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Bernhard Eisel im Interview: Cian Uijtdebroeks "könnte Grand Tours in kommenden Jahren dominieren"

Andreas Schulz

Update 14/10/2023 um 11:14 GMT+2 Uhr

Cian Uijtdebroeks ist das größte Rundfahrt-Juwel im Radsport - und entsprechend heiß begehrt. Bora-Insider Bernhard Eisel erklärt das Potenzial des Belgiers, den er als Sportlicher Leiter bei dessen erster dreiwöchigen Rundfahrt während der Vuelta in die Top Ten der Gesamtwertung führte. Außerdem spricht er im Exklusiv-Interview über Primoz Roglic, Tadej Pogacar, Lennard Kämna und Mark Cavendish.

Bora-Talent Uijtdebroeks: "Das Gelbe Trikot immer im Kopf"

Cian Uijtdebroeks bestimmt aktuell die Gerüchteküche im Radsport - ist er wirklich so ein Rohdiamant?
Bernhard Eisel: Jeder sucht nach dem nächsten Tadej Pogacar oder Jonas Vingegaard - und Cian hat bei der Vuelta gezeigt, welches Potenzial in ihm steckt. Mit seinem Auftritt dort hat er bewiesen, dass man ihn ganz vorne im Kreis jener Fahrer sehen muss, die bei den Grand Tours in den nächsten Jahren dominieren können.

Wo hat er noch die größten Steigerungsmöglichkeiten?
Eisel: Im Prinzip überall, er hat seine Grenzen noch nirgendwo erreicht. Im Zeitfahren ist auf jeden Fall Luft nach oben und er muss natürlich insgesamt einfach noch Routine gewinnen. Er hat in Spanien gezeigt, dass er keinen schlechten Tag innerhalb von drei Wochen hatte, das war eindrucksvoll. Taktisch und im Rennverhalten kann er weiter dazulernen, aber das sind letztlich Kleinigkeiten. Cian muss diesen Hunger, den erst jetzt noch hat, weiter behalten und richtig kanalisieren.
Hat er perspektivisch auch die Fähigkeit, ein Team als Kapitän zu führen?
Eisel: Auf jeden Fall. Allerdings hat sich das im modernen Radsport auch gewandelt, die Leader alten Stils gibt es so eigentlich nicht mehr. Tadej Pogacar macht das zum Beispiel einfach mit Spaß und "leading by example", Jonas Vingegaard verlässt sich eher auf das Begleitfahrzeug und seine Teamkollegen. Heute haben auch die Trainer und ihre Analysen viel mehr Bedeutung bekommen: Darauf richten die Fahrer dann ihre Rennen aus - sie wissen, welche Leistung sie bringen können, was ihr Ziel ist und entsprechend wird gefahren.
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Cian Uijtdebroeks vor Primoz Roglic und Sepp Kuss bei der Vuelta 2023

Fotocredit: Getty Images

Es gab auch Meldungen über Zwist zwischen Uijtdebroeks und Teamkollege Aleksandr Vlasvov bei der Vuelta im engen teaminternen Rennen um Platz sieben der Gesamtwertung - war das so?
Eisel: Da war wirklich kein Ärger, das kann ich versichern und die von manchen angesprochene Szene auf dem weg zur letzten Bergankunft der Vuelta haben wir dort nach der Etappe zusammen besprochen. Wir wollten in dieser Situation das Rennen mit einer Attacke von Aleks frisch in Schwung bringen, aber leider sind die falschen Leute hinterhergefahren.
Es gibt zuletzt immer wieder Wechselgerüchte um den 20-jährigen Belgier: Würde Bora ein solches Talent, das sich nun auch auf höchster Ebene bewiesen hat, tatsächlich ziehen lassen?
Eisel: Wir haben sein Potenzial schon vor Jahren erkannt, deshalb haben wir ihn ja auch bereits 2021 in unser Nachwuchsteam geholt. Zu den Gerüchten habe ich selbst nicht mehr Informationen als die Journalisten. Aber mein letzter Stand ist, dass er nächstes Jahr noch Vertrag bei uns hat. Ich habe bei der Vuelta viel mit ihm gesprochen und sehe ihn weiter in unserem Trikot. Aber Gespräche gibt es natürlich immer.
Mit der Verpflichtung von Primoz Roglic ist Bora-hansgrohe ein echter Coup geglückt, was bedeutet das für Mannschaft?
Eisel: Er weiß, die Mannschaft ist ganz für ihn da - und er weiß, dass es eine richtig gute Mannschaft ist, um im Gesamtklassement vorne mitzufahren. Deshalb hat er sich für uns entschieden. Primoz bringt umgekehrt richtig großes Momentum in das Team, für jeden Helfer, für jeden anderen Leader. Jeder weiß jetzt, wir sind da, wo wir immer hinwollten: Wir können nach dem Giro-Sieg mit der Tour de France das nächste große Ziel angehen - und dafür ist er zu 100 Prozent der richtige Mann. Außerdem können alle von ihm lernen - er ist ein richtiges "role model" - und für Fahrer wie Uijtdebroeks oder Vlasov ergeben sich mit ihm neue taktische Optionen, von denen man profitieren kann.
Ihr enger Freund Mark Cavendish hat sich jetzt entschieden, doch noch ein Jahr weiter bei der Tour de France nach dem alleinigen Rekord an Etappensiegen zu greifen. Wie bewerten Sie den Entschluss?
Eisel: Er hat lange überlegt, aber es war aus meiner Sicht die absolut richtige Entscheidung. Er hat bei der letzten Tour bewiesen, dass er es noch draufhat. Wenn bei der Etappe nach Bordeaux seine Kette nicht gesprungen wäre, hätte es vielleicht schon da zu mehr als Platz zwei gereicht. Jetzt hat das Team mit Michael Mørkøv einen der besten Anfahrer und mit Max Kanter einen weiteren ganz schnellen Mann verpflichtet, damit wird für Cavendish die Anfahrt zum Sprint entspannter. Er kann sich dann voll auf den eigentlichen Sprint konzentrieren und kommt in perfekter Position dort an, wo er sein will, ohne davor Energie zu verlieren.
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Unschlagbarer Philipsen wird zum Spielverderber für Cavendish

