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Jens Voigt exklusiv in seiner Kolumne zur Vorstellung der Tour de France 2024: "Habe etwas Albträume, wenn ..."

Jens Voigt

Update 11/01/2024 um 15:04 GMT+1 Uhr

Jens Voigt ist schon jetzt heiß auf die Tour de France 2024, die zum Showdown der Ausnahmefahrer Jonas Vingegaard, Tadej Pogacar und Remco Evenepoel werden soll. Die Bühne ist bereitet für eine spektakuläre Tour, schreibt der Ex-Profi in einer Kolumne für Eurosport.de. Der ehemalige Etappengewinner der Frankreich-Rundfahrt hat aufgrund einer Passagen aber auch große Sicherheitsbedenken.

Tour-Strecke 2024: Alle 21 Etappen von Florenz nach Nizza

Die Tour de France setzt zum Höhenflug an, das Peloton verbringt viel Zeit oberhalb der 2000-Meter-Marke. Mit der einen oder anderen Abfahrt aber hat Eurosport-Experte Jens Voigt ein Problem.
Er habe tatsächlich etwas Albträume bei der Vorstellung, dass die Profis mit 90 km/h den Berg "runtersegeln" und eventuell noch ein kräftiger böiger Seewind reinbläst, schreibt der 52-Jährige, der während seiner Laufbahn zwei Tour-Etappen gewann.
In Sachen Spannungsplanung aber stellt er den Tour-Organisatoren der ASO ein sehr gutes Zeugnis aus. In den letzten drei Tagen könne das Klassement noch einmal kräftig durchgeschüttelt werden, glaubt der Ex-Profi.
Mit insgesamt 52.230 Höhenmetern habe die ASO zudem keinen Zweifel daran gelassen, warum man von der Tour der Leiden spricht, schreibt Voigt in seiner Kolumne:
Hallo liebe Radsport-Fans,
die Streckenführung der Tour de France 2024 ist raus, und was mir direkt ins Auge sticht: Es gibt keinen Rhythmus und keine klar definierten Perioden mit ähnlichen Etappen-Profilen. Das bedeutet, dass die Mannschaft wichtiger denn je sein wird. Damit meine ich die Zusammensetzungen der Teams und die Frage, wie ausbalanciert sie sind.
Es geht darum, mit denselben acht Fahrern gleichermaßen gut Sprint- und Bergetappen zu bewältigen, den Mistral-Wind auf dem Teilstück nach Nîmes ebenso zu meistern wie die Schotterpassagen auf der 9. Etappe rund um Troyes.
Die Mannschaften müssen sich den ewigen und schmerzhaften Rhythmuswechseln im Zentralmassiv stellen und den Col de la Bonette, den höchstgelegenen Punkt der Tour-Geschichte, erklimmen. Da geht es auf der höchsten Asphalt-Straße Frankreichs hinauf bis auf 2802 Meter über dem Meer. Das stellt enorme Anforderungen an jeden potenziellen Klassementfahrer, aber auch an die sieben Mitstreiter. Keine Équipe kann sich ein oder zwei Ausfälle durch Stürze in der ersten Woche erlauben.
Das absolute Highlight für mich ist das Aufeinandertreffen der drei Superstars - hoffentlich in Bestform und mit der klaren Absicht, das Rennen zu gewinnen.
Was ich gut finde: Endlich gibt es wieder zwei längere Zeitfahren. Klassementfahrer wie Jonas Vingegaard, Tadej Pogacar oder Remco Evenepoel müssen also auch diese Qualität abrufen, wenngleich das Trio in den vergangenen Jahren keine Probleme im Kampf gegen die Uhr hatte. Die Zeitfahren sprechen für die drei Stars und gegen die französischen, italienischen oder südamerikanischen Hoffnungsträger für die Gesamtwertung - denn die Profis aus diesen Ländern sind eher reine Bergfahrer und werden im Zeitfahren immer an Boden verlieren.
Das absolute Highlight für mich ist das Aufeinandertreffen der drei Superstars beziehungsweise Supertalente - hoffentlich in Bestform und mit der klaren Absicht, das Rennen zu gewinnen. Stand jetzt werden sowohl Vingegaard und Pogacar als auch Evenepoel die Tour als Saisonhöhepunkt wählen und wir Zuschauer bekommen endlich die große Frage beantwortet, wer der Beste ist. Werfen wir noch Primoz Roglic und die Yates-Brüder in den Ring, dann ist die Bühne bereitet für eine spektakuläre Tour de France.
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Showdown bei der Tour de France 2023: Jonas Vingegaard (vorne) und Tadej Pogacar liefern sich ein heißes Duell um das Gelbe Trikot

