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Jamie Bynoe-Gittens als Versprechen für die BVB-Zukunft: Realität trifft Euphorie

Dennis Melzer

Update 03/12/2023 um 16:09 GMT+1 Uhr

Jamie Bynoe-Gittens spielte sich bei Borussia Dortmund zuletzt mit ansprechenden Leistungen ins Rampenlicht, seine Darbietungen gegen Borussia Mönchengladbach und Milan hievten den jungen Engländer auf den Fahrersitz eines neuen BVB-Hype-Trains. Plötzlich wird der Offensivmann, der lange außen vor war, als Nachfolger von Jadon Sancho gehandelt. Doch der Euphorie-Zug hat eine Bremse.

Terzic stolz: "Jungs haben sich da durchgebissen"

Wer über die Irrungen und Wirrungen des modernen Fußballs referiert, bemüht diverse Begrifflichkeiten. Von Kommerzialisierung ist berechtigterweise immer wieder die Rede, auch die damit verbundene Entfremdung der Fans wird thematisiert. Um die ganze Absurdität des Geschäfts zu skizzieren, wird auf die Schnelllebigkeit verwiesen.
Explodierende Transfersummen, exorbitante TV-Gelder oder vormals irrelevante Ligen, die – dank des schnöden Mammons - innerhalb eines Transfersommers zu Sammelbecken von Superstars werden. All diese Entwicklungen leben gemeinsam unter dem Dach der Schnelllebigkeit.
Doch es geht nicht immer nur um monetäre Aspekte, auch rein sportlich kommt die Schnelllebigkeit zum Tragen. Sie dient als Antrieb für Hype-Train und Verriss-Zug gleichermaßen.
Auf der Suche nach einem Paradebeispiel könnte man derzeit in Dortmund fündig werden. Hier spielte sich ein bemerkenswerter junger Mann binnen weniger Tage ins Rampenlicht und setzte so die typischen Mechanismen des modernen Fußballs in Gang. Sein Name: Jamie Bynoe-Gittens.

Bynoe-Gittens und der Sancho-Vergleich

Am vergangenen Samstag zeichnete der junge Engländer mit einem Tor und einer Vorlage mitverantwortlich für eine erfolgreiche Dortmunder Aufholjagd im Borussen-Duell mit Mönchengladbach (4:2 nach 0:2), am vergangenen Dienstag untermauerte er seine Leistung im legendären San Siro, avancierte beim 3:1-Sieg des BVB über die AC Mailand erneut mit Treffer und Assist (herausgeholter Elfmeter) zum Unterschiedspieler.
Bynoe-Gittens glänzte dabei nicht nur mit nackten Scorerpunkten, sondern brachte ein Element ins Spiel, das den Dortmundern lange Zeit (auch aufgrund der Formdellen von Donyell Malen und Karim Adeyemi) abging: Risikobereitschaft und sehenswerte Tempodribblings über die Außenbahn. Es dauerte nicht lange, da hatten erste Medien bereits einen Vergleich zum gen Manchester abgewanderten Jadon Sancho gezogen.
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Jamie Bynoe-Gittens (BVB) bejubelt sein Tor gegen Gladbach

Fotocredit: Imago

Eine Parallele, die auf der Hand liegt, immerhin kam Bynoe-Gittens - wie Landsmann Sancho - als No-Name von Manchester City ins Ruhrgebiet, in puncto Anlagen weisen die beiden darüber hinaus Ähnlichkeiten auf. Die "Bild" richtete mit Blick auf die starken Vorstellungen des "Wunder-Talents" sogar einen Appell an Trainer Edin Terzic: "Der Junge muss an die frische Luft - an jedem verdammten Spieltag!"
Terzic ließ nach dem Gladbach-Spiel bereits mit einem bemerkenswerten Satz aufhorchen. "Das, was er heute gezeigt hat, ist nur ansatzweise sein Potenzial", erklärte der Coach. Lob und Forderung zu gleich, eine Aussage, die letztlich vermittelte, dass Bynoe-Gittens noch reichlich Verbesserungspotenzial hat. Terzic weiter: "Wir werden ihn dabei unterstützen, sein Maximum zu finden.