Deutschlands bester Sprinter Pascal Ackermann nimmt mit einem Wechsel weg von der UAE-Mannschaft einen neuen Anlauf in seiner Karriere - sehen wir ihn 2024 erstmals bei der Tour?
Eisel: Ich glaube ja. Noch habe ich beim Team Israel ansonsten keine anderen große Neuzugänge gesehen und Chris Froome schaut sich gerade um, ob er anderswo die Option bekommt, die Tour zu fahren. Deshalb sehe ich da Pascal schon bei der Tour am Start - das Team braucht dort einen Sprinter. Wenn er noch einen guten Mann an seine Seite bekommt, ist alles perfekt: Das hat er mit seinem Sieg beim Giro d'Italia in diesem Jahr ja bewiesen.
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Enger geht's nicht! Ackermann im Finale einen Hauch vor Milan

Wenn wir auf die zu Ende gehende Saison zurückblicken: Wer war von den vielen Stars Ihr Fahrer des Jahres?
Eisel: Für mich ist das Tadej Pogacar. Sicher war auch Mathieu van der Poel herausragenden mit seinem Triumph bei der Weltmeisterschaft, dazu den Siegen bei den zwei Monumenten Mailand - Sanremo und Paris - Roubaix sowie den Erfolgen in der Cross-Saison. Roglic und Jonas Vingegaard sind etwas weniger Rennen gefahren als Pogacar, haben dafür aber fast alles gewonnen, wo sie angetreten sind. Aber Bilanz mit Siegen von Februar bis Oktober, mit Topergebnissen bei Klassikern wie bei Rundfahrten: Damit ist er einfach in einer eigenen Kategorie. Außerdem hat er dabei immer ein Lächeln im Gesicht: Ich weiß gar nicht, was der ohne Radrennen machen würde - der würde sich wahrscheinlich ansonsten jede Strava-KOM im Umkreis von 600 Kilometern holen.
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Wer war der Aufsteiger des Jahres?
Eisel: Da bin ich bei drei Sprintern - allen voran Arnaud De Lie mit seinen zehn Siegen in diesem Jahr, darunter auch in Québec in der WorldTour. Aber auch Olav Kooij, der ja noch gar nicht so lange Radprofi ist, und Jonathan Milan gehören dazu, sie alle haben neben den Sprints auch Potenzial in den Klassikern. Milan könnte sich auch in eine Richtung wie Filippo Ganna weiterentwickeln, er bringt Kraft, Schnelligkeit und den Kopf für große Erfolge mit.
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Wie geht es 2024 für Lennard Kämna weiter: Als erfolgreicher Etappenjäger wie zuletzt unter Ihrer Führung bei der Vuelta oder mit Fokus auf die Gesamtwertung wie beim Giro?
Eisel: Ich habe mit ihm gemeinsam bei der Vuelta auch lange darüber gesprochen. Mit ihm zusammenzuarbeiten macht richtig Spaß! Das sollen die anderen Jungs aber bitte nicht falsch verstehen… Lennard ist einfach ein richtiger Rennfahrer, er will immer, ist immer voll motiviert. Er muss sich mit seiner Entscheidung wohlfühlen, das ist das Wichtigste, aber ich glaube, das ist bei ihm mit beiden Optionen der Fall. Er kann sehr gut damit umgehen, sich drei Wochen lang auf die Gesamtwertung zu konzentrieren und dann dabei aber in seinen Freiheiten bei der Jagd nach Etappensiegen eingeschränkt zu sein. Die kann er dann wiederum in anderen Rennen ausspielen. Für mich hat er in jedem Fall das Zeug dazu, in beiden Bereichen zu glänzen.
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