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Paris - Roubaix: "Hölle des Nordens"? Der Schrecken war nicht das Rennen

Andreas Schulz

Update 01/04/2024 um 11:07 GMT+2 Uhr

Es ist die "Königin der Klassiker", doch berühmt wurde Paris - Roubaix gerade für sehr unköniglichen Markenzeichen: Staub. Matsch. Stürze. Defekte. Altertümliche Duschen. Dieser archaische Charme und die extremen Belastungen des Rennens üben einen besonderen Reiz aus, der oft mit dem Begriff "Hölle des Nordens" wortgewaltig beschrieben wird. Doch an der historischen Wahrheit geht das weit vorbei.

Fausto Coppi bei Paris-Roubaix 1950

Fotocredit: Getty Images

Selten werden Leiden, Kampf und Dramen des Radsports so direkt erlebbar wie bei Paris - Roubaix, auch vor dem Fernsehschirm, auch für jeden Laien.
Nur zu verständlich, dass es dann zum zweiten 'Ehrentitel' des Klassikers nicht weit ist: Kaum ein Artikel, in dem nicht schon im ersten Absatz die "Hölle des Nordens" beschworen wird.
Aber so griffig damit die Strapazen und die manchmal grenzwertigen Bedingungen bei Paris - Roubaix ins Bild gesetzt werden: Über den grausigeren Ursprung des Ausdrucks wird nur selten ein Wort verloren. Doch der schmissige Slogan hat einen viel zu ernsten Hintergrund, um ihn ohne Erklärung als schlichtes Synonym für ein Radrennen zu verwenden.
Man sollte die Geschichte kennen, auch wenn sie inzwischen über 100 Jahre zurückliegt.

"Hölle des Nordens" als Synonym des Schreckens

Bei einer Streckenbesichtigung für die Austragung von Paris - Roubaix 1919 begleitete ein Journalist der veranstaltenden Zeitung "L'Auto" den französischen Star Eugène Christophe (ja, genau - der mit der gebrochenen Radgabel in der Schmiede am Tourmalet bei der Tour de France) auf dem Kurs durch Nordfrankreich. Schockiert von den apokalyptischen Verwüstungen der Kriegsjahre prägte jener Victor Breyer den Ausdruck "l'enfer du nord".
Seinen Zeitgenossen waren Tod, Leid und Zerstörung der vier Jahre Dauerfeuer auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges unauslöschlich eingebrannt. Doch mit den Jahrzehnten scheint neben den Schrecken selbst auch immer mehr in Vergessenheit geraten zu sein, dass nicht die Extrembelastung des Radrennens den Vergleich zur Hölle hervorrief. Sondern die schaurige Bühne, auf der es ausgetragen wurde.
So groß mein Respekt vor der Leistung aller ist, die sich Paris-Roubaix stellen: Die Anstrengungen, Schmerzen, Grenzerfahrungen eines sportlichen Wettbewerbs, gleich wie hart er ist, sind mit denen eines Krieges nie vergleichbar.
Wir sollten uns bei Paris - Roubaix nicht nur über ein grandioses Spektakel, über großen Sport und Athleten der Extraklasse freuen. Sondern auch einmal kurz unsagbar froh und dankbar sein, dass die Kämpfe in Flandern, Nordfrankreich oder den Ardennen inzwischen sportliche sind.
Welche Schrecken die wahre Hölle des Nordens bedeutete, hat die oscarprämierte Neuverfilmung von "Im Westen nichts Neues" inzwischen wieder einem breiten Publikum eindrucksvoll vor Augen geführt.
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