Bynoe-Gittens' Verletzungshistorie

Terzic weiß um das Talent des 19-Jährigen, allerdings drückt der BVB-Übungsleiter auch ganz bewusst auf die Hype-Zug-Bremse. Die junge Erfolgsstory hat nämlich auch eine weniger rühmliche Vorgeschichte. Seit seinem Wechsel vor dreieinhalb Jahren pflastern zahlreiche Rückschläge den Weg des Juwels. Bynoe-Gittens kam bereits mit dem Ballast einer schwerwiegenden Schulterverletzung in Dortmund an.
Im Sommer 2021 zog er sich in einem Testspiel, übrigens seinem ersten Einsatz für die BVB-Profis überhaupt, einen Bänderriss im Sprunggelenk zu, der ihn monatelang außer Gefecht setzte. In der vergangenen Spielzeit verletzte sich Bynoe-Gittens an beiden Schultern, musste jeweils operiert werden. Die kumulierte Ausfallzeit: fünf Monate.
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Jamie Bynoe-Gittens

Fotocredit: Getty Images

So standen schließlich "nur" 20 Pflichtspieleinsätze zu Buche, fünfmal stand Bynoe-Gittens in der Startelf. In der laufenden Saison kommt er wettbewerbsübergreifend auf acht Einsätze - bei schon 19 absolvierten BVB-Partien. Terzic setzt offensichtlich ganz bewusst in kleineren Dosen auf den verletzungsanfälligen Offensivmann.
"Jamie ist eine besondere Geschichte, weil er ein sehr explosiver Spieler ist", erklärte Terzic nach dem Sieg in Mailand. "Nach seinen ersten Einsätzen hatte er immer wieder auch mit Krämpfen zu tun und war am Tag nach dem Spiel sehr erschöpft."
Der 41-Jährige schob nach: "Jetzt hat er sich aber in den letzten Wochen sehr viel Basis erarbeitet, sodass wir die Möglichkeit hatten, ihn von Anfang an spielen zu lassen. Er hat dann aber signalisiert, dass es eng wird."
Bynoe-Gittens selbst wirkt indes sehr reflektiert, sparte unlängst in einem Interview mit der "Times" nicht mit Selbstkritik: "Ich möchte noch an meinem Endprodukt arbeiten. Sei es ein Tor, eine Flanke, ein Schuss oder ein finaler Pass. Manchmal dribble ich zu viel und werde angegangen, wo ich einen früheren Pass spielen könnte. Das versuche ich besser zu machen." Eine klare Einschätzung der Schwächen, die sich in Mailand auf dem Rasen widerspiegelten.

Gut gemeinter Füllkrug-Rat

Anstatt den besser postierten Mitspieler Niclas Füllkrug zu bedienen, versuchte es Bynoe-Gittens ein ums andere Mal auf eigene Faust. Dementsprechend gab es auch einen kleinen, nett gemeinten Rüffel vom erfahrenen Mittelstürmer: "Die Aktionen, die er aktuell hat, sind sehr, sehr gut. Er ist brandgefährlich im Eins-gegen-Eins und kann auf engstem Raum bestehen. Wenn er das eine oder andere Mal noch den Kopf hochnimmt und bessere Entscheidungen findet, gehen seine Scorer komplett durch die Decke."
In der Frage Abschluss oder Abspiel könne Bynoe-Gittens laut Füllkrug "noch einen Tick besser werden."
Mit Blick auf seine Defensivarbeit hat der gebürtige Londoner noch Luft nach oben. Auch diesbezüglich gab das Mailand-Spiel ein konkretes Beispiel her: im Vorfeld des zwischenzeitlichen 1:1 ließ sich Bynoe-Gittens nämlich von Torschütze Samuel Chukwueze nach allen Regeln der Kunst an der Grundlinie eindrehen. Enormes Potenzial im Spiel nach vorne versus Entscheidungsfindung und Agieren gegen den Ball - hier trifft Euphorie auf Realität.
Zieht man ein Fazit, dann macht Bynoe-Gittens beim BVB Lust auf mehr, dennoch ist ein Tritt auf die Euphorie-Bremse ratsam. Die Schnelllebigkeit des modernen Fußballs und die medialen Mechanismen zeigen, wie nah der viel zitierte "Boden der Tatsachen" auch für kurzzeitig gefeierte Helden sein kann.
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Dortmund übertrifft sich selbst: "Geht um das Prestige"

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