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Paris - Roubaix: Der Wald von Arenberg - eine Reise ins Herz der Hölle

Laurent Vergne

Update 01/04/2024 um 11:12 GMT+2 Uhr

Paris - Roubaix. Die Hölle des Nordens. Kopfsteinpflaster. Schmerzen. Stürze. Und in der Mitte der spektakulären Strecke wartet eine 2400 Meter lange schnurgerade Schneise, wo Selbstüberwindung und Sturzrisiko ihren Höhepunkt erreichen. Es ist der "Wald von Arenberg" - eine Kultstätte der Klassiker, faszinierend und verstörend.

Der Wald von Arenberg - das gefürchtetste Pflaster von Paris-Roubaix

Fotocredit: Eurosport

Dieses Rennen ist ein Witz. Du schuftest wie ein Tier. Du hast nicht mal Zeit zu pinkeln, sondern machst dir in die Hose. Du rutschst durch den Schlamm. Es ist ein Haufen Scheiße.
Das nennt man wohl Klartext, was Theo de Rooij nach seinem Ausstieg bei Paris - Roubaix am 14. April 1985 frustriert den Journalisten entgegenschleudert.
Völlig verausgabt, den schmerzenden Körper mit Dreck überzogen, lässt der Niederländer seinem Wutausbruch aber etwas später einen unerwarteten Satz folgen: Ob er denn noch einmal bei diesem Klassiker starten würde, den Steffen Wesemann Jahre später als "anormal" und Jens Voigt als "Gladiatoren-Wettstreit" bezeichnen sollten? "Ja - denn das ist das schönste Rennen der Welt!"
Besser als de Rooij kann man nicht auf den Punkt bringen, was die "Königin der Klassiker" so besonders macht. Diese einzigartige Hassliebe, die zur DNS von Paris - Roubaix geworden ist. Denn es geht um den reinen Kern des Radsports, nämlich die Fähigkeit jedes Fahrers, die Grenzen seiner Leidensfähigkeit immer weiter hinauszuschieben. Keine andere Prüfung auf der Welt macht diese Herausforderung so greifbar wie Paris - Roubaix in seiner Mischung aus Mutprobe und Irrsinn.
Der Wald von Arenberg ist dafür Symbol und Schlüsselstelle. In nur wenigen Jahrzehnten wurde dieses Kopfsteinpflasterstück nicht einfach nur zur gefürchtetsten Passage des Rennens, sondern zur Inkarnation dessen, was Paris - Roubaix ausmacht. Die Geschichte der "Trouée d’Arenberg" und ihre vielfältigen Facetten präsentieren wir Ihnen hier - auf in die Hölle!
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Paris-Roubaix 2006: Tom Boonen im Trikot des Weltmeisters in Arenberg

Fotocredit: AFP

1. Die Entstehung eines Mythos

Er kannte Paris - Roubaix nicht, aber er wäre fast zum Totengräber des Rennens geworden. Denn die Erfindung von John Loudon McAdam veränderte den Straßenbau im 19. Jahrhundert. Der schottische Ingenieur sorgte mit der Erfindung des nach ihm benannten Straßenbelags "Makadam" für einen Quantensprung, der den Zustand des Wegnetzes in ganz Europa auf ein neues Niveau hob. Doch damit hätte er rund 130 Jahre nach seinem Tod unwissentlich fast für den Tod des berühmtesten Radklassikers der Welt gesorgt.
Denn die Asphaltierung ist der Todfeind des Kopfsteinpflasters. In den 1960er Jahren wird nach der enormen Zunahme des Fahrzeugbestandes in ganz Frankreich im großen Stil das Straßennetz erneuert und ausgebaut. Die gepflasterten Straßen verschwinden Schritt für Schritt, ein Anachronismus weicht dem Asphalt. Ein Segen für die Bevölkerung, ein Schreckgespenst für Paris - Roubaix. Im Jahr 1965 ist es so weit gekommen, dass von den 265 Kilometern der Strecke nur noch insgesamt 22 Kilometer aus Kopfsteinpflaster bestehen. Ein Angriff auf nicht weniger als die Identität des Klassikers.
Wie sehr sich der einmalige Charakter des Rennens wandelt, beweist der Sieg von Jan Janssen 1967, der im Sprint einer Gruppe von zehn Fahrern gewinnt: Weil der Kurs so wenige Schwierigkeiten aufweist, haben die stärksten Fahrer kaum noch die Möglichkeit, ihre Klasse auszuspielen.
Für den Renndirektor ein untragbarer Zustand. "Jacques Goddet ist explodiert", erklärt uns Radsport-Historiker Pascal Sergent, Autor mehrerer Bücher über Paris - Roubaix. "Es war ein Sprint-Duell vieler Stars, doch für ihn war es unvorstellbar, dass ein solches Rennen überhaupt mit einem Sprint endet. Deshalb forderte er seinen Mitarbeiter Albert Bouvet auf, neue Kopfsteinpflasterabschnitte zu finden, um dem Rennen eine komplett neue Streckenführung zu geben."
Da kommt Jean Stablinski ins Spiel. Der französische Ex-Profi, Weltmeister 1962, kennt Frankreichs Norden wie seine Westentasche. Ihm vertraut Bouvet die Aufgabe an, auf die Suche nach "Pavé"-Passagen zu gehen. Und Stablinski denkt sofort an einen Ort: Arenberg.
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Der Wald von Arenberg

