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Martínez, Ramires, Gervinho: Wie China die Machtverhältnisse im Fußball verschieben will

Johannes Mittermeier

Update 03/02/2016 um 11:50 GMT+1 Uhr

Jackson Martínez, Ramires, Gervinho, Augusto, der Ex-Bremer Lukimya und andere: In China rollt der Rubel. Mit einer aggressiven Transferpolitik und absurd hohen Gehältern haben einheimische Fußballklubs die Wechselperiode mitbestimmt. Selbst die zweite Spielklasse investierte mehr als die Bundesliga. China attackiert die Etablierten, will einen Machtumsturz - und deutsche Klubs wappnen sich schon.

Gestern Europa, morgen China: Jackson Martínez, Ramires und Gervinho (v.l.)

Fotocredit: Eurosport

Ursprünglich, erzählt Renato Augusto, wollte er bleiben. Dann erhielt er eine Offerte aus Deutschland, und eigentlich war sie ziemlich gut. "Aber dann kam ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte", berichtet Augusto. Er wechselte von Sao Paulo nicht zu Schalke 04, sondern zu Beijing Guoan nach China. Und damit in eine international bestenfalls zweitklassige Liga. Mit 27.
Für acht Millionen Euro ging der Deal über die Bühne, natürlich hing es an den Finanzen. "Als Spieler", sagt der Ex-Leverkusener Augusto, "hast du nur zehn Jahre, um Geld zu machen. Ich habe eine lange Verletzungshistorie, da fängt man an, sich Gedanken zu machen." Also Guoan statt Gelsenkirchen.
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China statt Schalke: Der Ex-Leverkusener Renato Augusto

Fotocredit: Imago

Der Transfer steht exemplarisch für eine Umwälzung im Fußball. China greift an! So richtig. Von den rund 690 Millionen Euro, die während der Winter-Wechselperiode in den sechs wichtigsten Fußball-Märkten zirkulierten, entfielen circa 240 Millionen auf das bevölkerungsreichte Land der Erde. Noch krasser: Selbst die zweite chinesische Liga investierte mehr als die Bundesliga. Eine Ansage.

Mit 23 in die zweite chinesische Liga

Die Macher der deutschen Profiklubs sind sich der Gefahr bewusst, manche fürchten gar eine drohende Lawine. "Ich glaube, dass es im Sommer eine Riesen-Abwanderung geben wird ", sagt Klaus Hofmann, Präsident des FC Augsburg:
Nicht nur nach England. Was China veranstaltet, ist fast schlimmer.
Werder Bremens Aufsichtsratsboss Marco Bode rechnet "nicht damit, dass sich die Welt künftig andersrum dreht. Aber die Balance wird sich ändern. Wir müssen wachsam sein und profitieren."
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Millionen-Offensive: China will eine Fußballmacht werden

Fotocredit: Imago

Was Bode meint: Möglichst viel Geld für möglichst ersetzbare Spieler herausschlagen. So haben es die Bremer mit Assani Lukimya gemacht, der für zwei Millionen an Liaoning Whowing verkauft wurde. Einen Angriff auf Anthony Ujah konnte Werder abwehren, Borussia Dortmund lehnte laut "Sport-Bild" 12 Millionen für Adrian Ramos ab, um Eintracht Frankfurts Alex Meier bemühten sich die Chinesen ebenfalls vergebens.
Noch?
Lukimya befindet sich auf seinem Weg gen Osten in prominenter Gesellschaft: Jackson Martínez (von Atlético für 42 Millionen Euro, asiatischer Rekord), Ramires (32/Chelsea), Gervinho (15/Rom), Paulinho (14/Tottenham) und Fredy Guarin (13/Inter) verließen Europa, um nach China überzusiedeln. Einen Brasilianer namens Geuvanio zog es für elf Millionen vom FC Santos zu Tianjin Quanjian, einen Zweitligisten. Der Mann ist 23.

Hitzfeld lehnte 25 Millionen ab...

