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Martin Schmitt im Exklusiv-Interview vor Vierschanzentournee: "Karl Geiger kann den Gesamtweltcup gewinnen"

Jonas Klinke

Update 17/12/2021 um 17:12 GMT+1 Uhr

Martin Schmitt erklärt im Exklusiv-Interview, warum der Skisprung-Weltcup in Engelberg ein wichtiger Gradmesser für die Vierschanzentournee ist. Des Weiteren spricht der Olympiasieger über die derzeitige Form der deutschen Topspringer Karl Geiger und Markus Eisenbichler. Zudem analysiert Schmitt den Leistungsstand von Andreas Wellinger und findet lobende Worte für Kämpferherz Severin Freund.

Karl Geiger in Wisla

Fotocredit: Getty Images

Das Interview führte Jonas Klinke. Am 28. Dezember 2021 startet die Vierschanzentournee mit der Qualifikation für das Auftaktspringen in Oberstdorf. Zuvor trifft sich die Skisprung-Elite im schweizerischen Engelberg zu einem letzten Test im Weltcup.
Während die DSV-Adler Karl Geiger und Markus Eisenbichler im Soll sind, meldet sich Andreas Wellinger langsam, aber sicher in der Weltspitze zurück. "Er ist auf einem guten Weg, ich traue ihm das zu", erklärt Martin Schmitt im Interview mit Eurosport.de.
Wie Skisprung-Legende Schmitt die Rückkehr von Daniel-André Tande beurteilt, der nach schwerem Sturz im März noch im Koma lag und beim Weltcup in Klingenthal überraschend auf Platz zwei landete, lesen Sie unter anderem hier:
Herr Schmitt, in Klingenthal sind am Samstag mit Geiger, Eisenbichler und Wellinger drei Deutsche in die Top sechs gesprungen, tags drauf gab es dann einen herben Rückschlag, Eisenbichler verpasste gar den zweiten Durchgang. Wie bewerten Sie das Wochenende?
Martin Schmitt: Sprungtechnisch ist das Team auf einem super Weg, das hat der Samstag gezeigt. Andreas Wellinger wird immer sicherer und kämpft sich Schritt für Schritt nach vorne. Das ist ein tolles Zeichen. Auch bei Karl Geiger und Markus Eisenbichler sehe ich eine sehr gute und stabile Form. Sie stehen zu Recht im Weltcup weit vorne.
Wie ist dann der Einbruch vom Sonntag zu erklären?
Schmitt: Mit den speziellen Bedingungen. Die künstlichen Eisspuren sind so konzipiert, dass sie bei fast bei allen Verhältnissen schnell sind. Wenn die Temperaturen aber bei ziemlich genau null Grad liegen und der Schnee in Regen übergeht, werden die Spuren problematisch. Man lag für diese speziellen Bedingungen vermutlich beim Schliff nicht ganz richtig. Neben der geringeren Anfahrtsgeschwindigkeit hat sich das auch im Fahrgefühl bemerkbar gemacht, der im Skispringen sehr sensible Bewegungsablauf war gestört. Es ist zwar nicht damit zu rechnen, dass das auch bei der Tournee vorkommt, gänzlich ausschließen kann man es jedoch nicht. Dementsprechend sollte das Ganze als Warnschuss verstanden werden. Dennoch: Das Techniker-Team der Deutschen ist herausragend und es gibt sicherlich Ideen, wie man in Zukunft darauf reagiert.
Eisenbichler hatte einen starken Saisonstart, ist Fünfter im Gesamtweltcup. Besteht nach dem Ausscheiden am Sonntag die Gefahr eines Knackses?
Schmitt: Davon gehe ich nicht aus. Ich glaube, dass er nahtlos an seine starken Leistungen anknüpfen kann. In Engelberg werden ganz andere Bedingungen herrschen. Dort ist allerdings der Absprung speziell, in der ersten Flugphase wird man meistens mit viel Rückenwind konfrontiert. Es kommt auf die richtige Absprungdynamik und Absprungpräzision an. Darauf muss man sich fokussieren.
Das Springen in Engelberg ist die Tournee-Generalprobe. Wie wichtig ist es, im letzten Wettkampf vor Oberstdorf ein gutes Ergebnis einzufahren?
Schmitt: Sehr wichtig, Engelberg ist immer ein guter Tournee-Gradmesser. Man sieht, wer in Form ist - und wer nicht. Die Schanze ist anders als die der Vierschanzentournee. Der Anlauf ist steil, gefolgt von einem Radius, der harmonisch beginnt, dann aber eine recht starke Kompression bewirkt, hinzu kommt der angesprochene Rückenwind. Man muss technisch extrem sauber springen. Das geht nur, wenn man Vertrauen hat und die Automatismen greifen. Wenn es danebengeht, sagt man sich als Sportler: 'Okay, das war nur Engelberg, die Tournee zählt.' Aus meiner Sicht ist die Aussagekraft aber sehr groß.
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Eurosport Skisprung-Experte Martin Schmitt

