Bischofshofen: Granerud gegen das Tande-Trauma - die wahren Duelle bei der Vierschanzentournee
Halvor Egner Granerud gewinnt auch die Qualifikation von Bischofshofen und muss am Dreikönigstag eigentlich nur noch einen normalen Wettkampf abliefern. Doch leise Zweifel am Gesamtsieg sind berechtigt - nicht erst seit Daniel Andre Tande. Dawid Kubacki lässt jedenfalls nicht locker. Beim DSV droht dagegen ein Tiefpunkt, den es zwölf Jahre nicht mehr so gab. Die wahren Duelle von Bischofshofen.
Schmitt analysiert Geiger: "Es kann nicht alles weg sein"
Quelle: Eurosport
Man fragt sich ja schon: Ist Halvor Egner Granerud so cool, dass er allen anderen immer wieder davonspringt?
Die Antwort: Nein, er ist nicht so cool - springt aber trotzdem allen anderen davon. Der Führende der Gesamtwertung der Vierschanzentournee gewann am Donnerstag auch die Qualifikation von Bischofshofen, wo am Dreikönigstag der letzte Wettkampf steigt (16:30 Uhr live im Free-TV bei Eurosport 1 und im Livestream bei discovery+).
Showdown.
Der Norweger hält dabei alle Trümpfe in der Hand: Umgerechnet 12,94 Meter hat er Vorsprung auf Dawid Kubacki, der ihm auch in der Quali von Bischofshofen wieder im Nacken saß.
Granerud träumt schon vom Titel
Dass ihn die Aussicht auf den goldenen Adler, die Sieger-Trophäe der Tournee aber nicht umtreibt, wäre glatt gelogen. "Natürlich denke ich daran", sagte Granerud am Donnerstag ganz offen zu Eurosport. Er habe davon geträumt, in dieser Ausgangsposition zu sein, und er wisse gar nicht, "wie oft ich die Tournee in meinen Träumen schon gewonnen habe".
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'I have dreamt about this' - Granerud relishing Four Hills finale at Bischofshofen
Quelle: Eurosport
Er hoffe auf eine ruhige Nacht - wissen kann man das aber nie so genau. Schon vor dem Springen in Innsbruck war er um fünf Uhr morgens aufgewacht, wie er erzählt hatte. Der Druck ist also immens.
Schafft es Granerud, seine Führung ins Ziel zu bringen, oder kann ihn Kubacki noch abfangen? Und wer holt für den DSV die Kohlen aus dem Feuer? Die wahren Duelle von Bischofshofen.
1.) Kubacki gegen Granerud
Mindgames zwischen Granerud und Kubacki? Die gibt es nicht, dafür sind beide zu brav. Für die kleinen Tricks an der Schanze sind da eher ihre Trainer zuständig, Alexander Stöckl (Norwegen) und Thomas Thurnbichler (Polen), beides Österreicher.
Gerade Stöckl ist dafür bekannt, gerne mal zu pokern und vor Graneruds Sprünge eine sogenannte "Coaches Decision" wahrzunehmen, den Athleten also eine Luke nach unten zu setzen, um in erster Linie den Springer nicht zu gefährden, wenn dieser droht zu weit zu springen - aber auch, um im Zweifelsfall noch ein paar Punkte mehr rauszukitzeln.
"Er ist schon ein Zocker, auf jeden Fall", sagte Thurnbichler nach der Qualifikation von Bischofshofen dem "ZDF", "aber wenn ich sehe, dass die Bedingungen konstant sind und ich es gut einschätzen kann, überlege ich schon auch, den Knopf zu drücken."
In der Qualifikation trennten beide Athleten erneut nur 4,4 Punkte. Kubacki sprang einen halben Meter weiter (137,5 m), landete aber schlechter. "Er ist ein bisschen zur Seite gefallen, deswegen hat es nicht zu Platz eins gereicht", analysierte Ex-Bundestrainer Werner Schuster bei Eurosport.
"Natürlich war ich mit der Landung nicht zufrieden, da habe ich es ein bisschen übertrieben", gab der 32-Jährige selbst zu: "Ich musste mich ausbalancieren, damit ich nicht hinfalle." Ansonsten war der Pole mit seiner Quali-Leistung "ganz zufrieden".
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Halben Meter weiter: Kubacki hält in der Quali mit Granerud mit
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"Es wird von Sprung zu Sprung besser. Ich habe an kleinen Dingen gearbeitet, das halt alles gleich gegriffen. Das ist ein gutes Zeichen", sagte er.
Dass er es in Bischofshofen draufhat, hat er bereits bewiesen: Seit 2019 hält Kubacki den Schanzenrekord (145,0 Meter), 2020 siegte er hier und holte den Tourneesieg gleich mit.
Für Freitag ist seine Marschroute klar. "Ich muss konzentriert bleiben und einfach meinen Job machen", sagte der Blondschopf: "Wenn ich das schaffe, kann ich mit einem Lächeln im Gesicht die Schanze verlassen. Alles andere liegt nicht in meiner Macht."
2.) Granerud gegen das Tande-Trauma
16 Jahre ist es her, seit mit Anders Jacobsen ein Norweger die Vierschanzentournee gewann. Sechs Jahre ist es her, seit Daniel Andre Tande die Tournee eigentlich hätte gewinnen müssen - in Bischofshofen kam es damals jedoch zum großen Drama, als sich bei Tandes Ski im zweiten Durchgang ein Stück Bindung löste und der Norweger mit dem sichergeglaubten Sieg vor Augen noch auf Tagesrang 26 abstürzte. Der goldene Adler ging so an Kamil Stoch.
