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FC Bayern: Jetset-Diva oder Sündenbock? Das ist dran an Rummenigges Boateng-Kritik

Carsten Arndt

Update 24/11/2016 um 22:46 GMT+1 Uhr

Nach der 2:3-Niederlage gegen FK Rostow wirft Karl-Heinz Rummenigge Bayerns Abwehrchef Jérôme Boateng öffentlich mangelnde Bodenhaftung vor. Der Innenverteidiger hatte zuvor zwei Mal böse gepatzt und seinem Chef eine Steilvorlage geliefert. Doch was ist wirklich dran an Rummenigges Kritik und welche Absicht verfolgte seine scharfzüngige Schelte?

Jérôme Boateng vom FC Bayern präsentiert seine Brillenkollektion

Fotocredit: Imago

Karl-Heinz Rummenigge sprach ruhig und gefasst. Mit Bedacht. Nicht aus der Emotion heraus.
Und doch knallten seine Worte wie Peitschenhiebe durch die Katakomben des Olimp-Stadions am Don, der Heimstätte des FK Rostov.
Es fällt auf, dass Jérôme wieder ein bisschen mehr zur Ruhe kommen muss. Seit letztem Sommer ist mir das ein bisschen zu viel. Es wäre im Sinne von ihm und des ganzen Klubs, wenn er wieder 'back to earth' kommt.
Jérôme Boateng, Deutschlands Fußballer des Jahres, der vielleicht beste Innenverteidiger der Welt und einer der Anwärter auf das Kapitäns-Amt in der Nationalelf abgehoben? Zu sehr beschäftigt mit Dingen außerhalb des Platzes, außerhalb seines eigentlich angedachten Wirkungsbereichs?

Boateng patzt gegen Rostow doppelt

Bei Bayerns 2:3-Blamage im kalten Russland konnte man zumindest diesen Eindruck gewinnen. Beim ersten Gegentor wirkte er nach einem schlampigen Rückpass von Douglas Costa zunächst wie festgefroren, ehe er sich Sekunden später im Strafraum austanzen ließ und auf dem Hosenboden landete.
Den zweiten Treffer der Russen vom Punkt bereitete er mit einem Stockfehler und anschließendem Foul im verbotenen Bereich beinahe mustergültig vor. Zu allem Überfluss musste er wenig später wegen einer Muskelverletzung vom Feld. Eine Untersuchung in München ergab am eine Muskelverhärtung. Sein Einsatz gegen Leverkusen am Wochenende ist nicht gefährdet.

Kritik von allen Seiten

"Er macht Fehler, die man nicht im Ansatz so von ihm kennt“, wunderte sich Bayern-Legende Oliver Kahn.
Auch Lothar Matthäus sparte nicht mit Kritik für den Weltmeister:
Von einem Mann seiner Klasse erwarte ich, dass er so eine Situation anders löst. Er wirkt ein bisschen schwerfällig.

Boateng teilt gerne aus

Der Gescholtene selbst verwies derweil lieber auf das Kollektiv. "Die Tore sind zu einfach, da müssen wir als Mannschaft besser verteidigen“, so Boateng.
Überhaupt ist das mit der Selbstkritik beim gebürtigen Berliner in letzter Zeit so eine Sache. Viel lieber - so scheint es - stellt er die Kollegen in den Senkel.
"Wir hatten vorne nicht viel Bewegung, was es uns schwer gemacht hat, Anspielstationen zu finden. Wir haben viel zu viele Zweikämpfe verloren und vorne keinen Ball gehalten", schimpfte Boateng nach der Niederlage bei Atlético Madrid über die Offensive.
Auch beim DFB hat er bereits mehrfach öffentlich über die Teamkollegen gemäkelt.

Boateng lediglich der Sündebock?

Als Aufrütteln und als Nachweis von Führungsqualitäten interpretierten es die einen, als Ablenken von eigenen Problemen und fehlender Selbstreflexion die anderen.
Nun hat Rummenigge den Part des Wachrüttelns übernommen - und Boateng ist das Opfer. Wie einen Hund, den man erziehen möchte, drückte der Vorstandsboss den Innenverteidiger noch einmal ganz tief in sein Malheur.
Was steckt am Ende dahinter? Musste der 28-Jährige lediglich als Sündenbock eines - wie von Boateng korrekt erkannten - versagenden Kollektivs herhalten. Als Bauernopfer in Bayerns verzweifeltem Kampf gegen die kaum mehr wegzudiskutierende Krise?

Boateng bietet zahlreiche Angriffspunkte

Fakt ist, dass kaum ein Spieler im Kader des deutschen Vorzeigeklubs mehr Angriffspunkte für Kritik in dieser Form bietet.
Boateng besitzt eine eigene Brillenkollektion, gilt in Deutschland und weit über die Grenzen hinaus als Stil-Ikone. Das Magazin "GQ" kürte ihn jüngst zum "Mann des Jahres" in der Kategorie Sport.
Auf seinen Social-Media-Accounts postet er regelmäßig Bilder mit Stars aus der Sport- und Musikwelt. Rap-Superstar Jay-Z ist seit etwas über einem Jahr sein Manager, der Vertragsabschluss wurde in Brooklyn gefeiert. Das große Ziel: Eine globale Marke werden.

Schwierigkeiten mit Ancelottis System

Bei all Trubel kann man den Fokus auf das Wesentliche schon mal verlieren. In Boatengs Fall heißt das in erster Linie Gegentore des FC Bayern verhindern.
Dass das in dieser Saison nicht in der Form gelingt wie in den Jahren zuvor, hat auch mit der Umstellung auf Carlo Ancelotti zu tun.
Unter Pep Guardiola stand die Abwehrkette der Bayern sehr offensiv, ein Umstand wie gemalt für die Stärken Boatengs. Den Raum hinter der Kette bot dem Nationalspieler die Möglichkeit, mit seiner enormen Schnelligkeit beinahe jeden Ball abzulaufen. In direkten Zweikämpfen am Strafraum, in denen Boateng mit seiner Körpergröße gegen wendige Spieler zu kämpfen hat, sah er sich deutlich seltener verwickelt.
Zudem ermöglichte die guardiolasche Dominanz der Bayern den Innenverteidigern mehr Platz im Aufbauspiel, da der Gegner viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Boatengs scharfe und präzise Diagonalbälle wurden zur echten Waffe der Münchner.
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Jerome Boateng und Robert Lewandowski

Fotocredit: Imago

Rummenigge hat alles richtig gemacht

Aktuell befindet er sich wie der Rest des Teams zwischen den Philosophien des alten und des neuen Trainers. Zudem plagt er sich seit Wochen immer wieder mit kleineren Blessuren herum. Das Bespielen der sozialen Kanäle gehörte auch schon in der vergangenen Saison zu seinem Standard-Repertoire.
Boateng als Herd des stotternden Bayern-Motors auszumachen, trifft demnach sicherlich nicht den Kern der Sache. Mit seinen Fehlern hat er Rummenigge allerdings eine Steilvorlage geliefert, um der gesamten Mannschaft auf die vom vielen Stemmen der Pokale womöglich etwas müde gewordenen Hände zu klopfen.
Boateng und seine Kollegen dürften die scharfen Worte ihres Chefs registriert und sich bestenfalls auch selbst hinterfragt haben.
Ob Sündenbock oder nicht, Bayerns Boss hat die Seinen sensibilisiert. Er hat die Sinne an der Säbener Straße wieder geschärft.
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