Fotocredit: AFP

Sergent erzählt uns: "Jean sagte zu Albert: Hör mal, ich kenne einen Abschnitt, aber ich weiß nicht, ob man dort langfahren kann. Er liegt im Wald, direkt bei den Minen." Der Grund, warum Stablinski diesen Weg kennt? Er hat einst selbst in einer der Minen Nordfrankreichs gearbeitet, nur einen Steinwurf vom Wald von Arenberg entfernt, bevor seine Radsport-Karriere begann.
Die Szenerie ist auch Kino-Fans bekannt: Die Neuverfilmung des Klassikers "Germinal" von Emile Zola Anfang der 1990er Jahre wurde teilweise dort gedreht. Die Fördertürme werden jedes Jahr bei Paris-Roubaix vom TV-Helikopter in Szene gesetzt, die Eisenbahnbrücke quer über das Pflastersträßchen im Wald diente bis zur Schließung der Minen 1989 zum Transport des Abraums aus den Gruben und ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.
"Ich bin der einzige Fahrer, der hier jemals über und unter dem Kopfsteinpflaster unterwegs war", erinnerte "Stab" häufig.
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Die Minen und Bergarbeiter prägen die Region um Arenberg (Visual von Tomski & Polanski)

Fotocredit: Eurosport

Die Suche nach geeigneten Pflasterpassagen dauert bis in den Januar 1968, dann gilt es, die Zustimmung von Goddet zu bekommen. Kein Kinderspiel. "Jacques war schockiert, gestand er mir später einmal", berichtet Sergent, "als er erstmals dort war, sagte er sich: Nein, da kann man die Fahrer wirklich nicht entlangschicken". Zu schwer. Zu gefährlich. "Es gab eine echte Diskussion zwischen Jean, Albert und Jacques. Am Ende hatten sie ihn so weit, dass er einen Versuch akzeptierte."
Aber überzeugt ist der legendäre Chef der Tour de France und Boss der Sportzeitung L’Equipe ganz und gar nicht. Der Wald von Arenberg steht schon vor seiner Aufnahme in die Strecke unter scharfer Beobachtung. "Wenn es 1968 einen Unfall wie später jenen von Museeuw oder Gaumont gegeben hätte, wäre dieser Streckenteil schon im nächsten Jahr wieder aus dem Programm genommen worden", versichert Sergent.
Die Legende hat also mehrere Väter: Stablinski und seine Intuition, Bouvet und seine Beharrlichkeit - und ein wenig Glück kam auch dazu. Die Premiere des Waldes von Arenberg bei Paris - Roubaix 1968 geht glimpflich über die Bühne und Goddet schiebt seine Bedenken beiseite.
"Man muss Jean und Albert wirklich Respekt erweisen", erklärt uns Gilbert Duclos-Lassalle, mit zwei Siegen selbst eine Legende des Klassikers, "Jean wusste, dass es schwere Streckenabschnitte brauchte. Denn dieses Rennen lebt von seiner extremen Schwierigkeit - schließlich heißt es nicht ohne Grund Hölle des Nordens".
Wie heißt der Wald von Arenberg wirklich?
Arenberg? Wallers? Trouée? Tranchée? Nicht nur Frankreich herrscht durchaus Verwirrung über die richtige Bezeichnung der Kultstätte des Radsports. Der offiziell in den Karten vermerkte Name ist "Drève des Boules d’Hérin" - wobei "Drève" eine Allee bezeichnet. "Wie man den Streckenabschnitt 1968 nannte? Er hatte keinen Namen!", amüsiert sich Sergent. "Es waren die Journalisten, die über die Jahre hinweg den Namen entwickelt haben." Der Ort formte also seine eigene Bezeichnung, nicht umgekehrt.
Der Begriff Trouée (Schneise), der heute im Streckenplan verwendet wird, tauchte erst im Laufe der 70er Jahre auf. Andere sprechen von Tranchée (Schützengraben), ein besonders bezeichnender Spitzname. "Ich benutze keinen besonderen Namen", meint hingegen Roubaix-Legende Duclos-Lassalle, "für mich bleibt es Wallers oder Arenberg", hält er sich an die Namen des nahe gelegenen Städtchens und seines Vorortes.
Die entscheidende Rolle, die Stablinski für die Erneuerung der Streckenführung von Paris - Roubaix spielte, wurde nach dem Tod des Edelhelfers von Radsport-Legende Jacques Anquetil, der in seiner Karriere viermal Landesmeister wurde und Etappen bei allen großen Rundfahrten gewann, gewürdigt. Im Jahr 2008 wurde ein Gedenkstein zu seinen Ehren eingeweiht, platziert auf der linken Straßenseite kurz vor der Einfahrt in den Wald von Arenberg.
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Das Denkmal für Jean Stablinski am Wald von Arenberg

Fotocredit: AFP

Hat die Aufnahme der Passage das Rennen gerettet? Schwer zu sagen, aber in jedem Fall hat er der Strecke eine unverzichtbare epische Note gegeben. "Mit Arenberg änderte sich ab 1968 die Streckenführung von Grund auf und seitdem haben wir den bis heute genutzten Kurs - wenn man vom Startort absieht [der 1976 von Chantilly nach Compiègne verlegt wurde]", so Sergent. Es ist die Geburt des modernen Paris - Roubaix, ausgerechnet im Jahr der Studentenproteste. Unter den Pflastersteinen von Arenberg liegt der wiedergefundene Glanz von Paris - Roubaix, um den Slogan der 68er ["Unter dem Pflaster liegt der Strand"] aufzugreifen…

