Mikaela Shiffrin nach 100. Weltcupsieg vor ungewisser Zukunft: Wie lange tut sich der Superstar das noch an?

Am Sonntag feierte Mikaela Shiffrin beim Slalom in Sestriere ihren 100. Weltcupsieg. Dies stellt den ultimativen Höhepunkt ihrer einzigartigen Karriere dar - in einer Saison, die Shiffrin in vielerlei Hinsicht an ihre Grenzen brachte. Physische und psychische Belastungen aus 13 Jahren an der Spitze haben ihren Preis. Der Leistungssport spielt bei Shiffrin nicht mehr unbedingt die erste Geige.

Alpin Skiing - Slalom - Sestriere - Interview - Shiffrin (100 wins)

Quelle: Eurosport

Als Mikaela Shiffrin zu ihrem 100. Weltcupsieg über die Ziellinie fuhr, sah es aus wie bei vielen anderen Siegen, die der alpine Superstar der Damen seit 2012 einsammelte.
Mit gesenktem Kopf streckte Shiffrin ihre Stöcke in die Luft und unter ihrer Skibrille war wieder dieser ansteckende Blick der Freude zu sehen - selbst nach all diesen gewonnenen Rennen in den letzten 13 Jahren.
Aber dieser Sieg ist anders. Er kam fast drei Monate, nachdem sie sich bei einem heftigen Sturz in Vermont eine Stichwunde im Bauch zugezogen hatte und - wie sie im exklusiven Interview mit Eurosport verriet - erst mal wieder lernen musste, vernünftig zu laufen, ohne dabei auf die Seite zu kippen, weil sie ihre Bauchmuskeln nicht kontrollieren konnte.
Mit den körperlichen Problemen gingen mentale einher, die Shiffrin stark zweifeln ließen, ob ein Comeback in dieser WM-Saison überhaupt Sinn machen würde. So seltsam das auch klingen mag: Die erfolgreichste Skirennläuferin der Geschichte hatte plötzlich Angst vor schnellen Riesenslalomschwüngen.
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Shiffrin's road to 100 World Cup wins

Quelle: Eurosport

Shiffrin: "Das hat mir das Herz gebrochen"

"Die Erkenntnis, wie viel Angst ich vor einer Veranstaltung habe, die ich vor zwei Monaten noch so sehr geliebt habe, hat mir das Herz gebrochen", schrieb Shiffrin auf Instagram nach ihrem Verzicht auf den WM-Riesentorlauf in Saalbach.
Gerade mal zehn Tage später und lediglich 24 Stunden nach der Enttäuschung im Riesenslalom von Sestriere, als sie als 33. mit zweieinhalb Sekunden Rückstand den zweiten Durchgang verpasste, erreichte Shiffrin den historischen Meilenstein.
"Für mich ist das alles noch nicht normal nach allem, was ich in dieser Saison durchgemacht habe", bekannte die 29-Jährige in zahlreichen Interviews, in denen sie - übermannt von den Emotionen - viele Tränen vergoss.
Seit ihrem Sieg im Slalom von Gurgl am 23. November 2024 schleppte Shiffrin die magische Zahl 100 drei Monate lang mit sich herum. Rekorde seien ihr nie wichtig gewesen, betonte Shiffrin immer wieder, doch die Erwartungshaltung, wann es denn jetzt endlich so weit sein würde, haben ihr stark zugesetzt.
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Da bleibt kein Auge trocken: Shiffrin von Emotionen überwältigt

Quelle: Eurosport

Shiffrin-Vertrauter Albrecht: "Sie ist froh, dass es vorbei ist"

"Sie ist froh, dass es vorbei ist, dass sie niemand mehr darauf anspricht", sagte der ehemalige österreichische Rennläufer Kilian Albrecht, seit 15 Jahren ein enger Vertrauter von Shiffrin. "Andere fahren keine 100-Weltcuprennen, sie hat 100 Siege. Es ist unfassbar, was sie geleistet hat", ergänzte Albrecht.
Doch 13 Jahre individueller Leistungssport auf allerhöchstem Niveau haben ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die schmerzhaften Erfahrungen der letzten 15 Monate infolge ihrer Verletzungen oder die ihres Lebensgefährten Aleksander Aamodt Kilde haben etwas verändert in Shiffrin.
Die Unbekümmertheit früherer Jahre ist einer gewissen Unsicherheit gewichen. Die Angst vor schnellen Schwüngen und die Angst, sich erneut wehzutun - sie fährt mit. Im Moment ihres Triumphs in Sestriere war Shiffrin in Gedanken bei Aamodt Kilde.
"Aleks wurde am Samstag operiert, hoffentlich zum letzten Mal. Unsere Gesundheit und unser Glück sind das Wichtigste. Das vergisst man nicht im Rennen. Dass er nach der OP wieder seinen Arm bewegen kann, ist etwas ganz Besonderes. Ich freue mich, wenn ich ihn wieder richtig umarmen kann. Das ist jetzt über ein Jahr her, dass wir das tun konnten", erzählte Shiffrin.

Selbst Marco Odermatt offenbart mentale Schwierigkeiten

Hinzu kommt der permanente Erwartungsdruck, seit Shiffrin Ende 2012 im Slalom von Are als 17-Jährige ihr erstes Weltcuprennen gewann.
Diese Gemengelage hat bei Shiffrin sukzessive eine psychische Müdigkeit hervorgerufen. "Am Ende eines Trainings weine ich und weiß nicht, warum. Das sind einfach mentale Schläge", verriet sie im Eurosport-Interview während der WM.
Shiffrin ist damit nicht allein. Der Dominator bei den Herren, Marco Odermatt, gab in einem Interview mit der "NZZ" zu, etwas von seiner früheren Leichtigkeit eingebüßt zu haben. "Vor fünf Jahren war alles lustiger. Es wird alles mehr und mehr. Man ist vielleicht nicht mehr gleich frisch", sagte der Schweizer.
Der achtmalige Gesamtweltcupsieger Marcel Hirscher nannte zuletzt mentale und körperliche Erschöpfung als Grund für seinen Rücktritt 2019.

Shiffrin will Nachwuchs für den Skisport begeistern

Auch bei Shiffrin sind durchaus Zweifel vorhanden, wie lange das angesichts der Erlebnisse in der jüngeren Vergangenheit noch weitergehen soll mit dem Profisport. Zumal für sie mittlerweile wichtiger scheint, die nächste Generation mit ihrer Leidenschaft für den Sport anzustecken.
Anlässlich ihres 100. Weltcupsieges hat sie sich mit der US-Stiftung "Share Winter" zusammengeschlossen, um 100.000 Dollar für Kinder und Jugendliche zu sammeln, denen der Zugang zum Skisport verwehrt war.
"Ich sehe diese 100 Siege als Gelegenheit, mehr Menschen für den Sport zu begeistern und mehr Leidenschaft zu wecken", sagte Shiffrin und betonte, dass nicht jeder das Glück hatte, das ihr zuteil wurde. "Share Winter dabei zu helfen, mehr Kinder auf den Berg zu bringen, ist wirklich wichtig. Das ist viel größer, als wenn ich 100 Rennen gewinne. Das macht diesen 100. Sieg zu einem der bedeutendsten für mich."
Aufgrund ihrer außergewöhnlichen technischen Fähigkeiten hat Shiffrin noch viele Siege im Kreuz. Doch die Königin der Pisten musste in der jüngeren Vergangenheit erfahren, dass der Weg dorthin schmerzhaft sein kann - körperlich und mental zugleich.
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Highlights: Shiffrin feiert historischen 100. Weltcup-Sieg

Quelle: Eurosport


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