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Tour de France - Ineos-Debakel: "Im Fußball würde Brailsford gefeuert"
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Publiziert 17/09/2020 um 12:00 GMT+2 Uhr
Das Debakel von Team Ineos bei der Tour de France müsste das Aus für Manager Dave Brailsford bedeuten, wenn im Radsport mit den Maßstäben wie im Fußball gehandelt würde, sagt Eurosport-Experte Bradley Wiggins. Die Bilanz des Rennstalls, der im Vorjahr ein Frankreich noch einen Doppelsieg mit Egan Bernal und Geraint Thomas gefeiert hatte und die Tour seit Jahren dominiert, ist 2020 desaströs.
Team Ineos: Manager Dave Brailsford mit Geraint Thomas und Egan Bernal
Fotocredit: Getty Images
Aus dem Rennen um den Gesamtsieg hatte sich Ineos nach dem Einbruch von Bernal am Grand Colombier verabschieden müssen, inzwischen gab der Kolumbianer das Rennen aus. Einen Ersatz-Leader, wie ihn das Team oft an Bord hatte und der für die Doppelsiege 2019 oder 2012 (Wiggins vor Chris Froome) sorgte, sucht man 2020 vergeblich: Richard Carapaz, amtierender Giro-Sieger, wurde trotz seiner zuletzt starken Auftritte im Gesamtklassement dieser Rolle nie gerecht, er ist aktuell 13. mit fast 20 Minuten Rückstand.
Etappensiege waren bisher Fehlanzeige, in den Sonderwertungen spielt Ineos keine Rolle und von der Dominaz der letzten Jahre ist derzeit nichts geblieben. "Es ist schwer, jedes Jahr an der Spitze zu bleiben und dieses Jahr haben sie es einfach nicht richtig hinbekommen", so Wiggins bei Eurosport und stellte fest:
Bernal wirkte bei Tour überfordert
Brailsford, 56, ist in seiner Rolle in etwa so unantastbar wie einst Sir Alex Ferguson bei Manchester United. Tadel wie diesen ist er nicht gewohnt. Der Engländer hat das dominante Radsport-Team der letzten Dekade aufgebaut, seine Sky/Ineos-Mannschaft gewann innerhalb der vergangenen acht Jahre sieben Mal die Tour de France, für den ersten Triumph sorgte Wiggins 2012. Bei der Tour 2020 wird die Siegesserie reißen.
Brailsford bedient gern das Mantra der "marginal gains", dem Drehen an kleinsten Stellschrauben, einer detailversessenen Suche nach Vorteilen. In diesem Jahr scheiterte er an Grundlegendem: der Teamzusammenstellung. Der erlösende Doppelsieg auf der 18. Etappe durch Michal Kwiatkowski (Polen) und Richard Carapaz (Ecuador) täuschte darüber nicht hinweg.
Dem jungen Titelverteidiger Egan Bernal mangelte es an Form und Autorität für den erneuten Triumph in Paris. Die Ex-Champions Chris Froome und Geraint Thomas wurden schmerzlicher vermisst als befürchtet, im Falle Froomes nicht zwingend sportlich, doch wohl als Wortführer.
Dem Ineos-Team fehlte die Struktur, Bernal wirkte mit der Führung der Mannschaft mitunter überfordert. Vor allem Thomas, der anders als Froome in guter Verfassung ist und das Etappenrennen Tirreno-Adriatico als starker Zweiter beendete, hätte dem Team gutgetan.
Ineos: Tour-Team falsch aufgestellt?
Wiggins ging sogar noch weiter. Selbst ein außer Form fahrender Thomas wäre in der Lage gewesen, eine vergleichbare Rolle wie derzeit Richie Porte zu spielen. Der Australier (Trek-Segafredo) war nach 17 Etappen Vierter der Gesamtwertung. "Geraint in Form hätte das Zeug, diese Tour zu gewinnen", sagte Wiggins.
Brailsford vernahm die Kritik seines einstigen Schützlings - und verteidigte seine Wahl. Die Leute könnten ihre Meinung vertreten, "aber sie kannten nicht die Fakten, die ich kannte", sagte Brailsford, der, nachdem er Bernal aus der Tour genommen hatte, allerdings keinen Hehl aus seiner Enttäuschung machte: "Ab und zu brauchst du einen Tritt in die Eier, um wieder in die Spur zu finden."
Die Mission Tour-Sieg 2021 beginne jetzt, sagte Brailsford. Bernal wird eine wichtige Rolle dabei spielen, vermutlich auch Thomas. Froome dagegen nicht. Der viermalige Champion verlässt Ineos Grenadiers zur kommenden Saison.
Im Preisgeldranking schlägt sich das Debakel von Ineos mit einem der letzten Plätze nieder.
(mit SID)
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