2. Einzigartiges Charisma und bröckelndes Pflaster

Es ist ein seltsames Paradox: Die Profis fahren am Sonntag erst zum 40. Mal durch den Wald von Arenberg, wo doch Paris-Roubaix schon zum 115. Mal ausgetragen wird. Historisch gesehen ragt also die Rolle dieses Streckenabschnitts nicht heraus. Dennoch wird er aber in kürzester Zeit zum Symbol dieses mythischen Rennens.
Der Vergleich mit der Rolle von Alpe d’Huez bei der Tour de France drängt sich dabei auf. Beide sind erst relativ spät aufgetaucht, dann aber sehr schnell zum bekanntesten Punkt der Strecke geworden. Alpe d’Huez wurde erst 1952 erstmals erklommen und danach wieder für über zwanzig Jahre vergessen. Erst in den 70ern begann der Siegeszug der Popularität jener 21 Serpentinen, die seitdem zusammen mit dem Mont Ventoux, dem Col du Galibier und dem Col du Tourmalet zu den bekanntesten Anstiegen der Tour zählen.
Wo immer man Fans von Paris-Roubaix bittet, ob in Frankreich oder anderswo, spontan eine Kopfsteinpflasterpassage des Rennens zu nennen, wird in fast jedem Fall der Name Arenberg fallen. Es ist fast so wie mit dem Elternsein: Man hat prima ohne Kinder gelebt - aber wenn sie einmal da sind, fragt man sich, wie man ohne sie leben konnte.
Dass Arenberg so schnell so berühmt wird, hat seine Gründe: Historische, geographische - und sportliche. Ein Dreierpack, den ASO-Streckenchef Thierry Gouvenou, als Fahrer Roubaix-Sieger bei den Amateuren und 2002 Siebter bei den Profis, auf den Punkt bringt: "Zu Arenberg gibt es keinen Vergleich!"
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Thierry Gouvenou in Arenberg bei Paris-Roubaix 2002

Fotocredit: AFP

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Verankerung in der Geschichte der Region. "Wir befinden uns hier ganz in der Nähe der Minen", erinnert Gouvenou, und das ist keine Banalität. Die Identität von Paris - Roubaix ist eng mit jener der Bergarbeiter verknüpft, beide verbindet Stolz und Leiden. "Man fährt Paris -Roubaix nicht, ohne zu leiden", unterstreicht Duclos-Lassalle:
Die Menschen hier im Norden schätzen einen, weil sie das Gefühl haben, dass man ein wenig wie sie ist, wie die Minenarbeiter.
Darüber hinaus ist es die Natur, die Arenberg zu einem einzigartigen Streckenabschnitt macht, der keinem der rund 30 anderen Pflasterstücke im Rennen ähnelt. Das hebt ihn aus der Liste der "secteurs pavés" heraus und sorgt für den Wiedererkennungswert - eine der großen Stärken. Francois Doulcier ist der Präsident der Vereinigung der Freunde von Paris - Roubaix. Die "Amis" wurden vor 40 Jahren gegründet, um den Erhalt der Kopfsteinpflaster-Sträßchen zu sichern, die weiter von der Asphaltierung bedroht blieben. Heute setzt sich der Verein für die Pflege und Wiederinstandsetzung des steinernen Erbes ein.
Arenberg zeichnet sich für ihn durch einen unvergleichlichen Charme aus. "Das ist ein grandioser Ort, majestätisch. Man hat den Eindruck, in einer Kathedrale zu sein. Selbst wenn der Weg geteert wäre, würde es beeindrucken." Dem stimmt auch Sergent zu: "Es ist ein ganz spezieller Ort, diese lange Gerade, von Bäumen gesäumt. Das ist schon für sich ein beeindruckender Anblick. Wenn man dann noch die Fahrer hinzunimmt, die mit einer enormen Geschwindigkeit entlangjagen, wird dieser Eindruck noch umso stärker."
Es ist besonders dieser visuelle Aspekt, der einen packt. Passend dazu ist Arenberg zu einem Zeitpunkt bei Paris - Roubaix aufgenommen worden, in dem Fernsehen immer wichtiger wurde. Es sind die TV-Kameras, die den Eindruck dieses Ortes erst in vollem Ausmaß zum Tragen bringen. Die zentrale Entwicklung kommt dabei in den 80er Jahren - und sie kommt mit und durch das Fernsehen. Denn vorher hat Arenberg noch lange nicht den besonderen Klang, den dieses Wort für die Fans bald haben wird.
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Paris - Roubaix: der Wald von Arenberg mit seiner Eisenbahnbrücke