Fotocredit: Getty Images

Bei aller Vorfreude gibt es Dinge, die mir missfallen. Ich ziele auf die 4. Etappe ab, wo es nach Überquerung des Col du Galibier knapp 20 Kilometer lang bergab ins Ziel geht. Warum das ein Problem werden kann? Die Fahrer werden volles Risiko nehmen, sie müssen es. Wahrscheinlich ist das Peloton noch frisch in den Beinen und motiviert nach der ersten ernsten Bergprüfung. Es wird also viel Druck auf den Schultern der Klassement-Aspiranten lasten und möglicherweise muss der eine oder andere mehr Risiko wagen, als gewollt.
Bei Paris-Nizza werden dort regelmäßig Geschwindigkeiten von über 80 km/h erreicht - und die Zeitfahrräder nehmen noch viel mehr Tempo auf.
Wir alle haben noch die Ereignisse während der Tour de Suisse dieses Jahres vor Augen, als Gino Mäder tödlich verunglückte. Solche Bilder möchte ich nie wieder sehen. Ein ähnliches Unbehagen beschleicht mich, wenn ich an das Profil des Abschlusszeitfahrens mit der sehr, sehr schnellen Abfahrt vom Col de Eze nach Nizza denke. Bei Paris-Nizza werden dort regelmäßig Geschwindigkeiten von über 80 km/h erreicht - und die Zeitfahrräder nehmen noch viel mehr Tempo auf.
Darüber hinaus sind diese Bikes durch die Aeroposition der Fahrer, die Scheibenräder und Aerolenker schwieriger im Handling. Ich habe tatsächlich etwas Albträume, wenn ich mir vorstelle, dass die Profis dort mit 90 km/h den Berg runtersegeln und eventuell noch ein kräftiger böiger Seewind reinbläst. Drücken wir alle die Daumen, dass alles glatt läuft.
Generell weist die Tour im kommenden Jahr einige Konstanten auf. Das Preisgeld für den Gesamtsieg liegt erneut bei 500.000 Euro, insgesamt werden 2,3 Millionen Euro ausgeschüttet. Es bleibt bei 22 Teams mit jeweils acht Fahrern, also 176 Startern.
Mit acht Flachetappen, sieben Bergetappen und vier Bergankünfte bewegen sich die Veranstalter im üblichen Rahmen, ebenso wie mit den beiden Ruhetagen. Neu ist die Nutzung von Schotterstraßen anstelle der Passagen, die bei Paris-Roubaix gefahren werden. Damit ähnelt die Tour in dieser Phase eher dem Bild, das man vom italienischen Eintagesrennen Strade Bianche kennt. Die Frauen haben diese Schotter-Abschnitte bereits in diesem Jahr bei der Tour de France Femmes kennengelernt.
Diese Streckenführung birgt Gefahren für Stürze und Defekte. Es kann bei Sonne, Wind und Trockenheit oder Regen und einer daraus resultierenden Schlammschlacht schnell nervenaufreibend werden. Ganz ehrlich: Ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll. Ist das nun eine gute oder eine schreckliche Idee?
Der ASO ist es erneut gelungen, eine schwere und spannende Stecke zu basteln und mit 52.230 Höhenmetern wird kein Zweifel daran gelassen, warum man von der Tour der Leiden spricht.
Festzuhalten bleibt, dass die ASO wieder einmal auf fast jeder Etappe einen Drama-Punkt oder Potenzial für Überraschungen eingebaut hat. Sei es ein kleiner Berg, der schwieriger ist als geglaubt, seien es Schotterstraßen oder fest einkalkulierter Seitenwind. Schnelle Abfahrten, das hammerharte Finale mit drei sehr schweren Etappen - es wird zur Sache gehen.
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Emotionale Worte bei Ehrung: Vingegaard erhält die Krönung

Wie knifflig es am Ende wird, zeigen allein die Zahlen: Auf der 19. Etappe stehen drei Berge mit mehr 2000 Metern Höhe an, das alles auf nur 145 Kilometern. Am Tag danach ist das Peloton auf 133 km mit vier Bergwertungen und einem fast 16 km langen Schlussanstieg konfrontiert. Auf der Schlussetappe wartet das schwere Zeitfahren von Monaco über La Turbie und den Col de Eze nach Nizza. In diesen drei Tagen kann das Klassement noch einmal kräftig durchgeschüttelt werden, es wird bis zum Schluss unglaublich spannend bleiben.
Ihr merkt: Es wird kein Finale auf den berühmten Champs-Élysées von Paris geben. Die Tour weicht aus, weil die Hauptstadt durch die Olympischen Spiele 2024 ohnehin schon proppevoll sein wird. Aber auch in Nizza stimmt der Rahmen, die Fahrer werden ganz in der Nähe der Promenade des Anglais ins Ziel rauschen.
Mein Fazit: Der ASO ist es erneut gelungen, eine schwere und spannende Stecke zu basteln und mit 52.230 Höhenmetern wird kein Zweifel daran gelassen, warum man von der Tour der Leiden spricht. Ich kann es kaum erwarten, die Fahrer beim Start am 29. Juni in Florenz zu erleben.
Viele Grüße,
Euer Jens

Zur Person Jens Voigt:

Jens Voigt (52) ist ein ehemaliger deutscher Radrennprofi und aktuell als Co-Kommentator für Eurosport tätig. Während seiner Karriere gewann Voigt unter anderem zwei Etappen der Tour de France (2001, 2006) und eine beim Giro d’Italia (2008). Außerdem triumphierte er zweimal bei der Deutschland Tour (2006, 2007).
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