Jannik Sinner zweimal positiv auf Clostebol getestet - Doping-Experte Fritz Sörgel hat Zweifel an der Erklärung

Jannik Sinner ist einen Tag nach seinem Triumph in Cincinnati und eine Woche vor Beginn der US Open mit zwei positiven Tests auf das verbotene Steroid Clostebol in die Schlagzeilen geraten. Die Tatsache, dass der Italiener ohne Sperre davonkam, sorgt für Irritationen. Das ganze Vorgehen "stinkt zum Himmel", sagt etwa Doping-Experte Fritz Sörgel bei "Sport1". Der Fall wird weiter Wellen schlagen.

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Der ATP fiel ein Stein vom Herzen. Es sei "ermutigend für uns, dass Jannik Sinner kein Verschulden oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden konnte", teilte die Spielervereinigung mit.
Nachvollziehbar. Schließlich soll Sinner, qua Weltrangliste jetzt schon der beste Tennisspieler des Planeten, zusammen mit Carlos Alcaraz die Zukunft der Sportart prägen. Alles gut also nach dem Freispruch?
Nein. Der Umgang mit den beiden positiven Clostebol-Tests ist mindestens bemerkenswert - aus Sicht des Doping-Experten Fritz Sörgel gar fahrlässig.
"Wenn jemand positiv auf Clostebol getestet wird, dann wird er automatisch gesperrt. Die Reihenfolge nach einem positiven Test, der angezweifelt wird, ist der Gang zur nationalen Anti-Doping Agentur, zur WADA, zum CAS. Wieso kann Sinner dann von einem Gericht freigesprochen werden?", wundert sich der Leiter des Instituts für Biomedizin und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg. Sörgel weiß, wovon er spricht, war Gutachter in Dopingprozessen und früher Mitglied der Anti-Doping-Kommission des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).
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Quelle: SNTV

Er verstehe nicht, weshalb "der Fall Sinner außerhalb der WADA-Regeln abgelaufen" sei, so Sörgel im Gespräch mit "Sport1". Tatsächlich wurde nach den beiden positiven Befunden vom 10. und 18. März 2024 nicht die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) eingeschaltet. Stattdessen lief die Causa über die International Tennis Integrity Agency (ITIA). Man habe jeweils eine vorläufige Sperre verhängt, gegen die Sinner aber erfolgreich Widerspruch eingelegt habe.
Die ITIA delegierte den Fall infolgedessen an ein unabhängiges Gericht. Das habe bei einer Anhörung am 15. August "kein Verschulden oder keine Fahrlässigkeit" aufseiten des Spielers festgestellt, sodass auch keine Sperre auszusprechen gewesen sei.

Sörgel zweifelt an Sinners Erklärung: "Diese Methode der Ausrede ..."

Sörgel aber hat Zweifel an der Darstellung von Sinner, wie es überhaupt zu den positiven Clostebol-Befunden kommen konnte. Der Australian-Open-Sieger hatte erklärt, die Substanz könne nach einer Kontamination durch ein Mitglied des Betreuerteams, Giacomo Naldi, in seinen Körper gelangt sein. Der Physiotherapeut soll ein in Italien rezeptfrei erhältliches Spray mit Clostebol aufgetragen haben, um eine Wunde zu behandeln. Bei Massagen und sporttherapeutischen Behandlungen soll es dann zu einer "unwissentlichen transdermalen Kontamination" gekommen sein.
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"Auch wenn er ihn jeden Tag massiert, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass das Clostebol in solchen Mengen durch die Haut eindringt, dass es im Dopingtest auffällt", glaubt Sörgel und geht sogar noch einen Schritt weiter: "Auf jeden Fall, das stinkt zum Himmel. Diese Methode der Ausrede, dass es über die Haut aufgenommen wird, wird in letzter Zeit verstärkt verwendet. Und das ist nun ein weiterer Fall", führt der 74-Jährige aus. Die WADA müsse "jetzt eingreifen, denn der Internationale Tennisverband ist Mitglied der WADA".

Sinner schaut nach vorne, WADA schaltet sich ein

"Er würde nie etwas absichtlich tun. Er war in einer unglücklichen Situation", stellte Sinners Trainer Darren Cahill bei "ESPN" klar. Es habe "keinen Fehler oder Fahrlässigkeit" gegeben. "Ich werde diese herausfordernde und zutiefst unglückliche Zeit jetzt hinter mir lassen", teilte Sinner indes auf X mit. Die Frage ist nur, ob er das wirklich kann. "Aus meiner Sicht ist das Thema nicht durch", betont Sörgel. "Es ist ein eindeutiger Befund. Clostebol ist Clostebol, und Clostebol führt automatisch zu einer zwei- bis vierjährigen Sperre. Da führt kein Weg dran vorbei."
Die WADA reagierte unterdessen. Man prüfe das Ganze "sorgfältig", hieß es auf Nachfrage von "SID" und "dpa". Denkbar wäre, dass im Anschluss Berufung beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne eingelegt wird. Für Sinner wäre das eine schlechte Nachricht.
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Der Weltranglistenerste hätte von Beginn an selbst vor den CAS gehen müssen, um gegen die Tests vorzugehen, aber nicht vor "ein dem Tennis nahestehenden Gericht", so Doping-Experte Sörgel. "In den USA und im Tennis gibt es manchmal komische Urteile, weil dort solche Fälle durch sogenannte Schiedsgerichte, die mit Sport nichts zu tun haben, entschieden werden. Da sitzen Leute drin, die mit der Materie nicht vertraut sind oder auf der Seite der Sportler stehen."

Sörgel: "Man hat den einen oder anderen Spieler geschont"

Wenn darüber hinaus findige Anwälte ins Spiel kommen, könne "man einen Befund wegdiskutieren und einen Freispruch bekommen. Das sollte die Nationale Anti-Doping-Agentur sofort zur Anzeige bringen. Die Agentur in London, die den Fall entschied, dürfte im Sport nicht zählen", fordert Sörgel.
Aus seiner Sicht hätte eine Sperre durch die WADA "viel früher erfolgen müssen. Aber im Tennis war das schon früher so, dass da eine Geheimniskrämerei draus gemacht wird und man den ein oder anderen Spieler geschont hat", sagt Sörgel.
Ob dies auch im Fall Jannik Sinner so war, muss aber (vorerst) offenbleiben.
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