Fotocredit: Imago

Denn Arenberg verschwindet wenige Jahre nach seiner Einführung 1968 zwischen 1974 und 1983 wieder aus dem Streckenplan - doch bei seinem "Comeback" 1984 ragt dann der Abschnitt derart aus dem Renngeschehen heraus, dass er fortan ein Fixpunkt wird. Und daran hat das Fernsehen großen Anteil:
"Damals wurde die Fahrt durch den Wald erstmals live übertragen und die Rennsituation ließ die Fans besonders mitfiebern. Denn zwei Fahrer der nordfranzösischen Mannschaft La Redoute, der Deutsche Gregor Braun und der Franzose Alain Bondue, waren als Ausreißer vorn. Die Fans feuerten das Duo besonders an, denn Bondue kam aus Roubaix und feierte an jenem Tag auch noch Geburtstag. Darum sprach man nach dem Rennen sehr viel über diesen Streckenabschnitt und er blieb den Leuten in Erinnerung", erklärt Sergent.
Bondue stürmt am Ende auf den dritten Rang, Braun wird Fünfter - und gemeinsam haben sie Arenberg in die Wohnzimmer gebracht.
Von da an wird Arenberg zu dem sportlichen und medialen Fixpunkt, den wir heute kennen. Eine Übertragung von Paris - Roubaix, die die Wald-Passage nicht beinhaltet, ist unvorstellbar. Wenn es irgendwann kurz nach 14:00 Uhr an den Fördertürmen vorbei geht, beginnt das Rennen erst so richtig.
Aber es ist nicht einfach nur das Spektakel, das Arenberg zu einem so zentralen Streckenteil macht, sondern auch der echte sportliche Aspekt. Dabei ist er weder der längste noch der von seiner strategischen Lage her entscheidende Sektor. Woher rührt dann der Ruf und der Respekt, den die Fahrer diesen 2,4 Kilometern entgegenbringen?
Der Grund ist einfach: Der Zustand der Pflastersteine. Er macht diesen Abschnitt zum schwersten des ganzen Rennens.
"Das ist die Pavé-Entsprechung für das, was bei den Anstiegen der Tour die Klassifizierung "HC" ist", bringt es Gouvenou auf den Punkt. Der Bodenbelag in der grünen Waldschneise ist schlichtweg fürchterlich - und das macht ihn so gefürchtet.
Experte Doulcier stellt ganz trocken fest, dass es "der Sektor mit der schlechtesten Pflasterung" ist. Und der Pavé-Kenner erklärt, welche drei Faktoren dafür verantwortlich sind:
  • Die Pflastersteine sind nicht glatt, sondern ihre Oberfläche ist unförmig und zerklüftet. Wir haben es diesbezüglich in Arenberg mit der schlechtesten Qualität an Pavés zu tun.
  • Die Zwischenräume sind hier besonders groß. Das sorgt dafür, dass man teilweise wie auf einer Art von Treppe unterwegs ist. Liegen die Steine eng aneinander, bilden sie eher eine Fläche, hier sind es fast schon kleine Stufen.
  • Die Steine haben nicht nur schreckliche Oberflächen, sondern sie sind auch noch schlecht verlegt. Ganz losgelöst vom Abstand zwischen den Reihen ist da fast immer ein Höhenunterschied von mindestens einem Zentimeter, eher mehr. Das ist jedes Mal beinahe ein Mini-Bordstein.
Aus diesen Gründen gibt es im Wald von Arenberg auch keine Ideallinie, der man folgen könnte. Das führt angesichts der Bedeutung des Abschnitts dazu, dass jeder Fahrer diesen Abschnitt mit einer Mischung aus Aufregung, Stress und Angst angeht wie keinen anderen.
Arenberg konfrontiert die Fahrer mit zwei zentralen Aspekten des Radsports: Mut und Gefahr. Es ist ein Aufbruch ins Unbekannte, wo man ganz auf sich selbst gestellt ist.
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Gefürchtet: Das Kopfsteinpflaster von Arenberg in der Nahaufnahme

Fotocredit: AFP

3. Erst der Krieg, dann die Hölle: Die Fahrt durch den Wald von Arenberg

"Du kannst nicht verstehen was Arenberg ist, wenn du Paris - Roubaix nicht gefahren bist. Es ist nicht zu beschreiben. Dort bist du wirklich in der Hölle des Nordens."
Filippo Pozzato hat Recht. Worte werden dem nicht gerecht, was die Fahrer wie der Klassiker-Spezialist aus Italien dort erleben und erleiden. Dort kann man sich nicht durchschummeln.
"Wenn man aus Arenberg herauskommt und schlecht platziert oder schon etwas im roten Bereich ist, dann weiß man schon, dass man später im Finale des Rennens nicht gut sein wird", unterstreicht Duclos-Lassalle.
Man kann nach diesem Sektor schon sagen, ob man eine Chance auf den Sieg hat oder nicht. Wer hier schon am Anschlag ist, hält vielleicht noch 30 oder 40 Kilometer durch, dann geht ihm die Luft aus. Umgekehrt aber weiß man, dass man ein Wörtchen um die Spitzenplätze mitreden kann, wenn man in Arenberg keine Schwierigkeiten hat. In den Jahren, als ich gewann oder Zweiter wurde, bin ich diese Kilometer fast geflogen.
Dass Arenberg eine Zäsur darstellt, steht auch für Gouvenou außer Frage. "Es gibt ein Rennen davor und eines danach. Bevor man dort nicht durch ist, macht es keinen Sinn, an den Rest zu denken. Aber wenn man Arenberg heil überstanden hat, dann kann man sich Gedanken über den weiteren Verlauf machen. Vorher ist das sinnlos."
Wegen dieser zentralen Bedeutung ist schon die Anfahrt gen Arenberg ein Rennen im Rennen. "Schon 40 Kilometer vor Wallers wird richtig gefahren", lächelt Duclos-Lassalle. Je näher der Sektor kommt, umso mehr herrscht im Peloton der Ausnahmezustand. Wie vor einem Zielsprint kämpft jeder um die beste Position. "Natürlich spielt das im ganzen Rennen immer eine Rolle, aber vor Arenberg ganz besonders", stimmt Frédéric Guesdon zu, vor zwanzig Jahren letzter französischer Sieger.
Deshalb ist perfekte Streckenkenntnis ein ganz zentraler Punkt. Duclos-Lassalle verrät, wie er seinerzeit vorging: "Ich habe mir bei der Besichtigung extra Punkte gemerkt, an denen ich mich dann später orientierte. Zum Beispiel kommen vor dem ersten Pflasterabschnitt des Rennens in Troisvilles zwei Wassertürme, der zweite liegt drei Kilometer vor dem Beginn des Sektors: Dort muss man sich platzieren. Und vor Arenberg ist es ähnlich."
Doch das Problem ist, dass es nicht genügend Platz für alle gibt. "Davor herrscht Krieg", versichert Pozzato, 2009 Zweiter in Roubaix hinter Tom Boonen. "Schon einen Kilometer vor Arenberg wird es richtig heiß, weil die Anspannung im Feld sehr hoch ist. Alle sind nervös und manche Fahrer gehen grundlos Risiken ein." Denn ein guter Platz ist viel wert.
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Filippo Pozzato - Paris-Roubaix 2010

