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FC Bayern und das DNA-Problem: Wie groß muss der Sommer-Umbruch in München wirklich sein?

Dennis Melzer

Update 02/04/2024 um 17:03 GMT+2 Uhr

Der FC Bayern München gab beim 0:2 vor heimischer Kulisse gegen Borussia Dortmund einmal mehr in dieser Saison ein erschreckendes Bild ab. Coach Thomas Tuchel und einige Spieler schwenkten bereits die weiße Meisterflagge. Ein Umbruch im Sommer scheint unausweichlich - nicht nur auf der Trainerposition. Doch wie groß fällt das Projekt "Tabula Rasa" in München tatsächlich aus?

Tuchel enttäuscht: "In keiner Phase den nötigen Spirit"

Als Thomas Tuchel im Anschluss an das 0:2 gegen Borussia Dortmund nach Erklärungsansätzen suchte, dürfte sich manch einer an den Kultfilm "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnert haben.
Wie Schauspieler Bill Murray im Endlosschleifen-Klassiker, sieht sich Tuchel seit geraumer Zeit mit einem ähnlichen Drehtür-Effekt, also einer immer wiederkehrenden Situation, konfrontiert. Nur eben nicht im verschlafenen Punxsutawney, sondern in der Millionenstadt München.
"Wir haben ein Spiel weggegeben und wissen gar nicht, wieso das jetzt passiert ist", sagte der 50-Jährige im Nachgang des prestigeträchtigen Duells mit den Schwarz-Gelben. Ähnlich hatte Tuchel in dieser Saison schon häufiger auf Niederlagen reagiert, das Ratlos-Ringen nach Gründen war am Samstagabend um ein weiteres Kapitel reicher.
Die erschreckend vielen blutleeren Auftritte der Bayern blieben in der laufenden Spielzeit mal nicht unbestraft, diesmal gab es mit Bayer Leverkusen eine Mannschaft, die sämtliche FCB-Strauchler auszunutzen wusste - und die Münchner Dauerdominanz nach elf Jahren mutmaßlich brechen wird. Beim deutschen Rekordmeister schwenkt man angesichts der 13 Punkte Rückstand jedenfalls bereits die weiße Flagge.
"Nach dem Spiel brauchen wir nichts erzählen ... Glückwunsch nach Leverkusen", gab Tuchel zu verstehen. Thomas Müller erklärte: "Ich bin kein Mathematik-Professor und weiß, dass es noch möglich ist. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es nicht realistisch."
Resignation bei einem Verein, der vom bedinglosen Glauben an sich selbst, von der viel beschworenen Mia-san-Mia-Mentalität lebt. Aussagen, die das belegen, was nicht erst seit der Niederlage gegen Dortmund feststeht: Es müssen Veränderungen her. Doch wie groß könnte ein Umbruch im Sommer ausfallen?

1.) Die Führungsetage

Mit dem Rückzug der beiden ewigen Alphatiere Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge brach die jahrelange Kontinuität in der Führungsetage weg.
Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn mussten bekanntlich nach teilweise fragwürdigen Entscheidungen (beispielsweise dem Rauswurf von Julian Nagelsmann) Platz machen, Vorstandschef Jan-Christian Dreesen und Sportdirektor Christoph Freund kommen eher nüchtern daher und legten die "Abteilung Attacke" auf Eis.
Anfang März präsentierte der Verein mit Max Eberl einen neuen gleichermaßen starken wie polarisierenden Mann als Sportvorstand, der fortan die Geschicke leiten soll. Eberl wurde gleich zu Beginn seiner Schaffenszeit mit der komplizierten Aufgabe betraut, einen Nachfolger für Tuchel zu finden. Viel Zeit zum Eingewöhnen hat der ehemalige Gladbach-Boss also nicht, messen lassen muss sich Eberl aber nicht nur am neuen Übungsleiter, sondern vor allem an der Kaderzusammenstellung für die kommende Saison.
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Max Eberl vom FC Bayern München

