haben erfahren, was mit dem Trainer passiert ist. Aber sie haben die Spieler, die dafür sorgen können, dass Deutschland in Zukunft wieder glänzt." Welche Spieler er damit konkret meinte, führte Griezmann schließlich aus. "Ich habe das Spiel gegen Japan geschaut. Der Spieler Wirtz, ich glaube, er heißt Wirtz, hat mir richtig gefallen. Ich finde es toll, wie er gespielt hat."
picture

Florian Wirtz (l.) und Leroy Sané

Fotocredit: Getty Images

Neben dem Top-Talent von Bayer Leverkusen nannte Griezmann noch die beiden Bayern-Profis Joshua Kimmich und Leroy Sané. "Ich mag Kimmich sehr. Er ist ein bisschen der General der deutschen Mannschaft. Er macht alles gut. Er ist ein Leader, der oft gute Entscheidungen trifft." Sané habe zwar "Höhen und Tiefen", sei aber ein super Angreifer, der "den Gegner immer unter Druck setzen will."
Auch Deschamps, dessen Équipe seit Monaten von Sieg zu Sieg eilt, will den taumelnden Nachbarn trotz der derzeitigen Krise nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ganz im Gegenteil, der 54-Jährige hat nach wie vor eine hohe Meinung von Deutschlands Auswahl. "Deutschland bleibt Deutschland und ist immer ein Favorit. Es ist nach wie vor eine der besten Mannschaften Europas", sagte Deschamps auf der Pressekonferenz in Dortmund. Er schob nach: "Die Erwartungen an die deutsche Mannschaft werden natürlich noch höher sein als sonst, denn sie spielt als Gastgeber im eigenen Land. Der Heimvorteil kann helfen."

Upamecano mit Kampfansage

Einer, der tagtäglich mit etlichen deutschen Nationalspielern die Kabine teilt, ist Dayot Upamecano. Der Innenverteidiger vom FC Bayern kündigte im Gespräch mit dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" an: "Jedes Duell gegen Deutschland ist etwas Besonderes. Egal, ob in Leipzig oder in München, ich habe fast jeden aktuellen deutschen Nationalspieler als Teamkollegen gehabt (...) Eines steht fest: Die Freundschaft mit meinen deutschen Kumpels wird für 90 Minuten ruhen."
Er habe Joshua Kimmich und Co. bereits gewarnt, "dass wir Vollgas geben werden." Upamecano weiter: "Wir fahren nach Dortmund, um zu gewinnen und um zu zeigen, dass mit uns nach wie vor auf höchstem Niveau zu rechnen ist." Ein Niveau, von dem Deutschland dieser Tage meilenweit entfernt ist.
Aus Upamecanos Sicht trotz aller Rivalität lediglich eine Momentaufnahme. "Ich bin mir sicher, dass Deutschland bald wieder eine große Rolle auf der internationalen Bühne spielen wird. Denn sie verfügen über viel Erfahrung durch Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan und viele andere Spieler. Außerdem haben sie mit Jamal Musiala einen fantastischen Spieler." Der Innenverteidiger prophezeite: "Die Nationalmannschaft wird noch stärker aus dem Tief herauskommen."

Frankreichs Problem-Jahre

Aus der Ferne sehen die Weissagungen also deutlich rosiger aus als hierzulande. Ob es sich bei den Aussagen mitunter um gastliche Höflichkeiten handelt? Vielleicht. Der Respekt vor dem DFB-Team ist aber ungebrochen. Frankreich weiß selbst, wie es ist, am Boden zu liegen. Bei der WM 2010 schlug eine namhaft besetzte Truppe als amtierender Vizeweltmeister in Südafrika auf – und verkaufte sich nicht nur aus sportlicher Sicht unterirdisch.
Trainingsboykotte, Spielerrevolten, Rauswürfe bestimmten die Schlagzeilen seinerzeit in der Grande Nation, am Ende der Vorrunde verabschiedete sich Frankreich als Gruppenletzter (in einer Gruppe mit Mexiko, Südafrika und Uruguay). Zwei Jahre später überstand man mit Mühe und Not die EM-Vorrunde, um im Viertelfinale chancenlos an Spanien zu scheitern. Im Anschluss übernahm Deschamps. Ein Trainer von Format. Ein Trainerformat, das Rudi Völler nun dringend für Deutschland sucht.
picture

Gündogan legt Finger in die Wunde: "Das ist die größte Aufgabe"

Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung