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Skispringen: "Schwerste Saison für DSV seit langer Zeit" - Werner Schusters Bilanz zu Geiger, Eisenbichler, Wellinger

Tim Wehinger

Update 05/04/2023 um 15:38 GMT+2 Uhr

Skisprung-Experte Werner Schuster mit seiner exklusiven Saisonbilanz zu den deutschen Adlern in diesem Winter, "der schwersten Saison für DSV seit langer Zeit" aus seiner Sicht. Der Erfolgstrainer sieht aber auch die erfolgreiche Rückkehr von Andreas Wellinger als das "Comeback des Jahres", spricht über die Dominanz von Halvor Egner Granerud und verrät seinen Aufsteiger der Saison.

"Das ist verrückt!" Wellinger kann Gold-Coup kaum glauben

Herr Schuster, welches Fazit der Saison würden Sie aus DSV-Sicht ziehen?
Werner Schuster: Insgesamt war es eine sehr schwere Saison für Deutschland - vielleicht die schwerste seit längerer Zeit. Man ist natürlich erfolgsverwöhnt und hat die Latte die letzten Jahre extrem hochgelegt. Es hat eigentlich immer ein Deutscher um den Gesamtweltcup gekämpft, ob das jetzt Karl Geiger war, ob das Markus Eisenbichler war - und man hat immer Medaillen gemacht. Das ist aber auch das Positive: Sie haben auch in diesem Winter wieder Medaillen geholt - auf der kleinen Schanze sogar zwei mit Geiger und Andreas Wellinger. Man hat sich aus einer schwierigen Situation herausmanövriert und die WM ganz ordentlich absolviert. Deutschland ist ja nicht im Niemandsland verschwunden, aber war natürlich erfolgsverwöhnt und hat nicht die Erfolge eingefahren, speziell auch bei der Vierschanzentournee und im Gesamtweltcup, die man sich erhofft hat.
Wie beurteilen Sie die Leistungen der deutschen Topspringer im Einzelnen?
Schuster: Geiger springt seit vielen Jahren jetzt auf einem hohen Niveau, da kann schon einmal ein kleiner Einbruch kommen. Umso bemerkenswerter ist es, dass er sich punktuell immer wieder herausgezogen hat mit seiner enormen mentalen Stärke. Eisenbichler ist sicher nicht auf diesem Niveau gesprungen wie die Jahre zuvor, da waren die guten Sprünge schon seltener, aber sehr positiv ist, dass Andi Wellinger nach so vielen Jahren des Kampfes zurückgekehrt ist ganz nach oben auf das Podest. Zwei Weltcup-Springen hat er gewonnen und eine Medaille bei der WM. Das ist das Comeback des Jahres!
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Jubel in Planica: Wellinger und Geiger holen zwei Medaillen

Wie sieht es beim Rest des DSV-Teams aus?
Schuster: Es ist dahinter leider auch den vielversprechenden Talenten wie Constantin Schmid nicht gelungen, den nächsten Schritt vorwärtszumachen. Man hat jetzt nicht das Über-Angebot im Team. Mit Philipp Raimund hat man einen jungen Springer bei der Tournee entdeckt, den man sicher noch weiterentwickeln kann. Und wer weiß: Beim Skifliegen in Planica und beim Lahti-Springen hat Felix Hoffmann, der zwar nicht mehr der Allerjüngste ist, aber der hat so richtig aufgezeigt. Vielleicht kann man den auch einbauen. Ich denke, man wird die richtigen Schlüsse ziehen, aber die Saison war sehr, sehr schwer.
Hoffmann war vor ein paar Wochen noch in der dritten Liga unterwegs, jetzt macht er im Weltcup auf sich aufmerksam. Was trauen Sie ihm zu in den nächsten Jahren?
Schuster: Ja, das ist interessant. In der Zeit, als ich noch Bundestrainer war, habe ich ihn zum ersten Mal gesehen und mir gedacht: Der könnte mal bei mir ankommen. Aber bis 2019 ist er nicht bei mir angekommen und dazwischen hat es mal gar nicht so gut ausgesehen. Er ist aber meines Erachtens schon ein großes Talent, der nach ein paar Irrwegen auch persönlich gereift ist. Ich glaube schon, dass er es wert ist, ihm auch das Vertrauen zu geben. Man muss eben eine gute Mischung finden aus etablierten Kräften und jungen Kräften und dann versuchen, eine schlagkräftige Mannschaft aufzubauen.
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Schuster exklusiv: "Schwerste Saison für Deutschland seit längerem"