Fotocredit: Getty Images

"Ich bin kein Heilsbringer", stellte Eberl früh klar. Er sei sich bewusst darüber, dass er in München "ein großes Erbe" antrete. Immerhin: Mit Eberl, der seine Fähighkeiten als Verantwortlicher vor allem während seiner Zeit am Niederrhein nachhaltig hinterlegt hat, haben sich die Münchner in der Führungsetage für die Zukunft gewappnet, Veränderungen bringt der Sommer aber offenbar dennoch mit sich: Kaderplaner Marco Neppe wird die Bayern übereinstimmenden Medienberichten zufolge verlassen, nach Informationen des "kicker" steht auch eine Weiterbeschäftigung von Chef-Scout Markus Pilawa auf dem Prüfstand.
Neppe und Pilawa wurden einst von Kahn und Salihamidzic installiert und befördert. Ein Abschied des Duos wäre ein weiteres Signal in Richtung Aufbruch, dass Hoeneß vom Tegernsee im Hintergrund aber weiterhin den einen oder anderen Faden zieht, ist bei allem Neuanfang aber gesichert.

2.) Der Trainer

Die große Baustelle ist freilich die Trainerposition. Wochenlang hoffte man in München auf ein Engagement von Leverkusens Coach Xabi Alonso, seit Karfreitag ist aber klar: Der Spanier bleibt den Rheinländern treu und wird zunächst nicht bei seinem Ex-Arbeitgeber anheuern.
Eine ernüchternde Entscheidung aus Bayern-Sicht. An potenziellen Kandidaten mangelt es dennoch nicht, im Hintergrund hatten sich Eberl und Co. selbstredend längst für ein Szenario ohne Alonso in Stellung gebracht.
Wie viel Substanz die "kicker"-Meldung, Österreich-Teamchef Ralf Rangnick sei nun die A-Alternative, habe, wurde Eberl nach dem Dortmund-Spiel gefragt. Die süffisante Antwort: "So viel, dass Antonio Conte uns schon Spielerlisten schickt, welche Spieler wir suchen wollen. Man sieht, wie mannigfaltig wir damit konfrontiert werden. Ich werde sowieso keine Namen kommentieren. Wir haben Ideen, wir haben klare Vorstellungen. Die versuchen wir jetzt zu realisieren, so schnell wie es geht."
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Julian Nagelsmann

Fotocredit: Getty Images

Neben Rangnick wird vor allem Roberto De Zerbi von Brighton and Hove Albion als Tuchel-Nachfolger gehandelt, darüber hinaus halten sich Berichte, wonach eine Nagelsmann-Rückkehr durchaus realistisch sei, ebenfalls hartnäckig. Der Plan, die Saison mit Tuchel in aller Ruhe zu beenden, wird aufgrund der Darbietung gegen Dortmund - zumindest medial - aktuell wieder einmal hinterfragt.
Chef-Kritiker Dietmar Hamann brachte jüngst gegenüber der "SZ" den Namen José Mourinho als kurzfristige Lösung ins Spiel, um zumindest die Titelchancen in der Champions League zu wahren. Der streitbare Portugiese als Feuerwehrmann? Unrealistisch. Grundsätzlich wäre ein vorzeitiges Tuchel-Aus ein verheerendes Signal. "Man kann", so Eberl, "den nächsten Trainer rauswerfen und sagen: wieder der nächste. Aber sind schon die Akteure, die auf dem Platz stehen."
Der Vorwurf richtet sich also weniger an den Trainer, sondern vielmehr an die Mannschaft - und die könnte, abhängig davon, welcher Trainer im übernimmt, im Sommer ein neues Gesicht haben.