Ein bisschen springt Granerud am Freitag also auch gegen das Tande-Trauma an. Angesichts von 23,2 Punkten Vorsprung würden ihm wohl schon zwei ordentliche Sprünge und ein Platz um fünf oder sechs zum Tourneesieg reichen. Aber man weiß ja nie …
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Tournee-Rückblick: Als Tande die Bindung brach
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Granerud selbst schätzt die Sache jedenfalls realistisch ein. Natürlich sei er nervös, betonte er dieser Tage immer wieder. Natürlich läuft bei ihm schon seit seinem Sieg in Oberstdorf das Kopfkino ab - was wäre, wenn …? "Ich akzeptiere einfach, dass es ganz natürlich ist", sagte er in Bischofshofen zu Eurosport. Er versuche zwar, sich nicht zu viel davon ablenken zu lassen, "aber ich kann diese Gedanken nicht einfach abstellen".
Einfacher ist es tatsächlich erst, wenn er auf dem Balken sitzt und die Automatismen kommen. "Solange ich meine Anlaufposition finde, ist der Sprung kein Problem", sagte der 26-Jährige und gab zu: "Gut zu springen ist zurzeit deutlich einfacher als es normalerweise der Fall ist." Er ist im Flow.
"Wenn er nicht zu viel ins Grübeln kommt, sollte er es eigentlich nach Hause bringen", meinte auch Werner Schuster bei Eurosport: "Er ist nach wie vor der 'man to beat'." Der Österreicher ist sich zwar nicht ganz sicher, "ob er das morgen so cool durchzieht - aber die Gesamtwertung sollte er nach Hause bringen", so der Tipp des Ex-Bundestrainers.
Auch für Martin Schmitt hat der Norweger am Dreikönigstag die Nase vorne. "Granerud ist in bestechender Form und hat für mich das größte Potenzial", sagte der 44-Jährige: "Er ist mein Favorit auf den Sieg morgen und damit natürlich auch für die Tournee."
Muss eigentlich nur noch Granerud selbst überzeugt werden. Aber vielleicht kommt das ja noch. Über Nacht. "Ich habe zuletzt sehr gut geschlafen, hoffentlich bleibt das so", sagte er am Donnerstagabend und machte sich auf den Weg ins Hotel.
3.) Wellinger gegen das DSV-Desaster
Sieben Deutsche im Wettkampf dabei - in der Breite sprangen die deutschen Adler in der Qualifikation auf der Paul-Außerleitner-Schanze wieder solide, mehr aber auch nicht.
Am Ende standen die Plätze 13, 17, 22, 24, 25, 31 und 38 zu Buche.
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Bester DSV-Adler in der Quali: Schmid überrascht in Bischofshofen
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Dass erneut keine Top-Ten-Platzierung raussprang, war der eine Makel - dass die Herren Andreas Wellinger, Karl Geiger, Markus Eisenbichler und Pius Paschke, also eigentlich die besseren Springer, die hinteren vier dieser Plätze belegten, der andere.
Aufs gesamte Team gesehen sei es "nach wie vor so, dass unsere Spitzenleute ein bisschen angeknockt sind und nicht richtig in Fahrt kommen", musste sich Bundestrainer Stefan Horngacher eingestehen.
Dass die DSV-Adler erstmals seit 2016/17 wieder eine Tournee ohne einen Podestplatz bei einem der vier Springen abschließen, ist fast schon sicher; zudem droht die erste Tournee seit 2010/11 ohne einen einzigen Springer in den Top Ten.
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Schmid bester Deutscher in der Quali: "Umso glücklicher bin ich ..."
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Wellinger, derzeit Achter, muss sich dabei der Angriffe der Sportskameraden Michael Hayböck (Österreich), Lovro Kos (Slowenien) und Manuel Fettner (Österreich) erwehren, die in der Qualifikation alle besser sprangen als der Olympiasieger von 2018. Im Klassement trennen die vier gerade mal neun Weitenmeter.
Keine Frage: Die Tournee hat den 27-Jährigen Substanz gekostet. In jedem Wettkampf war der erste Sprung besser als der zweite. Nun ist Wellinger auch noch krank, Horngacher sprach am Donnerstag von einem "Magen-Darm-Infekt".
Es sieht also nicht so gut aus mit einer Top-Platzierung im Dreikönigsspringen, denn auch Geiger scheint nach seinem Blackout von Innsbruck (51. in der Quali) von der Rolle.
Nach einem Sprung auf 126 Meter meinte der Oberstdorfer, es sei "wichtig, ein bisschen Vertrauen zurückzugewinnen, solide Sprünge zu machen. Morgen möchte ich noch ein bisschen weiter vor."
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Geiger mit Quali zufrieden: "Okay - ohne Wundersachen"
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Enttäuschend war Rang 25 dennoch. "Es kann ja auch nicht alles weg sein", wunderte sich Eurosport-Experte Schmitt über den Leistungsabfall nach Platz vier in Oberstdorf: "Dort hat er sich auch anders präsentiert. Aber nun bleibt ihm nur eins übrig: Schritt für Schritt zu gehen und es langsam wieder aufzubauen."
Der Teufel liegt mal wieder im Detail. War in Innsbruck noch die Balance vor dem Absprung das Thema, ist es in Bischofshofen nun der Übergang nach dem Absprung in die Flugphase.
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Sichere Qualifikation: Geiger zeigt in Bischofshofen sein "Kämpferherz"
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"Er hat ein bisschen Probleme mit der Skiaufnahme oben, die ist nicht ganz sauber", analysierte Bundestrainer Horngacher: "Da müssen wir noch ein bisschen an der Abstimmung arbeiten, damit der Ski schneller einläuft und er entsprechend schneller drehen kann."
Am Freitag heißt es für das ganze deutsche Team also eher: Augen zu und durch.
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