Ein Nachwuchsproblem sehen Sie also nicht?
Schuster: Die Frage ist, wie weit geht man im Nachwuchs runter? Da ich ja selbst auch weiterhin im Trainergeschäft bin und am Skigymnasium Stams arbeite, habe ich ein bisschen den Überblick und da gäbe es schon etwas zu tun. Deutschland hat dort nicht brilliert. Es ist schon so, dass man dranbleiben muss, um wieder neue Talente zu entwickeln. Unmittelbar muss man jetzt aber erst einmal schauen, dass man mit diesen Kräften auskommt. Und die können sicher besser springen, als sie es in dieser Saison gezeigt haben. Daraus muss man die richtigen Schlüsse ziehen.
Der DSV hatte sechs Springer in den Top 30 des Weltcups, aber keinen in der absoluten Spitze. Im Vergleich lag Österreich mit fünf Athleten in den Top 15: Ist das die neue Realität, mit der man sich anfreunden muss?
Schuster: Da muss man sehen, wie man das einordnet. Österreich hat ja jetzt auch einige junge Kräfte vor der Tür, die haben tolle Jahrgänge, die jetzt kommen. Daniel Tschofenig ist der Erste aus dieser Generation von 2002, aber da gibt es noch mehr. Also Österreich ist in einer sehr luxuriösen Situation, diesmal hat wieder Stefan Kraft die Kohlen aus dem Feuer geholt, aber sollten Kraft, Michael Hayböck und Manuel Fettner vielleicht mal nicht so eine gute Saison haben, hat Österreich sicher mehr junge Kräfte als Deutschland zum Beispiel.
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ÖSV-Adler Tschofenig holt sich den Sieg in der Qualifikation

Wie sieht das bei anderen Nationen aus?
Schuster: Da gelingt es manchen, immer wieder mal nachzulegen. Bei Norwegen hat Halvor Egner Granerud eigentlich alles überstrahlt, aber die Mannschaft war nicht ganz so stark wie in den Jahren zuvor. Slowenien hat junge, gute Kräfte - die sind gut etabliert. Die Polen haben den mutigen Schritt gemacht, einen sehr jungen Coach zu holen. Dem ist es gelungen, aus Kamil Stoch, Piotr Żyła und Dawid Kubacki richtig viel rauszuholen und junge Leute einzubauen. Sie haben aber auch noch einen Weg vor sich - von daher kämpfen alle Nationen mit einem ähnlichen Problem. Die Einzigen, die wirklich abgesackt sind, waren die Japaner. Da hat Ryōyū Kobayashi dann ab und zu mal wieder aufgezeigt, aber die sind als Team komplett unter dem Radar gewesen. Also es tut sich was im internationalen Skispringen und mit einigen Springern über 30 Jahren wird sich da noch einiges tun die kommenden Jahre und die Nationen sind gefordert, wieder junge Athleten zu entwickeln.
Mit Blick auf das ganze internationale Feld: Gab es da jemand, der Sie überrascht hat, der einen großen Sprung gemacht?
Schuster: Ja, der Aufsteiger der Saison ist sicher Daniel Tschofenig, der ist der jüngste Springer aus dieser Gruppe, Jahrgang 2002. Der ist nicht mehr weit vom ersten Sieg weg. Der ist ja auch schon unter den besten zehn und sehr, sehr nah dran an diesen Top-Leuten.
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Granerud fliegt in Willingen zum achten Saisonsieg: "Fast unantastbar"

Hat Granerud auch das Zeug dazu, kommende Saison die Szene derart zu dominieren?
Schuster: Er ist ein sehr spannender Springer, weil er eigentlich lange unter dem Radar war, dann einfach mit Mitte 20 irgendwann mal die Kurve gekriegt hat und vor zwei Jahren mit einem fulminanten Schritt nach vorne Weltcupgesamtsieger geworden ist. In der Folge hat er mal ein Jahr lang etwas Schwierigkeiten gehabt und einen Skiwechsel vorgenommen, was in dieser Situation sehr, sehr mutig gewesen ist - und jetzt hat er noch eine fulminantere Saison hingelegt als vor zwei Jahren. Wenn man seine Interviews hört, wirkt er sehr reflektiert, sehr reif. Ich würde davon ausgehen, dass er noch ein paar Jahre an der Spitze bleibt. Er ist wirklich ein toller Skispringer, der scheinbar wirklich ganz genau weiß, was er tut und nicht mit dem Kopf durch die Wand geht. Eine Rechnung hat er noch offen: Er hat noch keine WM-Medaille gewonnen. Dafür muss er zwar noch ein Jahr warten, aber da kommt noch was von Granerud!
Den zweiten Teil des Exklusiv-Interviews mit Werner Schuster gibt es hier - dort blicken wir mit unserem Experten u.a. auf die Leistungen der deutschen Skispringerinnen im WM-Winter!
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Schuster exklusiv: "Schwerste Saison für Deutschland seit längerem"

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