3.) Die Mannschaft

In puncto Kader wird bei den Bayern am Saisonende jeder Stein herumgedreht, so viel ist klar. Trotz der regelmäßig kritisierten Tuchel-Marschroute (keine Handschrift, biederer Stil) und einigen taktischen Fehlern (wie beispielsweise im Top-Spiel gegen Leverkusen), werden die Spieler in die Hauptverantwortung für die Misere genommen.
Bayern-Legende und "ARD"-Experte Bastian Schweinsteiger brachte es auf den Punkt: "Der FC Bayern muss auf jeden Fall in der Kaderplanung was verändern. Allein jetzt den Trainer auszutauschen reicht nicht", sagte der Weltmeister von 2014. Denn: Nicht nur Tuchel zeigte sich immer wieder ratlos, auch bei dessen Schützlingen machte sich wiederholt Ohmacht ob der eigenen Leistungen breit.
"Unerklärlich und frustrierend", sei die Leistung gegen den BVB gewesen, haderte Joshua Kimmich bei "Sky". In den Ausführungen des 29-Jährigen schwang eine bedenkliche Message mit: Viele Spieler scheinen den Ernst der Lage nicht erkannt zu haben.
Spinnt man das Ganze weiter, erhärtet sich der Verdacht, dass einige Stars nicht das nötige Rüstzeug für einen Weltverein wie den FC Bayern mitbringen. Doch wer könnte vom Umbruch betroffen sein?
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Leon Goretzka (FC Bayern München)

Fotocredit: Getty Images

Die Abgänge der beiden Dauer-Bankdrücker Bouna Sarr und Eric Maxim Choupo-Moting, deren Verträge am Saisonende auslaufen, gelten als sicher. Doch auch bei namhafteren Spielern könnte der Rotstift angesetzt werden. Top-Verdiener wie Leon Goretzka und Serge Gnabry, lange Zeit unangetastet, sind angezählt, Leroy Sané, der nach überragender Hinrunde mittlerweile wankt und nach seiner Auswechslung gegen Dortmund seinem Frust freien Lauf ließ, wird auch als möglicher Verkaufskandidat gehandelt.
Selbst Kimmichs Zukunft steht in den Sternen. Wie "Sky" berichtete, wäre der Klub im Zuge der sportlichen Neuausrichtung bereit, den Führungsspieler (Vertrag bis 2025) bei einem passenden Angebot ziehen zu lassen. Er selbst soll bezüglich eines neuen Abenteuers nicht abgeneigt sein, Mitte März äußerte er sich aber klar zu den Gerüchten: "Meine Situation ist sehr, sehr klar. Ich habe noch über ein Jahr Vertrag, es hat noch keiner mit mir gesprochen. Ich bin sehr, sehr entspannt. Am Ende des Tages geht es für mich nur darum, meine Leistung zu zeigen. Wir haben eine Europameisterschaft vor der Tür und dann schauen wir mal, was abgeht."
Abgehen könnten den Bayern zudem Alphonso Davies, dessen kolportierten Gehaltsforderungen von 20 Millionen Euro für eine Vertragsverlängerung utopisch erscheinen, Noussair Mazraoui, der seit seinem Wechsel von Ajax Amsterdam 2022 nie richtig Fuß fasste und Dayot Upamecano, der seine Vormachtstellung in der Innenverteidigung mit Patzern und Platzverweisen selbst aus der Hand gegeben hat.
Anhand der Anzahl an Abgängen wird sich schließlich konkret zeigen, wie umfangreich sich der personelle Umbruch tatsächlich gestaltet - und wie hoch das Budget für Neuzgänge ausfällt. Klar ist: Es muss und wird einschneidende Veränderungen geben, es werden neue, hungrige Spieler an die Isar kommen. Wer geht und wer in München aufschlägt, hängt auch mit dem neuen Trainer zusammen.
Dass die Bayern trotz der enttäuschenden Saison den halben Kader austauschen, wäre bei allem angebrachtem Tabula Rasa aber zu viel des Guten - und ein Vabanquespiel obendrein.
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Tuchel: "Sané weiß, was wir von ihm erwarten"

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