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Taktik-Check: FC Barcelona und der Heldenfußball

Luca Baier

Update 25/02/2017 um 10:57 GMT+1 Uhr

Es läuft nicht wirklich rund beim FC Barcelona. Mehr denn je ist die Mannschaft von der Tagesform ihrer Einzelkönner im Sturm abhängig. Stichwort: "MSN" - mit Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar. Gelingt es Trainer Luis Enrique zum kollektiven Spielstil zurückzukehren? Vorm Top-Spiel bei Atlético Madrid (So., 16:15 Uhr im Liveticker) analysiert Eurosport.de den taktischen Wandel der Katalanen.

Taktik-Check: Barca und der Heldenfußball

Fotocredit: Imago

Nach dem Patzer von Real Madrid beim FC Valencia (zum Spielbericht) kann sich der FC Barcelona wieder ernsthafte Hoffnungen auf den Titel in La Liga machen. Um die Saison zu retten, sollte dies auch gelingen - denn in der Champions League dürfte man nur noch durch ein mittelgroßes Wunder weiterkommen können.
Die Klatsche in Paris verdeutlichte wie kaum ein anderes Spiel, welchen Wandel der FC Barcelona genommen hat. In besten Zeiten sah man dort den "totalen Fußball", ganz nach dem Visionen von Johan Cruyff. Alle verteidigen, alle greifen an.
Das Positionsspiel und das Gegenpressing sorgten für Dominanz in jedem Spiel – die Einzelkönner wurden so vielfach in aussichtsreiche Positionen gebracht. Bei Barça 2017 liegt der Fokus hingegen ganz klar auf den Einzelspielern – Stichwort "MSN". Luis Suarez, Neymar und naürlich Lionel Messi bilden eines der nominell stärksten Sturmtrios der jüngeren Fußballgeschichte. Dribbling, Passspiel, Abschluss: Die drei bieten das komplette Paket.
Was gegen schwache Gegner oft für Kantersiege reicht, wird gegen große Gegner jedoch zum Problem. In Paris zeigte sich, dass es gegen einen gut organisierten, mutigen Gegner nicht möglich ist, gleich drei Spieler von der Defensivarbeit zu befreien. Die drei Stürmer klinkten sich bei Ballverlust aus und warteten vorne auf Konter. Die Folge: Barca musste mit dem Dreiermittfeld weite Wege auf den Flügel gehen, um dort Druck auf den Ball auszuüben.
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Lionel Messi vom FC Barcelona

Fotocredit: AFP

Verlagert der Gegner dann jedoch über das Zentrum oder gar auf die andere Seite, gibt es viel Raum für die gegnerischen Spieler, um mit Tempo auf die Abwehrspieler zuzugehen. Nahezu jeder torgefährliche Situation in der französischen Hauptstadt ging dieses Muster voraus.

Mittelfeld nicht länger das Herzstück

Bei dieser klaren Trennung der Mannschaftsteile ist das Mittelfeld, Barcelonas einstiges Herzstück, zu isoliert und wird seinen Stärken beraubt. Spieler wie Sergio Busquets und Andrès Iniesta brauchen Kombinationsmöglichkeiten auf engem Raum, um das Spiel aufzuziehen. Die Spielphilosophie der Katalanen sieht aktuell aber eine schnelle Überbrückung der Mittelfeldzone vor.
Der Ball soll schlichtweg möglichst schnell zu Messi, Neymar oder Suarez gespielt werden. Das Problem: Diese Situationen sind oftmals nicht gut vorbereitet. Anstatt in gewohnter Manier über viele Stationen zu spielen, den Gegner zu locken und die Individualisten so freizuspielen, dass sie ihre Aktionen zwischen den Linien starten zu können, werden Messi und Co. zu oft mit dem Rücken zum Tor angespielt.
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Neymar, Messi und Suarez

Fotocredit: Imago

Messi kann sich zwar immer wieder mal aus diesen Drucksituationen lösen – je nach Gegner auch mal gegen sechs oder mehr Verteidiger – zu oft gerät das Kombinationsspiel durch diese Anspiele jedoch ins Stocken. Der beste Beweis für das vernachlässigte Positionsspiel sind die Szenen, in denen Messi sich auf Höhe der Sechserposition den Ball abholt und von dort gegen den gesamten gegnerischen Zehn-Mann-Block anspielt. Gegen Defensivkünstler wie Diego Simeones Atlético ist dies trotz Messis Klasse nicht gerade aussichtsreich.

Systemumstellung ist nicht die Lösung

Zuletzt wurde in den spanischen Medien häufiger über mögliche Systemumstellungen diskutiert. Trainer Luis Enrique stellt in dieser Saison tatsächlich hin und wieder um: Statt 4-3-3 wird dann 4-2-3-1 gespielt. Doch diese Zahlenspiele sind nicht die Lösung für die Probleme der Blaugrana. Das Mittelfelddreieck hätte lediglich in der Grundposition (und auch nur dort) eine andere Ausrichtung, vorne bliebe es bei zwei extrem offensiven Flügelspielern und Stürmer Suarez.
Die Herausforderung für Enrique wird es eher sein, die Spielphilosophie des Vereins wiederzuentdecken: Pass- und Positionsspiel, um sich den Gegner geduldig zurechtzustellen. Aggressives Anlaufen von allen Spielern, um frühe Ballgewinne zu erzielen, intensives Gegenpressing, um Konter zu vermeiden.
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Luis Enrique während dem Spiel PSG-Barcelona

Fotocredit: AFP

Die Verlockung, sich voll und ganz auf die drei Einzelkönner mit Weltklassefähigkeiten zu verlassen, ist natürlich groß. Im Fußball mit der Barca-DNA würden die Stärken des Trios jedoch noch besser zur Geltung kommen.

Eurosport-Check:

In der Meisterschaft gibt es Resthoffnung, die Champions League scheint verloren. Die Copa del Rey genießt nicht den höchsten Stellenwert: Es könnte eine maue Saison für den FC Barcelona werden. Doch viel schlimmer als das Ausbleiben von großen Titeln wäre die endgültige Abkehr von der eigenen Fußballphilosophie. Die Spieler werden und wurden nach genau diesen Prinzipien ausgebildet, ein anderer Fußball funktioniert mit ihnen nicht. Gelingt es Enrique nicht, vom Heldenfußball zurück zum kollektiven, dominanten Spielstil zu kommen, ist er womöglich trotz diverser Erfolge in der Vergangenheit doch nicht der richtige Mann für die katalanische Trainerbank.
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