Fotocredit: Imago

"Ich glaube nicht, dass man unbedingt unter den ersten drei Fahrern bei der Einfahrt in den Wald sein muss", fährt der Italiener fort, "es reicht schon, wenn du an Position 15 bis 20 liegst. Aber das Problem besteht darin, dass auch die Fahrer versuchen vorne zu sein, die gar nicht die Beine dazu haben."
"Kaum jemand wird je in Roubaix gewonnen haben, der vorher erst an 60. Stelle aus dem Wald von Arenberg rausfuhr. Und das wissen die Top-Fahrer", stimmt Gouvenou zu. Immer wird es dabei eng - manchmal zu eng, wie sich Duclos-Lassalle mit Blick auf seinen Erstkontakt mit dem Wald von Arenberg erinnert:
Wir wollten damals unbedingt zu dritt nebeneinander ganz vorne sein - Francesco Moser, Gregor Braun und ich. Ich fuhr in der Mitte und dachte, ich werde gleich von den beiden in die Zange genommen. Letztlich war es dann Braun, der stürzte. Aber keiner wollte nachgeben.
Arenberg ist fast schon ein Synonym für Stürze geworden - es ist nicht die Frage, ob etwas passiert, sondern wo und wem. Gouvenou: "Es ist selten, dass nur wenige Fahrer zu Fall kommen - und das ist schon das beste Szenario." Wenn das Peloton mit über 60km/h heranstürmt, ist das Sturzrisiko enorm, zumal es die ersten 700 Meter leicht bergab geht. "Wenn wir in den Wald kommen", macht Pozzato deutlich, "ist jeder über dem Limit, um diesen Teil so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Es ist sehr, sehr gefährlich am Anfang. Danach wird es besser."
Doch wirklich sicher ist man in Arenberg zu keinem Zeitpunkt. Noch gefährlicher war es, bis in den 90er Jahren die Barrieren Zuschauer und Fahrer trennten. Davor war es weniger schwer, aber noch risikoreicher. Die Fahrer konnten zwar seitlich auf den Grünstreifen ausweichen und das Pflaster umgehen, aber gleichzeitig führte das zu völliger Anarchie und riskanten Begegnungen mit Zuschauern, was beides das Sturzrisiko erhöhte. "Wir sind damals von 2400 Metern vielleicht 400 übers Pflaster gefahren", amüsiert sich Gouvenou rückblickend.
Heute ist kein Ausweichen mehr möglich. Wo keine Barriere steht, ist der Grünstreifen gepflügt worden. Mensch und auch Rennmaschine müssen sich dem Härtetest stellen. "Die Herausforderung von Arenberg ist dabei, dass man nicht einfach mit Vollgas durchfahren kann", erläutert Gouvenou, "sondern dass die Fahrer wie Formel-1-Piloten auch ihr Material nicht überstrapazieren dürfen: Sie brauchen es noch und müssen entsprechend die Belastung clever dosieren."
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Arenberg und Sturz sind fast zu Synonymen geworden

Fotocredit: Eurosport

Erfahrung, Kraft und Talent sind die wichtigsten Helfer, um heil aus dem Wald heraus zu kommen. Aber es gehört auch ein wenig Glück dazu. Es gibt keine Zufallssieger bei Paris-Roubaix, aber man kann sehr wohl durch Pech um den Triumph gebracht werden. "Wenn die Fahrer hier einfahren", weiß Gouvenou, "ist es für sie ein Stück weit auch ein Glücksspiel. Man muss Glück haben, um unversehrt durchzukommen."
Und vom Wetter haben wir noch gar nicht gesprochen. Dabei kann dieser Faktor alles verändern. Der Wald von Arenberg hat völlig unterschiedliche Gesichter bei Regen oder Trockenheit. Sonne bedeutet Staub, Nässe garantiert Schlamm. Beides ist eine Quälerei, bei der jeder seine Vorlieben hat. Wenn man das überhaupt Vorliebe nennen kann.
"Das sind völlig unterschiedliche Rennen", analysiert Duclos-Lassalle.
Wenn es trocken ist, muss man ein starker Roller mit viel Power sein. Dabei darf man nie in den roten Bereich gehen und muss immer flüssig bleiben. Wenn es feucht ist, ist mehr Radbeherrschung und Feingefühl gefragt, diese Faktoren machen dann den Unterschied aus. Bei Trockenheit herrscht häufig Rücken- oder Seitenwind, bei Regen kommt der Wind oft aus Nord oder West, also eher als Gegenwind.
Der Wald von Arenberg wird bei Nässe noch häufiger zum Theater von Dramen oder zumindest epischen Bildern. "Ich habe immer das Bild von Wilfried Peeters im Kopf, der 2001 mit schlammverkrustetem Gesicht durch den Wald von Arenberg fuhr. Man konnte das Trikot nicht mehr erkennen, man konnten den Fahrer kaum erkennen. Er war ein Mann aus Schlamm. Dieses Bild steht exemplarisch für die Schwierigkeit von Paris - Roubaix allgemein und Arenberg im Besonderen", urteilt Sergent.
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Wilfried Peeters in Arenberg 2001

