Top-Sportarten
Alle Sportarten
Alle anzeigen

Paralympics-Tennis-Star Gordon Reid exklusiv über Erfolge und seinen Weg an die Spitze: "War eine große Inspiration"

Tobias Laure

Update 23/04/2024 um 12:50 GMT+2 Uhr

Gordon Reid hat im Rollstuhltennis Geschichte geschrieben. 2016 gewann er als erster Brite Paralympics-Gold im Einzel, in der Saison 2021 vollendete er im Doppel mit Alfie Hewett den Kalender-Grand-Slam - ein Novum. Trotzdem gab es als Sportler in seinen jungen Jahren eine "Komponente, die noch wichtiger war als der sportliche Aspekt", wie Reid im Exklusiv-Interview mit Eurosport.de erklärt.

Australian Open: A. Hewett / G. Reid vs. T. Miki / T. Oda - Highlights

Nein, nein, er wolle lieber nicht über die Glasgow Rangers sprechen, scherzt Gordon Reid beim Interview-Termin auf der Tennis-Anlage des MTTC Iphitos in München. Der 32-Jährige ist großer Fan des Fußball-Klubs, der im diesjährigen Titelkampf allerdings den Kürzeren zog gegen den ewigen Stadtrivalen Celtic.
Reids Faible für die Rangers liegt nahe, schließlich stammt er aus Alexandria, das etwa 20 Kilometer nordwestlich von Glasgow liegt, wo er heute wohnt.
In der Jugend spielte Reid sowohl Tennis als auch Fußball - bis die Diagnose Transverse Myelitis (TM), eine Form der Rückenmarksentzündung, sein Leben kurz vor dem 13. Geburtstag auf den Kopf stellte. Er habe "damals nach der Erkrankung und aufgrund der Rehabilitation sechs Monate im Krankenhaus" verbringen müssen, erzählt der Schotte, der fortan einen Rollstuhl benötigte.
Reid ließ sich aber nicht unterkriegen, im Gegenteil: "Ich wollte zurück in die Welt des Sports", sagt der Rollstuhltennis-Champion.
Im Gespräch mit Eurosport.de erläutert Reid, wie er diesen Schritt geschafft hat und warum der Tennis-Court sein Leben nicht nur sportlich verändert hat.
2004 wurde bei Ihnen im Alter von 12 Jahren transverse Myelitis diagnostiziert, eine neurologische Erkrankung. Ein massiver Einschnitt, der Ihr Leben komplett veränderte. Schon kurz darauf haben Sie begonnen, Rollstuhltennis zu spielen.
Gordon Reid: Ja, ich verbrachte damals nach der Erkrankung und aufgrund der Rehabilitation sechs Monate im Krankenhaus. Um mobiler zu werden, musste ich den Rollstuhl benutzen. Ich wollte zurück in die Welt des Sports, denn ich war schon als Kind sehr aktiv - und plötzlich konnte ich sechs Monate lang gar nichts mehr machen. Das fühlte sich unfair und ungesund an, auch mein Gewicht veränderte sich durch die Medikamente, die ich bekam. Ich wollte unbedingt wieder aktiver sein, so kam ich zum Rollstuhltennis. Ich hatte zuvor schon Tennis gespielt, sodass der Schritt nahelag.
Der Erfolg in Ihrem neuen Sport stellte sich sehr schnell ein. 2007 wurden Sie Großbritanniens jüngster Landesmeister im Herren-Einzel. Haben Ihnen die Fortschritte auf dem Court geholfen, Ihr neues Leben zu meistern?
Reid: Ja, auf jeden Fall. Tennis hatte gerade in dieser Zeit einen sehr positiven Einfluss auf mein Leben. Nicht nur wegen des Erfolgs, sondern auch, weil ich mich wieder gesünder gefühlt habe - in physischer Hinsicht ebenso wie in mentaler. Beim Tennis traf ich auf Leute, die schon länger wie ich im Rollstuhl saßen und zu denen ich aufschauen konnte. Auf sportlicher Ebene, aber auch, weil ich sah, wie sie ihr Leben gestalteten. Sie hatten Ehefrauen, Kinder, sie bereisten die Welt. Wenn du in jungen Jahren einen solchen Einschnitt zu verarbeiten hast wie ich, bist du nicht sicher, ob du diese Dinge jemals im Leben haben wirst. Es war eine große Inspiration, dass Menschen, die in derselben Situation sind wie ich, all das haben können. Diese Komponente war für mich noch wichtiger als der sportliche Aspekt.
Mein Ansporn ist es, diese Entwicklung mitzugehen und mit den jungen Spielern, die uns ziemlich Druck machen, mitzuhalten.
Inzwischen haben Sie in Ihrem Sport nahezu alles gewonnen - wie etwa einen kompletten Medaillensatz bei den Paralympics oder auch 25 Grand-Slam-Titel im Einzel und Doppel. Wie halten Sie die Motivation hoch?
Reid: Es gibt immer noch so viel zu erreichen, daraus ziehe ich meine Motivation. Darüber hinaus entwickelt sich das Rollstuhltennis permanent weiter, der Stil verändert sich. Mein Ansporn ist es, diese Entwicklung mitzugehen und mit den jungen Spielern, die uns ziemlich Druck machen, mitzuhalten. Die Motivation ist immer noch da, wenngleich es Phasen gibt, wo es mir schwerer fällt, sie hochzuhalten.
picture

Alfie Hewett (li.) und Gordon Reid (re.) nach dem Paralympics-Finale 2016 in Rio de Janeiro