Ins Raster passt die Aussicht, die sich wohl John Terry bietet. Als 35-Jähriger wird sein Chelsea-Vertrag nicht verlängert, angeblich soll ihn China mit 26 Millionen Euro locken - Jahresgehalt. Wer das für schlecht recherchiert, übergeschnappt oder beides hält, hörte besser genau zu, als Ottmar Hitzfeld 2015 enthüllte, "in eineinhalb Jahren China mehr als in sieben Jahren Bayern" verdient zu haben. 25 Millionen Euro nämlich. Hitzfeld schlug das unmoralische Angebot aus, der Familie wegen.
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Ottmar Hitzfeld wollte nicht nach China - auch nicht für eine horrende Bezahlung

Fotocredit: AFP

Stattdessen wurde Luiz Felipe Scolari verpflichtet, um Fabio Cannavaro zu beerben, der seinerseits auf Marcello Lippi folgte. Nur schillernde Namen sind genehm, vor Jahren wechselten Nicolas Anelka und Didier Drogba ins Reich der Mitte, allerdings waren die Stürmer-Legenden schon 33 und 34. Martínez, Ramires, Gervinho und Konsorten sind erst Ende 20. Das ist der Unterschied.
Wie und warum aber wird der fußballerische Hochadel derart von China angezogen? Antwort: Hinter der aggressiven Offensive steckt der Staat. Im Februar 2015 rief Präsident Xi Jinping sinngemäß die Stunde Null aus. Die meisten Klubs gehören (staatlichen) Firmen mit Saisonetats im dreistelligen Millionenbereich, im Land entstanden 50.000 Förderzentren, Fußball wurde Schulfach und ausländisches Know-how essentiell.

China will den WM-Titel - hat aber 30 Jahre Rückstand

Zu den Entwicklungshelfern zählt auch der Deutsche Marco Pezzaiuoli, der 2011 nach vier Monaten in Hoffenheim entlassen wurde und 2014 als Nachwuchskoordinator bei Guangzhou Evergrande anheuerte - jenem Klub, der Lippi hatte, Hitzfeld wollte, momentan Scolari beschäftigt und sich nun Angreifer Martínez gönnt.
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Marco Pezzaiuoli arbeitet seit 2014 in China

Fotocredit: Imago

Guangzhou, chinesischer Serienmeister und Halbfinal-Gegner des FC Bayern bei der Klub-WM 2013, besitzt mit 3000 Kindern die größte Fußball-Akademie der Welt, trotzdem muss Pezzaiuoli an der Basis anfangen, es geht um Grundlagen für die Vision des Staatspräsidenten: Dass China bald in der Spitze mitmischt, bis hin zum WM-Titel.

Drogba und Anelka machten schnell den Abflug

Momentan dümpelt die Nationalmannschaft auf Platz 82 der Weltrangliste herum, nach Pezzaiuolis Verständnis hinkt China an die 30 Jahre hinterher. Fußballerisch sind die Strukturen der 1,3-Milliarden-Einwohner-Republik verkrustet, nur etwa 8000 Menschen spielen selbst, es mangelt an Trainern, Spielstätten und einer entsprechenden Kultur. Woran es nicht mangelt, ist Geld.
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Didier Drogba (l.) und Nicolas Anelka hielten es in China nicht lange aus

Fotocredit: AFP

Der Bekanntheitsgrad der Ausländer soll eine Art Boom bewirken, mit veränderter Schlagrichtung. "Es war das erste Mal überhaupt, dass sich die chinesischen Klubs in Europa verstärkt nach Spielern umgeschaut haben", sagt Mainz-Manager Christian Heidel über den Winter 2015/16. Bis 26. Februar ist das dortige Transferfenster geöffnet, genug Zeit, um absurd hohe Summen und Gehälter für Profis wie Yaya Touré (ManCity), Falcao (Chelsea) oder Alex Teixeira (Donezk) zu finalisieren.
Garantie ist das keine. Die Altstars Drogba und Anelka waren ebenso schnell wieder weg wie Szabolcs Hustzi und Mike Hanke. Grund: Leben könne man da unten ja nicht.
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