Fotocredit: AFP

4. Amputations-Angst und Anekdoten: Arenbergs Schrecken

Die Reihe der Stürze und Defekte im Wald von Arenberg ist endlos - doch zwei Unfälle vergisst keiner, der sie gesehen hat. Denn sie beendeten für ihre Opfer nicht nur das Rennen, sondern fast auch die Karriere.
Für Johann Museeuw wird der 12. April 1998 zum Wendepunkt: Bei apokalyptischen Witterungsbedingungen wird ihm das Pflaster von Arenberg zum Verhängnis, als er mit Macht auf seinen zweiten Roubaix-Sieg nach 1996 drängt. Der "Löwe von Flandern" ist in der Form seines Lebens, kommt als Triumphator der Flandern-Rundfahrt eine Woche zuvor und Seriensieger jenes Frühjahrs zum Rennen.
Doch der Sturz kostet ihn viel mehr als nur einen möglichen Erfolg im Velodrom von Roubaix - er verliert fast sein Bein auf den Pavés. "Wir kamen mit 50 Sachen an und es lag eine Menge Pferdemist auf der Strecke. Ich bin gerutscht - aber vor lauter Adrenalin habe ich keinen Schmerz gespürt und wollte weiterfahren. Ich bin aufgestanden, habe auf mein Knie geschaut: Es war komplett offen, man sah den Knochen. Ich sagte mir: verdammt, was ist hier los?", schilderte der Belgier 2015 in "Le Monde" die Szene.
Die Kniescheibe war völlig zertrümmert, aber das war das kleinere Problem: "Ich war in die Pferdescheiße gestürzt und die offene Wunde hat sich infiziert." Eine Woche lang suchen die Ärzte nach dem richtigen Antibiotikum, bis endlich das Schreckgespenst der Amputation gebannt ist. Museeuw kommt zurück und gewinnt in Roubaix noch zwei Mal, 2000 und 2002 - eines der großen Comebacks der Klassiker-Geschichte.
Dieser Sturz und seine Bilder prägen bis heute die Erinnerungen von Fans und Fahrern: "Ich denke oft an den Unfall von Museeuw" gibt Pozzato im Gespräch mit Eurosport unumwunden zu.
Paris-Roubaix: Wald von Arenberg - Chronologie
Eingebrannt haben sich auch die Bilder des Sturzes von Philippe Gaumont, der Arenberg im Jahr 2001 zum Opfer fällt. Der Franzose kommt bei ähnlich fürchterlichem Wetter wie Museeuw zu Fall, zwingt den hinter ihm fahrenden Belgier Ludo Dierckxens zu einem akrobatischen Ausweichmanöver und bleibt dann minutenlang geschockt am Boden.
Ein 40 Zentimeter langer Nagel lässt seinen Oberschenkelknochen in den Wochen danach wieder heilen. Doch auch wenn Gaumont noch im selben Jahr wieder Rennen fahren kann, sollte er sein früheres Leistungsniveau nie wieder erreichen.
Nicht immer aber zeigt sich der Wald von Arenberg von seiner grausamen Seite. Bei der Premiere am 7. April 1968 begrüßt er als ersten Gast keinen geringeren als den amtierenden Tour-Sieger Roger Pingeon, der als Solist die Jungfernfahrt durch den Wald absolviert. Und zum Sieger kürt sich in dieser Ausgabe erstmals ein junger Belgier, der zum Dauergast auf dem Podium in Roubaix werden sollte: Eddy Merckx.
Es muss kein Horror-Sturz mit langfristigen Folgen sein - Arenberg hat auch den simplen Ausrutscher oder den banalen Defekt im Angebot, aus dem Helden wie Helfer bedacht werden. Es wird ja zum Glück nicht jedes Mal eine Karriere aufs Spiel gesetzt, auch wenn der Verlust jeglicher Siegchance als Los in dieser Lotterie zumindest für den Tag schon bitter genug ist. Frag‘ nach bei Tom Boonen, der 2011 minutenlang verzweifelt mit seinem defekten Rad im Wald von Arenberg steht. Als endlich Ersatz kommt, ist das Rennen gelaufen.
Kein Einzelfall - denn obwohl es von Arenberg aus bis ins Ziel noch rund 100 Kilometer sind, gelingt es kaum je, dort verlorene Zeit wieder aufzuholen. Die berühmteste Ausnahme dabei ist Duclos-Lassalle: Auf dem Weg zu seinem zweiten Sieg 1993 ist der Titelverteidiger schon früh nach Sturz und Defekt im Hintertreffen und sein GAN-Team dezimiert. Und dann kommt Arenberg.
"Da bin ich auch gestürzt und am Ende mit zwei Minuten Rückstand auf die Favoriten aus dem Wald gekommen, zu denen insbesondere die extrem starke Mapei-Truppe gehörte", erinnert sich "Gibus". Eine eigentlich ausweglose Lage. Doch zusammen mit seinen verbleibenden Mannschaftskameraden macht sich der 38-Jährige auf eine Verfolgungsjagd, die belohnt wird - 30 Kilometer vor Roubaix holen sie die Spitze ein. Im Velodrom gelingt dem Franzosen dann ein Millimeter-Sieg gegen Mapei-Ass Franco Ballerini und ein Double für die Ewigkeit.
Neben den großen Geschichten, die zur Legende von Paris - Roubaix beigetragen haben, kann jeder Fahrer sein eigenes Erlebnis mit dem Wald von Arenberg beisteuern. Oft eine schmerzhafte Erinnerung, die später aber häufig mit einem Lächeln erzählt wird - so wie von Gouvenou:
Lange war ich der Meinung, der Abschnitt sei gar nicht so schwer - denn oft sind wir ja auf dem Grünstreifen neben dem Pflaster gefahren. Doch dann kam der Tag, an dem ich nach einem Defekt erst hinter dem Feld nach Arenberg kam. Ich habe Vollgas gegeben - bis direkt vor mir ein Teamwagen anhielt. Es hat mich bei 45 km/h gefällt: Die nächsten drei Wochen dachte ich, ich hätte noch immer meine Rennbrille auf dem Nasenbein.
Und so wird aus großen Geschichten und kleinen Erlebnissen langsam ein kollektives Gedächtnis und dadurch ein Streckenabschnitt zum Symbol.
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Der Wald von Arenberg - Herzstück von Paris - Roubaix, der "Hölle des Nordens"