Fotocredit: Getty Images

Sie haben sowohl im Einzel als auch im Doppel Großes erreicht. Welche Disziplin bevorzugen Sie?
Reid: Ich will das aus verschiedenen Gründen gar nicht bewerten, ich mag beides sehr. Als ich jung war, habe ich Mannschaftssport betrieben. Das findet sich im Doppel wieder. Du unterstützt den Partner und bekommst deinerseits Support von ihm. Im Einzel siehst du dich dagegen mit einer ganz persönlichen Herausforderung konfrontiert. Du musst für dich alleine unter Druck Lösungen finden.
Auf Hartplatz nutzte ich schmale Reifen mit hohem Druck, das verbessert die Rolleigenschaften.
Wie im Tennis wird auch im Rollstuhltennis auf Hartplatz, Rasen und Sand gespielt. Wo fühlen Sie am wohlsten?
Reid: Ich liebe Rasen, er passt einfach zu meinem Spiel. Zuhause in Schottland spielen wir meistens in der Halle auf Hartplatz, meinem eigentlichen Lieblingsbelag. Sand ist für mich eine besondere Herausforderung, wird aber in dieser Saison mit den French Open und den Paralympischen Spielen in Paris sehr wichtig. Es ist ein gutes Jahr, um auf Sand stark zu spielen (lacht).
Haben Sie für jeden der Beläge einen eigenen Rollstuhl?
Reid: Der Rollstuhl selbst ist immer derselbe. Was wir wechseln, sind die Räder, wir arbeiten mit unterschiedlichem Druck und verschiedenen Reifen. Auf Hartplatz nutzte ich zum Beispiel schmale Reifen mit hohem Druck, das verbessert die Rolleigenschaften. Wenn du damit auf Rasen oder Sand antreten würdest, würde der Reifen zu tief in den Belag einsinken. Deshalb kommen da breitere Modelle zum Einsatz, die eine bessere Balance mit sich bringen.
Bei diesen vier Wettbewerben hast du die Chance, wirklich Geld zu verdienen. Bei den übrigen Wettbewerben verlierst du Geld.
Bei den großen Turnieren im Tennis sind die Preisgelder enorm hoch, gehen in die Millionen. Wie sieht es im Rollstuhltennis aus, können Sie gut von ihrem Sport leben?
Reid: Das ist ein kompliziertes Thema. Auch auf der ATP und WTA Tour kann es für Profis, die außerhalb der Top 100 stehen, eine Herausforderung sein, über die Runden zu kommen. Wir Rollstuhlspieler müssen dieselben Kosten stemmen, verdienen allerdings weniger. Ich möchte aber betonen, dass die Situation für uns besser wird, die Grand-Slam-Turniere investieren in unseren Sport. Bei diesen vier Veranstaltungen hast du die Chance, wirklich Geld zu verdienen. Bei den übrigen Wettbewerben verlierst du Geld.
Selbst wenn Sie das Turnier gewinnen?
Reid: Ja. Es ist schwierig. Wenn du keinen privaten Sponsor findest oder keine Unterstützung von Verbänden oder anderen Institutionen bekommst. Eines der Probleme, die wir auf der Rollstuhl-Tour haben, ist die Tatsache, dass es für Spieler schwer ist, sich bei den Grand Slams zu etablieren. Um da hinzukommen, brauchst du vorher die Mittel - aber nur, wenn du dort am Start bist, kannst du wirklich Geld verdienen. Man muss aber auch Turniere wie in München loben, wo die Veranstalter ein höheres Preisgeld (insgesamt 40.000 Euro, A.d.R.) ausgerufen haben als bei vielen anderen Wettbewerben.
Beim ersten Mal habe ich den Orden direkt von Queen Eilzabeth II erhalten.
Eine andere Form der Anerkennung waren die beiden Order of the British Empire (MBE und OBE), die Sie 2017 und 2023 für Ihre Leistungen und Ihr Auftreten bekommen haben. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen und wie lief das ab?
Reid: Zweimal im Jahr werden Menschen aus allen möglichen Bereichen des Lebens – Politik, Sport oder Charitatives - für den Order of the British Empire nominiert. Mit dieser Auszeichnung kannst du nicht rechnen, wenn du deine Karriere beginnst. Es ist etwas ganz besonderes, ein sehr spezieller Tag. Du kannst deine Familie mitnehmen und erhälst den Order dann durch ein Mitglied der Königlichen Familie.
Wer war das in Ihrem Fall?
Reid: Beim ersten Mal habe ich den Orden direkt von Queen Elizabeth II erhalten, beim zweiten Mal aus den Händen einer der Prinzessinnen.
In diesem Jahr steht in Paris ein Event an, das für jeden Sportler und jede Sportlerin ebenfalls eine große Auszeichnung ist: die Paralympischen Spiele. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Reid: Es sind meine fünften Paralympics. Ich habe also schon viele Erfahrungen damit sammeln können, positive wie negative. Ich denke an die Spiele in Tokio, wo wir infolge der Corona-Pandemie keine Zuschauer hatten und zu Beginn zwei Tage in Quarantäne gehen mussten. Das wird dieses Jahr komplett anders, ich glaube, es wird ein riesengroßes Fest. Da Paris nicht weit entfernt ist von unserer Heimat, werden viele Leute kommen und uns unterstützen. Dann finden die Rollstuhltennis-Wettkämpfe in Roland-Garros statt, auf einer legendären Anlage. Das wird für alle extrem spannend.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Reid.
Das könnte Dich ebenfalls interessieren: Ferrero exklusiv: Licht am Ende des Tunnels bei Alcaraz
picture

Return Extraklasse - hier holen Hewett/Reid den Rollstuhl-Titel


Mehr als 3 Mio. Sportfans nutzen bereits die App
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit den aktuellsten News und Live-Ergebnissen
Download
Ähnliche Themen
Diesen Artikel teilen
Werbung
Werbung