Fotocredit: Eurosport

Andreas Wellinger fuhr am Samstag mit Platz sechs sein bestes Ergebnis seit über drei Jahren ein. Ist er schon so weit, dass er dauerhaft in die Top 10 springen kann?
Schmitt: Er ist auf einem guten Weg, ich traue ihm das zu. Es hat seinen Sprung merklich verbessert. Andreas hat eine tiefere Anfahrtsposition als in der vergangenen Saison und kommt aus dieser Position sehr dynamisch heraus. Das zeigt, dass er körperlich in einer Top-Verfassung ist. Außerdem springt er sehr symmetrisch und muss in der Übergangsphase kaum korrigieren. Das war in den vergangenen Jahren noch anders. Wenn er so weiter macht, wird sich das in den Ergebnissen widerspiegeln und er wird Selbstvertrauen tanken, um die nächste Qualitätsstufe zu erreichen.
Bereits auf einer anderen Qualitätsstufe ist Karl Geiger, der souverän im Gesamtweltcup führt. Hat er das Potenzial, die große Kristallkugel in dieser Saison zu gewinnen?
Schmitt: Karl Geiger kann definitiv den Gesamtweltcup gewinnen. Das Potenzial dazu hat er. Er springt über einen langen Zeitraum stabil und ist gefestigt. Es müssen aber mehrere Faktoren zusammenspielen. Die körperlichen Voraussetzungen müssen stimmen, außerdem muss er vorsichtig sein, dass sich keine Fehler in seine Sprungtechnik einschleichen. Insgesamt bringt er aber ein sehr gutes Paket mit.
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Karl Geiger

Fotocredit: Getty Images

Wer sind seine Gegner im Kampf um den Gesamtweltcup?
Schmitt: Ryoyu Kobayashi ist sehr stark. Sein Sieg in Klingenthal wird ihm einen Schub gegeben haben. Sein Sprung könnte zwar noch etwas harmonischer sein, aber er hat unglaubliches Potenzial. Stefan Kraft sehe ich ebenfalls weit vorne. Es werden also mehrere Springer Ansprüche auf den Gesamtweltcup anmelden.
Hat es Sie überrascht, dass Kobayashi in Klingenthal quasi direkt aus der Quarantäne zum Sieg gesprungen ist?
Schmitt: Nein. Man hat bei den Wettkämpfen zuvor gesehen, dass er sehr gut in Form ist. Schon im Herbst beim Sommer Grand Prix war er wahnsinnig stark. Es sollte nicht allzu tragisch sein, wenn man in der Saison mal eine Zwangspause einlegt, vorausgesetzt man erkrankt nicht, hat keine Symptome. Die Zeit kann zur Regeneration genutzt werden. Körperlich verliert man da nicht viel.
Daniel-André Tande wurde knapp neun Monate nach seinem schweren Sturz in Planica in Klingenthal Zweiter. Wie bewerten Sie seine Entwicklung?
Schmitt: Was Tande zeigt, ist herausragend. Er war selbst ganz gerührt, dass er sich schon jetzt zurückgekämpft hat und Podestleistungen anbietet. Er ist nicht nur froh, dass er wieder dabei sein kann, sondern er strebt nach Erfolg. Er möchte dahin, wo er schon einmal war, dafür gibt er alles. Zu Beginn der Saison gab es schwierige Wettkämpfe mit viel Wind - er hat sich jeder Situation gestellt und nicht zurückgezogen. Er hat das fantastisch gemeistert.
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Daniel Andre Tande zurück auf dem Podium

Fotocredit: Imago

Nicht im Weltcup-Team dabei ist aktuell Severin Freund. Im Continental Cup gewann er am Samstag in Vikersund. Wie bewerten Sie es, dass er sich auf diese Weise zurück ins A-Team springen möchte?
Schmitt: Letztlich blieb ihm keine andere Möglichkeit. Severin Freund nimmt das klaglos an. Er hat es aufgrund der Leistungen im Herbst knapp nicht ins A-Team geschafft. Das Team ist sehr stark, es kann schnell passieren, dass man plötzlich nicht bei den Besten dabei ist. Natürlich ist das Niveau beim Continental Cup nicht so hoch wie im Weltcup, aber so ein Springen muss man erst einmal gewinnen. Das ist immer eine Herausforderung, es wird einem nichts geschenkt. Er geht nun diesen kleinen Umweg und hat mit seinem Sieg gezeigt, dass er eine super Basis hat. Ich hoffe, dass er das auch bei der Tournee abrufen kann.
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