Fotocredit: Eurosport

5. Vom Geheimtipp zum Ziel der Fan-Massen

Der Radsport ist in vielerlei Hinsicht ein einzigartiger Sport. Ganz besonders deutlich wird das aber im Verhältnis zwischen den Fahrern und Fans. Es gibt keine Halle, Stadion oder abgesperrten Zugangsbereich: Jeder kann jederzeit an die Strecken kommen - und muss nichts bezahlen. So nah wie beim Radsport kommt ein Zuschauer dem Geschehen fast nirgendwo anders und ein vorbeifliegendes Peloton sieht und hört man nicht nur. Man spürt es, schmeckt es fast. Wirklich beinahe hautnah dabei zu sein, an den extremsten Prüfungen und anstrengendsten Abschnitten, sorgt für eine spezielle Verbindung zwischen denen auf dem Rad und jenen auf der Straße daneben. Das erlebt man an den großen Anstiegen in den Bergen, aber eben auch an Passagen wie der von Arenberg.
Je mehr das Waldstück zu DEM Fixpunkt bei Paris-Roubaix wird, desto mehr wird es auch zum Anziehungspunkt für die Fans. Es dauert allerdings anfangs bis in die 80er Jahre, bevor die Zuschauer wirklich in Scharen nach Wallers strömen. "Wenn man die Fotos von 1973 oder 1974 rauskramt, mit De Vlaeminck oder Merckx in Arenberg, sieht man relativ wenige Leute an der Strecke", klärt Radsport-Historiker Sergent auf.
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Paris - Roubaix: Die Fans strömen in Massen nach Arenberg

Fotocredit: AFP

Die Popularität des Sektors wird so groß, dass sie den Bergankünften bei der Tour de France nicht nachsteht - und auf ihre Weise sorgen die Zuschauer ungewollt damit für eine zentrale Veränderung in Arenberg: Denn angesichts der drängenden und drängelnden Menschenmassen wird es für die Fahrer zunehmend riskant, auf der Grasnarbe neben den Pflastersteinen zu fahren. Direkter Kontakt und zahllose Stürze sind die Folge. Das Absperrband der Organisatoren kann die Fans nicht stoppen - es müssen Absperrgitter her: Diese bedeuten das bereits erwähnte Ende aller Ausweichmanöver für die Fahrer, jetzt bleibt nur die harte Tour über die Pflastersteine.
Dem Zustrom der Fans tun die Gitter keinen Abbruch, im Gegenteil. Mittlerweile sind es "mindestens 10.000", schätzt Doulcier, "darunter viele Familien, viele Leute mit Picknickdecken, kaum pöbelnde Fans. Die Stimmung ist sehr angenehm, fast wie bei einem Volksfest."
Die Kopfsteinpflaster-Klauer
Eigentlich ist ein Pflasterstein von Paris-Roubaix als Souvenir dem Sieger vorbehalten, dem die Trophäe im Velodrom überreicht wird. Doch immer wieder können Fans an der Strecke der Versuchung nicht widerstehen. In Arenberg schlagen die Diebe meist an den beiden Endpunkten der Pflasterung zu, denn dort können sie rasch mit dem Auto verschwinden.
Entpflastert wird das ganze Jahr über. Besonders aber am Abend des Renntages und dem Morgen danach. "Jedes Jahr werden Pavés gestohlen, das ist leider schon Standard", klagt Doulcier sein Leid. Sein Verein ist dann jedes Frühjahr aufs Neue zusammen mit der Berufsschule für Gartenbau von Raismes damit beschäftigt, die Löcher wieder zu füllen - bis der nächste Dieb kommt.
Für viele Liebhaber von Paris - Roubaix ist die Fahrt nach Arenberg jährliches Pflichtprogramm. So auch für Philippe, ein Fan, der "seit über 20 Jahren" keine Ausgabe der "Königin der Klassiker" verpasst. "Meine Schwiegereltern wohnen in Wallers und ich bin jedes Jahr mit meinem Sohn hier an der Strecke. Die Atmosphäre ist toll, die Fans kommen mit Bussen, es gibt Bier, Fritten und Gesänge. Viele Belgier parken ihre Autos direkt an der An- und Abfahrt zum Wald von Arenberg und machen sich nach der Durchfahrt des Feldes dann sofort auf den Weg zum nächster Sektor."
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Arenberg - die Fahrer inmitten der Fans

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Im Zeitalter von Smartphone und Social Media werden aus Fans nun auch Filmemacher. Die klassischen Kameraeinstellungen des Fernsehens aus Helikopter und Begleitmotorrad werden ergänzt durch die zahllosen Aufnahmen der Fans, durch die kaum noch eine Rennsituation undokumentiert bleibt.
Das beste Beispiel liefert 2016 der Sturz von Elia Viviani, der fast von einem Begleitmotorrad überrollt wird. Ein Zuschauer filmt die Szene mit dem Italiener von Team Sky und seine Bilder machen erst auf Twitter die Runde - und danach in den klassischen Medien.

6. Roubaix ohne Arenberg: Ketzerei oder sinnvolle Neuerung?

Jeder große Klassiker hat seine berühmten Passagen. Wer an Mailand - Sanremo denkt, kommt am Poggio nicht vorbei, der Flèche Wallonne ist ohne Mauer von Huy unvorstellbar, bei Lüttich-Bastogne-Lüttich kommt sofort die Côte de la Redoute in den Sinn. Und der Wald von Arenberg ist die wohl berühmteste Klassiker-Passage aller Eintagesrennen.
Ist Paris - Roubaix ohne Arenberg vorstellbar oder grenzt das an ein Sakrileg? Wir dürfen schließlich nicht vergessen, dass es insgesamt 70 Jahre auch ohne dieses Teilstück ging. In jene Ära fiel das Triple von Francesco Moser, der Sieg von Bernard Hinault oder drei der vier Triumphe von De Vlaeminck oder auch der Sieg von Boonen 2005, als Arenberg ebenfalls nicht zum Parcours gehörte.
Epische Austragungen und große Sieger sind also auch ohne diesen Sektor möglich und ASO-Streckenchef Gouvenou gesteht, dass diese Überlegung durchaus ein Thema beim Veranstalter ist.
Ganz ehrlich - als Organisator würde ich gerne manchmal einen Bogen darum machen. Aber wenn man sieht, welche Bedeutung das für das Fernsehen und die Menschen vor Ort hat… Diese Entscheidung ist nicht leicht zu fällen.
Paris-Roubaix: Die Eckdaten zum Wald von Arenberg
"Ab und an zu wechseln würde es ermöglichen, andere Sektoren ins Rampenlicht zu rücken. Jean-Francois Pescheux [der Vorgänger von Gouvenou bei der ASO] wollte jedes dritte Jahr wechseln, hat es aber dann nicht getan", erinnert Doulcier. Die Fans eines solchen Ansatzes verweisen auf die Beispiele von Alpe d’Huez oder Mont Ventoux, die absichtlich nicht jedes Jahr im Programm der Tour de France stehen.
Doch dieser Vergleich hinkt, denn die "Grande Boucle" hat schier endlose Auswahlmöglichkeiten und hängt eben nicht von ein paar wenigen symbolträchtigen Streckenteilen ab wie ein Klassiker. Für Duclos-Lassalle ist ein freiwilliger Verzicht auf Arenberg undenkbar: "Das wäre kein echtes Paris - Roubaix ohne diesen mythischen Sektor, den die Favoriten gerne fahren. Ich verstehe die Veranstalter, aber es ist nicht einfach, einen anderen so langen und schwierigen Abschnitt zu finden."
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Paris - Roubaix: Der Wald von Arenberg wird zur "Grünen Hölle"

Fotocredit: Imago

Die wahre Gefahr für Arenberg liegt anderswo, besser gesagt in Arenberg selbst. Es ist die Natur, die das Pflaster und vor allem die Zwischenräume langsam erobert. Jahr für Jahr wird der Weg grüner, auch wenn die ASO 2012 zwei Wochen vor dem Rennen mit einer Kehrmaschine das Sträßchen zu säubern versuchte.
Das ist jedoch nur Kosmetik, mittelfristig führt an einer umfangreichen Sanierung nichts vorbei. Die Organisatoren können von Glück sagen, dass Paris - Roubaix die letzten zehn Jahre stets bei trockenen Bedingungen ausgetragen wurde, denn bei Nässe würde ein von Moos und Gras überzogenes bzw. eingefasstes Pflaster zur Falle. Wie eben in den Jahren 1998 und 2001 bei den Stürzen von Museeuw und Gaumont. Letzterer wies schon damals auf einen Aspekt hin, der oft vergessen wird. "Die Rettungskräfte können in Arenberg nicht schnell eingreifen. Wenn es schwere Verletzungen gibt, kann das dramatisch enden. Es ist zu gefährlich geworden."
Arenberg steht also fast fünfzig Jahre nach seiner Einführung vor neuen Herausforderungen. Was geblieben ist und bleiben sollte, ist seine Symbolkraft für ein Rennen, wie es kein zweites gibt. Auf den Punkt bringt das "Pippo" Pozzato, der an das eingangs angeführte berühmte Zitat von de Rooij anknüpft:
Arenberg ist wahrscheinlich der beschissenste Ort des Radsports - aber im positiven Sinn.
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Paris - Roubaix: Arenberg ist Sinnbild für die "Königin der Klassiker"

Fotocredit: Eurosport

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